- Eid [1]
Eid (Eidschwur, Juramentum, Jusjurandum), die feierliche Wahrheitsversicherung unter Anrufung Gottes. Die Bedeutung einer derartigen Beteurung gehört zunächst dem Gebiete der Moral und dem der Religion an. Die Verpflichtung des Schwörenden zur Angabe der Wahrheit und zur Erfüllung des eidlich Versprochenen ist daher in erster Linie eine moralische und die Verletzung dieser Pflicht eine nach sittlich-religiösen Grundsätzen zu beurteilende Sünde. Als solche wurde auch die Verletzung der Eidespflicht von jeher und bei allen Völkern anerkannt. In der ersten Zeit des Christentums wurde die Zulässigkeit des Eides vielfach (auch von einzelnen Kirchenvätern) unter Bezugnahme auf die Aussprüche von Jesus (Matth. 5, 33–37 und 23, 16–22, Jak. 5, 12) bestritten. Schließlich überwog aber das praktische Bedürfnis; auch Synoden und Bischöfe erlaubten, ja forderten unter Umständen den E., der schon bisher bei Griechen und Römern üblich gewesen und im römischen Recht in hohem Grade durchgebildet worden war. In Deutschland verdrängte er dann allmählich die Gottesgerichte (vgl. Ordalien). Wie schon im Mittelalter die Katharer und Waldenser, so verwarfen dann im Reformationsjahrhundert die Anabaptisten und die aus ihnen entsprungenen Mennoniten den E. Ihre Beteurung »bei Männerwahrheit« erhielt vor Gericht Kraft und Wirkung eines förmlichen Cides. Auch nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 484) steht der Eidesleistung die unter der Beteurungsformel einer Religionsgesellschaft abgegebene Erklärung gleich, wenn ein Landesgesetz dieser Gesellschaft den Gebrauch solcher Beteurungsformeln an Stelle des Eides gestattet, was bezüglich der Mennoniten wohl überall der Fall ist.
Die Gesetzgebung hat die Eidesleistung als höchstes Bestärkungsmittel eines Versprechens und als heiligste Versicherung der Wahrheit einer Aussage in ihren Bereich gezogen, indem sie die Verletzung der Eidespflicht als ein Verbrechen behandelt und mit schwerer Strafe bedroht (s. Meineid). Die zu bestärkende Erklärung kann in dem Versprechen bestehen, etwas tun oder unterlassen zu wollen oder in der Versicherung, daß man etwas getan oder unterlassen habe. Im erstern Falle spricht man von einem Voreid oder promissorischen E., im letztern von einem Nacheid oder assertorischen E. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 391 und 410) sind die Zeugen regelmäßig, die Sachverständigen stets vor der Vernehmung zu beeidigen; bei erstern darf jedoch die Beeidigung (s. d.) aus besondern Gründen bis nach der Vernehmung ausgesetzt werden. Eine starke Strömung geht dahin, daß der Voreid ganz beseitigt und durch den Nacheid ersetzt werde. Sie hat, soweit es sich um die Militärstrafgerichtsordnung handelt, bereits Erfolg gehabt (§ 196 und 215). Eine Vereidigung ist besonders bei der Übertragung eines öffentlichen Amtes üblich (s. Amtseid), ferner beim Eintritt in den Militärdienst (s. Fahneneid) sowie bei Angelobung des Untertanengehorsams gegenüber dem Landesherrn (s. Huldigung). Nach manchen Verfassungen hat auch der Landesherr selbst beim Regierungsantritt einen E. auf die Verfassung zu leisten. Ferner sind Schöffen und Geschworne zu vereidigen. Von besonderer Wichtigkeit aber ist der E. für das gerichtliche Verfahren und hier wieder vorzugsweise für die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen der E. als das wirksamste Beweismittel erscheint (s. unten).
