- Christenverfolgungen
Christenverfolgungen, die notwendige Gegenwirkung des Heidentums auf das innerhalb seines Gebietes sich ausbreitende Christentum. Den Römern war die Religion vorzugsweise Staatsangelegenheit. Lediglich aus Staatsklugheit hatte man den unterjochten Völkern ihre Götter gelassen, auch den Juden die Ausübung ihrer Religion erlaubt. Je mehr sich nun das Christentum vom Judentum loslöste, desto mehr verlor es das Recht einer erlaubten Religion (religio licita); die Aufnahme und Verbreitung einer unerlaubten (religio illicita) aber galt, zumal in der gegen alle Neuerungen und Vereine so argwöhnischen Kaiserzeit, als Verbrechen gegen die Staatsgesetze. Überdies mußte gerade diese Religion, neu und gewissermaßen unfaßbar, weil ohne jede Volkstümlichkeit, ohne Götterbilder, ohne Tempel, Altäre und Opfer, dazu in ihren gottesdienstlichen Verrichtungen bald vom Schleier des Geheimnisses umgeben, als ganz besonders verdächtig erscheinen, zumal da ihre Anhänger sich weigerten, die Zeremonien der römischen Staatsreligion als allgemeine Bürgerpflicht zu verrichten, der Büste des Kaisers als Ausdruck der Untertanenehrfurcht Weihrauch zu streuen oder an kaiserlichen Geburtstagen, bei Siegesfesten u. dgl. an den heidnischen öffentlichen Lustbarkeiten teilzunehmen. Nun sollten aber die Teilnehmer an unerlaubten und geheimen Versammlungen (collegia illicita) sowie die der Ehrfurchtsverletzung gegen die Kaiser (impietas in principes) Angeklagten nach römischem Gesetz gefoltert, die Geringern (humiliores) unter ihnen den Bestien vorgeworfen oder lebendig verbrannt, die Vornehmern (honestiores) zum Tode durch das Schwert verurteilt werden. Speziell wurde der Dienst eines unsichtbaren, nicht abzubildenden Gottes als Atheismus und Sakrilegium betrachtet; die sacrilegi aber verdammte das römische Gesetz zum Kampf mit wilden Tieren oder zum Kreuzestod. Wirkliche oder angebliche Heilungen, der von den Christen ausgeübte Exorzismus, gaben Anlaß zur Beschuldigung der Magie, die den erwiesenen Zauberern den Flammentod, den übrigen an der magischen Handlung Beteiligten die Strafe der Kreuzigung etc. nach römischem Gesetze zuzog. Hatte in dem religiösen Verhalten der Christen der Staat somit eine gewisse Veranlassung, dieselben der Auflehnung gegen seine Einrichtungen und Gesetze zu beschuldigen und zu bestrafen, so gingen doch die Verfolgungen noch häufiger vom heidnischen Volk aus, das im Götzendienst den Quell seines Erwerbes (heidnische Priester, Goëten, Götzenbildverfertiger und Händler) verteidigte und voll Haß jede Handlung eines Christen mit Argwohn betrachtete; so ward von ihm der Genuß des geheiligten Leibes als ein thyestisches Gastmahl, die allgemeine Bruderliebe als Vorwand der Unzucht verdächtigt. Alle öffentlichen Unglücksfälle wurden sofort als Strafgerichte der über ihre Verachtung erzürnten Götter dargestellt. Den Vornehmen und im Geiste der alten Welt Gebildeten endlich war das Christentum der finstere Aberglaube eines betörten Pöbels.
