Albanĭen

Albanĭen

Albanĭen, ein mehr ethnographischer als geographischer Begriff, der das ganz oder hauptsächlich von Albanesen (s. d.) bewohnte Land, d.h. die türkischen Wilajets Skutari, Janina und Teile von Kossowo und Monastir, zwischen Montenegro im N., Griechenland im S., Makedonien im O., dem Adriatischen Meer im W., umfaßt. Außerdem wird gewöhnlich auch der griechische Süden und Osten von Epirus zu A. gerechnet. Mit Ausnahme des z. T. versumpften Küstengebiets und einiger größerer Niederungen und Becken ist A. ein sehr schwer zugängliches, daher vielfach noch von unabhängigen Stämmen bewohntes Gebirgsland. Näheres s. Türkisches Reich.

Geschichte. Im Altertum hieß A. Illurien, und seine indogermanischen Bewohner, die Illyrier hießen, aber (nach Carl Pauli) Thraker waren, während der Name Albanesen (Albani) auf einen kleinen Gau beschränkt blieb, waren als wild und kriegerisch gefürchtet. Die griechisch-makedonische Periode hindurch waren die Illyrier, obwohl sie es niemals zu einer größern staatlichen Einheit brachten, der Schrecken aller Nachbarvölker: selbst empfindliche Niederlagen ihrer Fürsten Bardylis und Kleitos durch Philipp (358 v. Chr.) und Alexander (335) konnten A. nicht dauernd bändigen; durch frechen Seeraub machten sich namentlich die Ardiaierfürsten Pleuratos und Agron von Skodra (Skutari) lästig. 230 v. Chr. begann die Unterwerfung des Landes durch die Römer. Pflanzstädte erhoben sich an den Küsten; Apollonia (Polina) ward der Sitz der Wissenschaften, Dyrrhachion der des Handels. In den Gebirgen aber erhielten sich die alte Sprache und das alte Volk. In der Völkerwanderung verschwand auch in A. die römische Herrschaft. In Barbarei führten A. die im 7., 8. und 9. Jahrh. eindringenden slawischen Völker zurück, durch die ein großer Teil der Bevölkerung namentlich im Norden slawisiert wurde. Um 870 ward Ochrida (das alte Lychnidos) die Residenz eines Bulgaren. Erst nach dem Sturz der Slawenherrschaft (1018) nahmen die Reste der alten Bevölkerung wieder Besitz vom Lande. Nach Niederwerfung des Aufstandes der Bulgaren zog 1042 der Statthalter Michael Paphlago von Dyrrhachion mit 60,000 Albanesen gegen die Serben. Auf die Eroberungsfahrten der Normannen unter Robert Guiscard (1081–1101) folgte die Herrschaft der Despoten von Epirus aus dem Hause der Komnenen (bis 1318); danach gelangte A. wieder in die Hände der Byzantiner. 1343 eroberte der Serbe Stephan Duschan A., Thessalien und Makedonien und nannte sich »Kaiser«. Nach seinem Tode wollte Nikephoros, der Sohn des letzten epirotischen Despoten, A. unterwerfen, ward aber (1357/58) von den Albanesen getötet; teilweise fiel nun A. in die Gewalt des serbischen Despoten Simon, während gleichzeitig Gjinos Wajas im Süden und Petros Ljoschas (gest. 1374) im Norden selbständige Herrschaften begründeten. In diese Zeit fällt der Beginn der großen albanesischen Wanderung: in Attika, Thessalien und der Peloponnes erstanden albanesische Pflanzstädte, die später den Türken tapfern Widerstand leisteten. Schon um 1380 stritten die Albanesen mit den Slawen, Ungarn und Venezianern vereinigt für das Evangelium gegen den Islam; in der Schlacht auf dem Amselfelde (6. Juni 1389) verblutete der Kern des albanesischen Heeres. Nach dem Tode Johann Spatas (1400), der ein Vierteljahrhundert die Stadt Arta selbständig regiert hatte, eroberte Karl II. Tocco von Kephalonia A., mußte aber Janina an Sultan Murad abtreten und dessen Lehnshoheit anerkennen. Damit begann die Mohammedanisieung Albaniens. Die Glanzzeit Nordalbaniens, das 1250 zur katholischen Kirche übergetreten war und um 1368 sein Abhängigkeitsverhältnis zu Serbien gelöst hatte, knüpft