Zu den Erfordernissen eines Eides gehört vor allem Eidesfähigkeit des schwörenden Subjekts und zu dieser Verstandesreife sowie sogen. Eidesmündigkeit, die nach deutschem Prozeßrecht mit dem 17. Lebensjahr beginnt. Zum Parteieneid in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten werden nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 473) regelmäßig nur prozeßfähige Personen zugelassen, also keine Minderjährigen und keine Personen, die sich nicht vertragsmäßig verpflichten können. Doch kann das Gericht auf Antrag des Gegners unter Umständen auch Minderjährige, die das 16. Lebensjahr zurückgelegt haben, sowie Volljährige, die wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt worden sind, zum E. zulassen. Ein wegen Meineids rechtskräftig Verurteilter ist an und für sich nicht eidesunfähig. Eine an ihn erfolgte Zuschiebung oder Zurückschiebung eines Eides kann jedoch vom Gegner widerrufen werden, falls die Verurteilung wegen dieses Verbrechens erst später erfolgt ist, oder der Gegner glaubhaft macht, daß er erst nach der Zuschiebung oder Zurückschiebung des Eides von einer solchen Verurteilung Kenntnis erlangt hat. Auf Antrag des Gegners kann auch der einem Meineidigen vom Richter auferlegte E. zurückgenommen werden. Der E. selbst ist in der Weise zu leisten, daß die Eidesformel mit der Eidesnorm vom Richter vorgesagt und vom Schwurpflichtigen nachgesprochen wird. Die früher üblichen Feierlichkeiten der Eidesleistung und der besondere Judeneid sind weggefallen. Die Eidesformel beginnt mit den Worten: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß etc.« Die Schlußworte lauten dann: »So wahr mir Gott helfe.« Der Eidesleistung geht eine Hinweisung auf die Bedeutung des Eides durch den Richter voraus. Juristische Personen und nicht prozeßfähige Parteien schwören den Parteieneid durch ihre gesetzlichen Vertreter. Der Schwurpflichtige erhebt bei der Eidesleistung die rechte Hand. Versicherungen an Eides Statt kannte die deutsche Zivilprozeßordnung früher nicht. Nach dem jetzigen § 294 dürfen sie aber zum Zweck der Glaubhaftmachung (s. d.) erfolgen. Stumme leisten, wenn sie schreiben können, den E. mittels Abschreibens und Unterschreibens der Eidesformel, andernfalls mit Hilfe eines Dolmetschers durch Zeichen. Im Zivilprozeß kommt der E. unter anderm auch als Beweismittel (s. d.) vor. Der E., den eine Partei dem Gegner zum Beweis ihrer Behauptungen zuschiebt, wird Haupteid oder Schiedseid genannt. Wird der E. bei unvollständigem Beweis einer Partei von dem Richter auferlegt, so bezeichnet man ihn als notwendigen oder richterlichen E. Der richterliche E. wurde früher Erfüllungseid oder Reinigungseid genannt, je nachdem er dem Beweisführer zur Ergänzung des Beweisergebnisses oder dem Beweisgegner zur Beseitigung des vom Gegenteil gelieferten unvollständigen Beweises auferlegt wurde. Die deutsche Zivilprozeßordnung (§ 475) macht in dieser Beziehung keinen Unterschied. Sie stellt es im wesentlichen in das Ermessen des Gerichts, ob es der einen oder der andern Partei einen richterlichen E. auferlegen wolle. Die Zuschiebung (Delation) des Eides ist nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 445) nur über Tatsachen zulässig, die in Handlungen des Gegners, seiner Rechtsvorgänger oder Vertreter bestehen, oder Gegenstand der Wahrnehmung dieser Personen gewesen sind. Die Partei, der ein E. zugeschoben wird (Delat), hat die Wahl, ob sie den E. annehmen oder ihn zurückschieben (referieren) will. Schützt z. B. der verklagte Darlehnsschuldner die Einrede der Zahlung vor, und schiebt er dem klagenden Darlehnsgläubiger hierüber den E. zu, so hat dieser Kläger die Wahl, ob er schwören will, daß Beklagter ihm die Schuld nicht bezahlt habe, oder ob