- Crispi
Crispi, Francesco, ital. Staatsmann, geb. 4. Okt. 1819 in Ribera auf Sizilien, gest. 11. Aug. 1901 in Palermo, studierte die Rechte, ließ sich in Neapel als Advokat nieder, nahm im Januar 1848 an dem Aufstand in Palermo Anteil und war 1849 Deputierter und Abteilungschef im Kriegsministerium der revolutionären Regierung. Nach deren Niederlage flüchtete C. nach Piemont und, 1853 von dort ausgewiesen, nach England, wo er mit Mazzini in Verbindung trat. 1859 nach Italien zurückgekehrt, organisierte er mit Garibaldi die Expedition nach Sizilien, an der er teilnahm. 1861 ward er zum Mitgliede des italienischen Parlaments gewählt, in dem er Führer der monarchischen Linken wurde; als Organ dieser Partei diente die 1865 von C. begründete »Riforma«. Nach dem Sturz der Consorteria (18. März 1876) ward er zum Präsidenten der Kammer gewählt. Als Crispis Rival Nicotera, der durch sein Einschreiten in Sizilien die Süditaliener verletzt hatte, 16. Dez. 1877 gestürzt worden, ward C. zum Minister des Innern ernannt; jedoch seine Gegner denunzierten ihn im Februar 1878 wegen Bigamie, und wenn C. auch vor Gericht freigesprochen wurde, weil seine erste Ehe eines Formfehlers wegen ungültig war, so blieb doch sein moralisches Verschulden so unzweifelhaft, daß er im März 1878 seine Entlassung nehmen mußte. Erst im April 1887 wurde C., der nichtsdestoweniger großen Einfluß im Parlament behauptet hatte, wiederum als Minister des Innern in das Kabinett Depretis aufgenommen und nach Depretis' Tode 29. Juli zum Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen ernannt, in dem er daneben auch das Innere behielt. Er suchte nun das Bündnis Italiens mit Deutschland und Österreich noch enger zu knüpfen, indem er Bismarck wiederholt in Friedrichsruh besuchte und auch mit Kalnoky 1888 in Karlsbad eine Zusammenkunft hatte; 1889 begleitete er den König Humbert nach Berlin, wo er sehr gefeiert wurde. Dagegen brach er die Verhandlungen mit Frankreich über einen Handelsvertrag ab. Er wurde deswegen von seinen frühern Gesinnungsgenossen, den zu Frankreich neigenden Radikalen, und von der französischen Presse aufs heftigste angegriffen, und 13. Sept. 1889 ward in Neapel ein Attentat (Steinwurf) auf ihn verübt. Seine Politik wurde jedoch von der Mehrheit des Volkes gebilligt, zumal der Dreibund den Frieden sicherte und der mit König Menelik von Abessinien geschlossene Vertrag vom Mai 1889 auch die italienische Kolonialpolitik ihrer schwersten Sorgen enthob. So schien der Regierung Crispis eine lange Dauer gesichert, und die Neuwahlen vom Oktober 1890 verschafften ihm eine überwältigende Majorität in der Kammer. Als C. nun aber, um die Staatsfinanzen zu ordnen, Vereinfachungen in der Verwaltung und neue Abgaben vorschlug, vereinigte sich die Rechte mit einem großen Teil der Linken gegen ihn; C. blieb 31. Jan. 1891 in der Minderheit und gab seine Entlassung. Er nahm nun seine Advokatur in Rom wieder auf, behauptete aber seinen Einfluß in der Kammer, hatte schon im Mai 1892 an dem Sturz des Ministeriums Rudini Anteil und übernahm nach dem Rücktritt Giolittis im November 1893 wieder die Bildung eines Ministeriums. Als Minister des Innern schritt er gegen die anarchistischen Umtriebe ein und unternahm eine Reform der Finanzen, wurde aber durch die Niederlage der Italiener bei Adua in Abessinien (1. März 1896), infolge deren die von ihm begünstigte Eroberungspolitik scheiterte, zum Rücktritt genötigt. Bei den Neuwahlen im März 1897 wurde seine Partei geschlagen; C. selbst wurde angeklagt, daß er als Winister von dem Direktor der Filiale der neapolitischen Bank in Bologna, Favilla, geborgte Gelder in unrechtmäßiger Weise verwendet habe. Auf Antrag eines zur Untersuchung dieser Beschuldigung niedergesetzten Ausschusses beschloß die Kammer 24. März 1898 zwar von einem gerichtlichen Verfahren gegen C. abzusehen, aber einen politischen Tadel gegen seine Handlungsweise auszusprechen. Darauf legte C. sein Mandat als Deputierter nieder. wurde aber mit großer Majorität wieder gewählt; seine Popularität in Sizilien hatte auch durch diese Vorfälle nicht gelitten und trat bei der Feier seines 80. Geburtstages im Oktober 1899 aufs neue zutage. Eine Sammlung seiner »Scritti e discorsi politici« erschien 1890 in Rom (2. Aufl. 1903). Vgl. Barth, Francesco C. (2. Aufl., Leipz. 1896); L. Fortis, C., note biografiche (Rom 1895); »C. bei Bismarck, aus dem Reisetagebuch eines Vertrauten etc.« (übersetzt von Laufer, Stuttg. 1894); Margiotta, Franc. C., son œuvre néfaste (Grenoble 1898); Stillman, Francesco C., insurgent, exile, revolutionist, and statesman (Lond. 1899).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.