- Tauerei
Tauerei (Kettenschiffahrt, Seilschiffahrt, Touage, Halage), eine Art der Schleppschiffahrt, bei der längs des Fahrwassers eine Kette oder ein Seil über den Boden ausgespannt und an beiden Enden verankert ist, während ein Teil der Kette oder des Seiles sich auf dem Schiff um Trommeln schlingt, die durch die Maschine des Schiffes gedreht werden. Der auf diese Weise bewegte Ketten-, Schlepp- oder Seildampfer dient als Schleppschiff (Tauer), dem die Lastschiffe angehängt werden. Die ersten Versuche mit der T. wurden 1732 auf Veranlassung des Marschalls Moritz von Sachsen angestellt; zur Ausführung kam die T. aber erst 1820 in Lyon auf der Saône durch Tourasse und Courteaut; 1853 kam die T. auf der Seine in Anwendung. Auch andre französische Flüsse und Kanäle wurden mit der Kette versehen, und bald folgten Belgien und Holland dem Beispiel. In Deutschland wurde die erste T. 1866 auf der 3/4 Meile langen Elbstrecke zwischen Neustadt und Buckau ausgeführt und damit zugleich die Rentabilität der T. für die meisten schiffbaren Flüsse außer Zweifel gesetzt. 1871 wurde die Linie von Magdeburg bis zur böhmischen Grenze eröffnet und 1873 auch die Strecke von der Mündung der Saale bis Kalbe in Betrieb gesetzt. Seitdem hat die T. auch auf andern deutschen Flüssen Verwendung gefunden, auf dem Rhein seit 1877 (zuerst Ruhrort-Emmerich), auf Havel und Spree seit 1882. auf dem Main und Neckar etc. Am großartigsten ist der Tauereiverkehr in den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf Flüssen und Seen entwickelt. Der in Magdeburg angewandte Kettendampfer ist aus Eisen, 51,3 m lang, 6,7 m breit und hat 48 cm Tiefgang. Er hat an beiden Enden Steuerruder, die von der Mitte des Schiffes aus bewegt werden. Mit Hilfe dieser Steuerung ist es möglich, das Schiff auch in andrer als der Richtung der Zugkette zu steuern, ohne daß deren Auswickelung gestört wird. Dies ist auf gekrümmten Stromstrecken sehr wichtig. Auf dem Hinterteil des Schiffes befinden sich zwei Trommeln von 1,1 m Durchmesser und 2,6 m gegenseitiger Achsenentfernung, von denen jede mit vier Rinnen versehen ist. Die Kette, die vorn am Schiff aus dem Wasser emporgehoben wird, läuft in einer schrägen Rinne zu den Trommeln und schlingt sich um jede 31/2mal Zuletzt wird sie in einer schräg abfallenden Rinne an das hintere Ende des Schiffes geleitet und sinkt in das Wasser zurück. Die Betriebsdampfmaschine hat 60 Pferdekräfte. Die größern Kettendampfer befördern eine Last, die so groß ist wie die von 4–8 Güterzügen von 100 Achsen, können also nur von sehr großen Lastdampfern überboten werden. Da bei Flüssen mit geringer Wassertiefe nur Raddampfer konkurrieren können, hat man die Leistungsfähigkeit der Kettendampfer festgestellt: die T. erlangt den Vorteil beim Gefälle 0,000250, die Raddampfer finden störende Schwierigkeiten beim Gefälle 0,000400, die Raddampfer müssen verzichten beim Gefälle 0,000500. Bei Seilen wendet man die von Fowler für Dampfpflüge konstruierte Klappentrommel an, die in der Mitte des Schiffes an der einen Seitenwand angebracht ist. Das auf der Maas angewandte Drahtseil hat 25 mm Durchmesser und ist aus 42 eisernen Drähten zusammengesetzt. Es wiegt 1 m 2,25 kg, während die Kette bei einem Durchmesser von 26 mm 15 kg wiegt. Kette und Seil stehen sich nach bisheriger Erfahrung folgendermaßen gegenüber: die Eigentümlichkeit der seitlichen Seilführung verlangt stärkere Schiffskonstruktion und größern Tiefgang. Die Steuerung wird nach einer Seite erschwert, Brüche der Seile sind nur durch längere Arbeit (Splissung) auszubessern, während Ketten nur umgeschäkelt zu werden brauchen. Ketten legen sich besser auf den Grund als Taue. Hingegen ist ein Seil dauerhafter, wenn auch teurer, und deshalb werden steile Strecken, wie z. B. das Binger Loch, mit großem Erfolg mit Seil befahren; Seile sind auch leichter als Ketten, und das Geräusch der Seildampfer ist geringer als das der Kettendampfer. Die Vorteile der T. sind: die Frachtspesen werden geringer teils wegen des geringern Kohlenverbrauchs im Vergleich zu den gewöhnlichen Dampfschleppschiffen, teils weil die Bedienung der Fahrzeuge verkleinert werden kann. Nach Meitzen berechnen sich die Kosten der Zugkraft bei einem Schiff von 7000 Ztr. Tragkraft unter gleichen Bedingungen pro Zentner und Meile für Pferdezug auf 0,16, Schleppdampfer auf 0,04, T. auf 0,01–0,02 Pf. Der Wellenschlag, den die Raddampfer erzeugen, fällt weg, und die Beförderung wird schneller und regelmäßiger, so daß bei leidlichem Wasserstand die Lieferungszeiten genauer innegehalten werden. Die großen Dampfer der tiefern Ströme sind mit ihren Verbundmaschinen den Kettendampfern in der Konkurrenz gefährlich geworden, das häufige Brechen der Ketten trug dazu bei, sie in Mißkredit zu bringen; doch hat man durch verbesserte Einrichtungen, wie z. B. Anwendung der Bellingrathschen Patentkettenräder, letzterm Übelstand abgeholfen. Vgl. Hoffmann, Über Kettenschleppschiffahrt und deren Einführung auf der Elbe (Dresd. 1869); Schmidt, Mitteilungen über die Kettenschifffahrt auf der Oberelbe (das. 1870); Eyth, On towingboats on canals and rivers by a fixed wire-rope and clip-drum, in »Artisan« 1870; Werneburg, Die Kettenschiffahrt auf dem kanalisierten Main (Frankf. 1880); E. Bellingrath, Reform der Mainschiffahrt (Dresd. 1880) und Studien über Bau und Betriebsweise eines deutschen Kanalnetzes (Berl. 1879); Schanz, Die Kettenschleppschiffahrt auf dem Main (Bamb. 1893).