er den E. zurückschieben, d.h. den Beklagten schwören lassen will, daß er die Schuld bezahlt habe. Wenn die Partei, der der E. zugeschoben ist, nicht aber die Gegenpartei über ihre eigne Handlung oder Wahrnehmung zu schwören haben würde, ist die Zurückschiebung des Eides nicht zulässig. Einem Dritten kann ein E. nicht zugeschoben werden. Doch können diese Beschränkungen durch gerichtliche Anordnnug in Hinwegfall kommen, wenn die Parteien in betreff des zu leistenden Eides einig sind und der E. sich auf Tatsachen bezieht. Der frühere Unterschied zwischen Wahrheitseid und Glaubenseid, welch letzterer dahin ging, daß der Schwurpflichtige trotz sorgfältiger Nachforschung nicht anders wisse und glaube, als daß etc., besteht nicht mehr. Dafür wird jetzt zwischen Wissenseid und Überzeugungseid unterschieden. Der erstere wird dahin geleistet, »daß die Tatsache wahr oder nicht wahr sei«. Ist eine Tatsache vom Gegner des Schwurpflichtigen behauptet und kann dem letztern nach den Umständen nicht zugemutet werden, daß er die Wahrheit oder Nichtwahrheit derselben beschwöre, so kann das Gericht den E. auf Antrag dahin fassen, »der Schwurpflichtige habe nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Überzeugung erlangt oder nicht erlangt, daß diese Tatsache wahr sei«. Auch über eigne Handlungen oder Wahrnehmungen des Schwurpflichtigen kann ein Überzeugungseid zugelassen werden, wenn nach den Umständen dem Schwurpflichtigen ein bestimmtes Wissen nicht oder nicht mehr zugemutet werden kann. Er hat dann zu schwören, »er habe nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Überzeugung erlangt, daß die Tatsache wahr oder nicht wahr sei«. Der richterliche E. ist stets, der zugeschobene regelmäßig durch bedingtes Endurteil aufzuerlegen. Die Leistung des zugeschobenen Eides darf durch Beweisbeschluß (s. d.) auferlegt werden, wenn die Parteien über die Erheblichkeit und die Norm des Eides einverstanden sind oder dieser zur Erledigung eines Zwischenstreites dient. Durch Leistung des Eides wird voller Beweis der beschwornen Tatsache begründet; der Beweis des Gegenteils ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn ein rechtskräftiges Urteil (s. d.) wegen Verletzung der Eidespflicht an gefochten werden könnte. Der Eidesleistung steht die Erlassung des Eides in ihren Wirkungen gleich. Die Eidesverweigerung hat zur Folge, daß das Gegenteil der zu beschwörenden Tatsache als voll bewiesen gilt. Nach der österreichischen Zivilprozeßordnung (§ 371–389) ist die Eideszuschiebung durch die Vernehmung der Parteien ersetzt worden, die als Beweismittel gilt. Danach darf zuerst die unbeeidigte Vernehmung beider Parteien angeordnet werden; an sie kann sich aber die Beeidigung einer Partei anschließen. Die Maßregel hat sich anscheinend bewährt und wird auch in Deutschland vielfach empfohlen. Bis jetzt hatten diese Empfehlungen aber keinen Erfolg. Es kommen noch in Betracht: der Editionseid oder die eidliche Versicherung, daß man nicht im Besitz einer bestimmten Urkunde sei (s. Edition), der Offenbarungseid (s. d.), der Zeugeneid und der E. der Sachverständigen (s. Zeuge und Sachverständige). Enger begrenzt ist die Anwendung des Eides im strafrechtlichen Verfahren, indem hier nur noch der E. der Zeugen und Sachverständigen in Anbetracht kommt, während der E. als Beweismittel, namentlich der sogen. Reinigungseid, zum Zweck des Beweises der Unschuld eines Angeschuldigten abgeschafft ist. Vgl. Hirzel, Der E., ein Beitrag zu seiner Geschichte (Leipz. 1902); Neukamp, Parteieid oder eidliche Parteivernehmung (in der Zeitschrift »Das Recht«, 1901, S. 38 ff.); Hubrich, Konfessioneller E. oder religionslose Beteuerung? (Leipz. 1900).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.