Zu den eigentlichen und planmäßigen Verfolgungen ist es noch nicht zu zählen, wenn in Rom (64 n. Chr.) die tyrannische Laune eines Nero die Schuld an dem Brande der Stadt auf die Christen wälzt und sie kreuzigen oder in die Felle wilder Tiere einnähen und den Hunden zur Zerfleischung vorwerfen oder, mit brennbaren Stoffen überzogen, gleich Fackeln anzünden läßt. Auch unter Domitian (81–96) wurde die Anklage auf Christentum als eine Art Hochverrat nur benutzt, um einzelne Konfiskationen, Verbannungen und Hinrichtungen, wie es scheint selbst gegen zwei Mitglieder der kaiserlichen Familie, T. Flavius Clemens und Flavia Domitilla, durchzusetzen. Erst seit den Zeiten des Kaisers Trajan beginnt der eigentliche Christenprozeß. Wer auf eine förmliche Anklage nicht von der verbotenen Verbindung zurücktreten und dies durch religiöse Huldigung vor dem Kaiserbilde beweisen wollte, verfiel dem Tode. Das Reskript Trajans vom Jahr 112 an Plinius, den Statthalter von Bithynien, das den Christenprozeß in dieser Weise instruiert hatte, wurde unter Trajans Nachfolgern bald laxer, bald strenger gehandhabt. Ersteres gilt namentlich von Hadrian (117–138) und von Antoninus Pius (138–161), trotzdem unter diese Regierung die Verfolgung in Smyrna, die dem Bischof Polycarpus (s.d.) das Martyrium bereitete (155), fällt. Eine schärfere Praxis befolgte Marcus Aurelius (161–180), wovon namentlich die blutige Verfolgung in Lugdunum (Lyon) und Vienna (Vienne) im südlichen Gallien (177) Zeugnis ablegt. Septimius Severus untersagte 202 den Übertritt vom Heidentum zum Judentum oder Christentum, was neue Verfolgungen der Christen in Ägypten und im prokonsularischen Afrika zur Folge hatte. Alexan der Severus (222–235), beeinflußt von seiner Mutter Julia Mammäa, stellte dagegen das Bild Christi unter seine Hausgötter. Ebendies war für seinen Mörder und Nachfolger Maximinus Thrax (235–238) Grund genug zu entgegengesetzter Praxis. Eine nur kurze Zeit der Ruhe kam unter Philippus Arabs (241–249), welcher der Sage nach selbst ein Christ gewesen sein soll. Dagegen erging unter Decius (249–251) die erste planmäßige Verfolgung aus national-religiösen Motiven über die Christenheit des ganzen Reiches. Unter Gallus (251–253) und Valerianus (253–260) dauerten, mit besonderer Heftigkeit seit 257, diese Leiden fort; man suchte die Kirche hauptsächlich durch Verfolgung ihrer Beamten zu Grunde zu richten. Es folgte eine unter Gallienus eingeleitete Friedenszeit von mehr als 40 Jahren. Auch Kaiser Diocletianus (284–305) zeigte sich anfangs den Christen gewogen, begann dann aber teils infolge seines Bestrebens, die alte Herrlichkeit des Reiches, somit auch die alte Staatsreligion wiederherzustellen, teils auch angereizt von seinem Schwiegersohn, dem Cäsar Galerius, gegen die Christen einen Kampf auf Leben und Tod. Dieser Kampf hob an mit der Zerstörung der Kirche von Nikomedia (303). Ein sogleich folgendes kaiserliches Edikt gebot, alle Tempel der Christen zu zerstören und ihre heiligen Bücher zu verbrennen; christlichen Staatsbeamten sollten ihre Würden genommen, römische Bürger zu Sklaven degradiert werden, Sklaven die Hoffnung auf Freiheit verlieren; gegen alle Christen sollte bei der gerichtlichen Untersuchung die Folter angewendet werden. Dem ersten folgten andre Gesetze, das eigentliche Blutedikt zu einer-Zeit, als Diokletian krank und regierungsunfähig daniederlag (30. April 304). Ihren Höhepunkt erreichte die Verfolgung, als nach Diokletians Abdankung 305 im Osten Galerius Augustus und der abergläubische und grausame Maximinus Daza Cäsar wurde, während im Westen unter dem Augustus Constantius Chlorus und nach seinem Tod (308) unter seinem Sohne Konstantin die Christen verhältnismäßig ruhige Tage hatten. Schon der vielgequälte Galerius erließ auf dem Krankenlager im Verein mit Konstantin und Licinius, dem Titularaugustus für Pannonien und Italien, ein Edikt, wodurch den Christen unter der Bedingung, daß sie nichts gegen die Ordnung des Staates unternähmen, Duldung zugesagt wurde. Aber erst Konstantins Sieg über den Usurpator Maxentius am Pons Milvius bei Rom (28. Okt. 312) brachte die entscheidende Wendung (s. das Weitere im Art. »Konstantin der Große«). – Aus der reichen neuern Literatur vgl. man besonders Overbeck, Studien zur Geschichte der alten Kirche (Chemn. 1875); Aubé, Histoire des persécutions de l'Église (Par. 1875, mit den Fortsetzungen); Keim, Rom und das Christentum (Berl. 1881); Allard, Histoire des persécutions du I. an IV. siècle (Par. 1885–90, 5 Bde; kurz zusammengefaßt u. d. T.: »I, e christianisme et l'empire romain«, 2. Aufl., das. 1901); Neumann, Der römische Staat und die allgemeine Kirche bis auf Diokletian (Bd. 1, Leipz. 1890); Mommsen, Der Religionsfrevel nach römischem Recht (in der »Historischen Zeitschrift«, Bd. 64, 1890); Ramsay, The Church in the Roman Empire before a. D. 170 (5. Aufl., Lond. 1898); Hardy, Christianity and the Roman government (das.); Conrat, Die C. im römischen Reich vom Standpunkte des Juristen (Leipz. 1897); Weis, Christenverfolgungen (Münch. 1899); Burckhardt, Das Zeitalter Konstantins d. Gr. (3. Aufl., Leipz. 1899).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.