Bei der elektrischen T. werden die Schiffe meist mit Hilfe elektrischer Lokomotiven, die auf dem Leinpfad laufen, gezogen. Der Leinpfad ist dazu mit zwei, auch nur mit einer Schiene belegt, auf der das eine Rad läuft, während das andre, mit sehr breitem Kranze versehene auf dem Straßenkörper sich bewegt, der zu diesem Zwecke gut chaussiert sein muß. Man läßt aber auch die Lokomotive nach Art der Automobile ohne weiteres auf dem Straßenpflaster laufen. Den Strom entnehmen die Lokomotiven aus mitgeführten Sammlerbatterien oder aus einer Zentrale mittels Kontaktrollen, die an einem Fahrdraht anliegen. Versuche mit elektrischer Treidelei wurden 1899 von Siemens u. Halske nach dem System Köttgen auf dem Finowkanal ausgeführt, die deren Zweckmäßigkeit bewiesen. 1903 ist von den Siemens-Schuckert-Werken eine elektrische Treidelei auf dem Teltowkanal dem Verkehr übergeben worden. Die Lokomotive läuft auf Schienen; betrieben wird sie durch Gleichstrom, den ein Fahrdraht mit Kontaktrolle zuführt, ein zweiter ebensolcher, um der Rückleitung durch die Schienen überhoben zu sein, zur Maschine zurückführt. Die Lokomotive besitzt einen hochsteilbaren Mast, um die Schlepptrosse über die am Ufer liegenden Schiffe hinwegzuheben, und eine mit dem Motor durch eine Reibungskuppelung verbundene Winde, damit die Trosse beim Anfahren sich abwickeln und das zu schleppende Schiff langsam in Bewegung setzen, nach Eintritt der vollen Geschwindigkeit (5 km in 1 Stunde bei Schleppen von zwei Kähnen) aber wieder aufgewunden werden, auch bei einem etwaigen Hängenbleiben der Trosse leicht nachgeben kann. Statt der Lokomotive kann auch ein Boot zum Fortbewegen der Schiffe benutzt werden, das durch Sammler oder durch den Strom, den mitgeschleppte Rollen (Laufkatze) von dem am Ufer aufgespannten Fahrdraht abnehmen, betrieben wird. Auf dem 80 km langen Kanal zwischen Brüssel und Charleroi laufen, seit 1899 Gérard das von ihm eingeführte System der Treidelei dort zur Anwendung gebracht hat, die mit transformiertem Drehstrom gespeisten Lokomotiven auf Schienen. Sie haben eine mittlere Zugkraft von 75 kg auf 1 qcm und bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 2–4,8 km in der Stunde. Zwei sich begegnende Schiffe tauschen in Deutschland und in Belgien ihre Lokomotiven aus, die alsdann zurückkehren, so daß Ausweichestellen nicht erforderlich sind. Bei der Treidelei am Eriekanal aber legen die Lokomotiven stets die ganze Strecke zurück und gehen an besondern Ausweichstellen aneinander vorbei, die möglichst neben den 95 vorhandenen Schleußen angeordnet worden sind. Auf dem Kanal, der 18 Städte berührt, gehen täglich etwa 100 Schiffe, die in Zügen von 5–7 geschleppt werden. An einzelnen Stellen muß die Lokomotive auf das andre Kanalufer übertreten; dies geschieht auf Zugbrücken, die ausgezogen werden, sobald sie die Lokomotive passiert hat, um dann die Schiffe durchzulassen. Nach den am Finowkanal gemachten Erfahrungen betragen die Kosten bei 3,5 Mill. Ton. jährlich und Kähnen von 600 T. Tragfähigkeit 0,1 Pf. für das Tonnenkilometer, ein Betriebsergebnis, das für größere Anlagen, wie der Mittellandskanal, von Bedeutung ist. Pferdetreideln und Dampfschleppschiffahrt verursachen höhere Kosten.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.