sich an den Namen Skanderbegs (s. d.), der 25 Jahre lang (1443–67) mit Heldenmut und Glück gegen die Türken kämpfte, während sein Schwiegervater Arianites Topia den Süden schirmte. Nach Skanderbegs Tod wehrten sich die Albanesen nicht mehr lange gegen die Türken: die Verteidigung von Skutari (1478) ist ihre letzte größte Waffentat. Durch den 1479 zwischen den Türken und Venezianern geschlossenen Frieden ward A. türkische Provinz; nun wanderten auch aus dem Norden zahlreiche Bewohner aus, meist nach Italien. Seit der Mitte des 17. Jahrh. griff der Islam in A. mehr und mehr um sich. Auch drängten sich die Albanesen bald zum türkischen Kriegsdienst und bildeten, zumal nachdem die Janitscharen zu Haustruppen herabgesunken waren, den Kern der Armee; die tapfersten türkischen Heerführer waren meist Albanesen. Auch zu den höhern Zivilstellen des türkischen Reiches gelangten vornehme Albanesen immer häufiger. Als 1770 die Russen den Aufstand der Griechen gegen die Türken anfachten, bediente sich die Pforte der Albanesen, die ihrem Haß gegen die Griechen Lauf ließen. Damals brachte Ali (s. d. 3) von Janina nach und nach ganz A. und einen großen Teil der umliegenden Provinzen unter seine Herrschaft. Alis 40jähriger Kampf zur Befestigung seiner Despotie hatte das wilde Volk so sehr an das Kriegsleben gewöhnt, daß, als nach des Despoten Sturz (1822) die griechische Revolution ausbrach, es die neue Gelegenheit zu Raub und Plünderung mit Eifer ergriff. Die mohammedanischen Albanesen traten auf die Seite der Türken, die christlichen, besonders die in den südlichen Gebirgen wohnenden Armatolen und Klephthen (namentlich die Sulioten), auf die der Griechen. In diesem langen Kampfe mit ihren mohammedanischen Brüdern gingen die christlichen Albanesen größtenteils zu Grunde. Nach der Schlacht bei Navarin (1827) wendete sich die Tatenlust der Albanesen gegen die Türken. Unter Arslan Bei und Mustafa Pascha von Skutari erhoben sie sich, begünstigt durch den Krieg der Pforte mit Rußland, den gleichzeitigen Aufstand Daud Paschas in Bagdad und die Unbotmäßigkeit Mehemed Alis von Ägypten. Da erschien Reschid Pascha nach Abschluß des Friedens von Adrianopel 1829 mit dem ganzen türkischen Heer. 1831 flammte die Empörung noch einmal auf; als Mustafa aber von Reschid Pascha bei Perlape geschlagen war, mußten sich die Albanesen wieder unterwerfen. Ein abermaliger Aufstand der mohammedanischen Bevölkerung dehnte sich seit 1843 in A. infolge der angeordneten Truppenaushebung über die Gebirgsgegenden von Rumelien bis nach der Bulgarei aus. Omer Pascha aber schlug die Albanesen 1844 bei Kaplanly und bei Kalkandelen und eroberte Prischtina. Ein neuer Aufstand im Sommer 1847 wurde bald unterdrückt. 1879 widersetzten sich die nördlichen Stämme der Albanesen den durch den Berliner Frieden festgesetzten Abtretungen von Teilen Albaniens an Serbien und Montenegro, wurden aber 1880 und nach abermaliger Erhebung 1881 von Derwisch Pascha unterworfen. 1887 fanden aus Anlaß der neuen Grundsteuer Unruhen in A. statt; solche wiederholten sich aus Gründen der Blutrache, Grenzstreitereien etc. von Jahr zu Jahr: noch Anfang 1902 stellte Chemsi Pascha zu Diakovo nur mit Mühe die Ruhe wieder her. Bezeichnend ist es, daß sich ein Führer der jungtürkischen Bewegung, Ismail Kemâl Bei, von Brüssel aus lebhaft mit der Lösung der »albanischen Frage« beschäftigt; und national-albanische Tendenzen verfolgt Aladro Kastriota (s. d.), ein angeblicher Nachkomme Skanderbegs. Vgl. die Geschichtskarten bei Art. »Türkisches Reich«; Literatur bei »Albanesen«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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