Scheffel [2]

Scheffel [2]

Scheffel, Joseph Viktor von, namhafter Dichter, geb. 16. Febr. 1826 in Karlsruhe, gest. daselbst 9. April 1886. Sein Vater war Major im badischen Geniekorps und Oberbaurat; seine Mutter Josephine, geborne Krederer (geb. 22. Okt. 1803 in Oberndorf, gest. 5. Febr. 1865 in Karlsruhe), war eine begabte Gelegenheitsdichterin, die sich auch dramatisch versuchte, vielfach philanthropisch betätigte und sehr schön Märchen erzählte (mit A. v. Freydorf gab sie heraus: »In der Geißblattlaube, ein Märchenstrauß«, Dresd. 1886). 1843–47 studierte S. in München, Heidelberg und Berlin Rechtswissenschaft, aber auch Philosophie und Kunstgeschichte (germanistische Studien betrieb er erst viel später, während und nach seiner juristischen Praxis), promovierte zum Doktor der Rechte und begleitete im Sommer 1848 den Reichskommissar Welcker als Sekretär auf seiner Reise nach Lauenburg in Sachen Schleswig-Holsteins. 1850–1851 arbeitete S. als Rechtspraktikant in Säckingen, 1852 im Sekretariat des Hofgerichts zu Bruchsal, doch entsagte er der juristischen Laufbahn, auch nachdem er 1854 zum Referendar ernannt worden war. Er wollte Maler werden und zog deshalb im Mai 1852 nach Rom. Hier aber gelangte er zur Erkenntnis, daß er nicht zur Malerei, sondern zur Dichtkunst veranlagt sei, und im Winter 1853 schrieb er einsam auf Capri sein dichterisches Erstlingswerk: »Der Trompeter von Säckingen«, ein Sang vom Oberrhein (Stuttgart 1854, 272. Aufl. 1905), das mit dem kurze Zeit später in Heidelberg und in einer Meierei am Fuße des Hohentwiel gereiften und geschriebenen historischen Roman »Ekkehard« (Frankf. a. M. 1857; 214. Aufl., Stuttg. 1906; Illustrationen von H. Jenny, Hamb. 1898, und von Stumpf, Düsseld. 1903) seinen Ruhm begründete. Beide Werke ließen in S. einen durch Originalität, die prächtigste Frische und einen seltenen Humor ausgezeichneten Dichter erkennen, dem noch dazu aus der Fülle innerer Anschauung und lebendig gewordener Studien die reichsten Farben für Schilderung verschiedener Zeiten und Zustände zu Gebote standen. Durch sein »Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren« (Stuttg. 1867, 66. Aufl. 1904) wurde S. der Liebling der deutschen Studenten. Die Mehrzahl der darin gedruckten Gedichte, die um ihrer geistreichen Frische und ihres keck studentischen Tones willen so außerordentlichen Beifall fanden, entstand in Heidelberg, wo sich S. 1854 und dann noch häufig aufhielt. 1856–57 lebte er in München, mit einem Roman beschäftigt, an dessen Ausführung ihn der schmerzliche Tod seiner Schwester störte, und der niemals vollendet wurde; 1858–59 in Donaueschingen, wo er Bibliothek und Archiv des Fürsten Egon von Fürstenberg ordnete und katalogisierte. Nach verschiedenen Reisen in Italien und Frankreich (Rhone) ließ er sich 1864 dauernd in Karlsruhe nieder, wo er noch in demselben Jahre Karoline v. Malzen, die Tochter des bayrischen Gesandten, heiratete. Gelegentlich seines 50. Geburtstages (1876), der für den inzwischen berühmt Gewordenen von ganz Deutschland gefeiert wurde, ward S. vom Großherzog von Baden in den erblichen Adelstand erhoben. Seine spätern Dichtungen konnten aber die Beliebtheit der ersten nicht erreichen. In »Frau Aventiure. Lieder aus Heinrich von Ofterdingens Zeit« (Stuttg. 1863, 19. Aufl. 1902) sowie in der Erzählung: »Juniperus. Geschichte eines Kreuzfahrers« (das. 1868, 5. Aufl. 1895) überwogen die zum Erweis gründlicher Studien dienenden Einzelzüge zwar nicht die warme Darstellungskraft, aber sie nahmen diesen Dichtungen doch die volle Unmittelbarkeit. Beide waren gleichsam Splitter eines geplanten großen historischen Romans, der die Entstehung des Nibelungenliedes und den Sängerkrieg auf der Wartburg schildern sollte, aber unausgeführt blieb. Ferner veröffentlichte S.: »Bergpsalmen« (Stuttg. 1870, 7. Aufl. 1907); das lyrische Festspiel: »Der Brautwillkomm auf Wartburg« (Weim. 1873); »Waldeinsamkeit«, Dichtungen zu zwölf landschaftlichen Stimmungsbildern von Jul. Mařak (Stuttg. 1880, 6. Aufl. 1903); »Der Heini von Steier«, Dichtung (Münch. 1883) und »Hugideo. Eine alte Geschichte« (Stuttg. 1884, 9. Aufl. 1900). Zu einer Anzahl seiner Werke hat Anton v. Werner treffliche Illustrationen geliefert. Die letzten Jahre seines Lebens brachte S. weltflüchtig auf seiner Besitzung zu Radolfzell am untern Bodensee zu. Peinliche Lebenserfahrungen hatten die Reizbarkeit des ursprünglich so heiter veranlagten Dichters gesteigert, und er suchte die Einsamkeit. In Heidelberg wurde 1891 sein Standbild aus Erz errichtet, 1892 in Karlsruhe seine Büste, von Volz, weitere Denkmäler in Mürzzuschlag (1895), im Eichenhain Serpentara bei Olevano Romano (1897), in Säckingen (1901), auf dem Aggstein (1903; vgl. »S., Blätter zur Erinnerung etc.«, Wien 1903) u.a.; ein großes Nationaldenkmal am Bodensee wird geplant. Nach seinem Tod erschienen noch: »Fünf Dichtungen« (Stuttg. 1887, 2. Aufl. 1898); »Reisebilder« (hrsg. von J. Proelß, das. 1887; 3. Aufl. 1904), »Gedichte aus dem Nachlaß« (das. 1888, 4. Aufl. 1889), »Aus Heimat und Fremde«, Lieder und Gedichte (das. 1892, 2. Aufl. 1902), »Episteln« (das. 1892, 2. Aufl. 1901), »Das Gabelbachlied« (Ilmenau 1900) und »Scheffels Briefe an Karl Schwanitz, nebst Briefen der Mutter Scheffels« (Stuttg. 1906). Scheffels »Briefe an Schweizer Freunde« gab A. Frey (Zür. 1898) heraus. Seine »Gesammelten Werke« erschienen in 6 Bänden (Stuttg. 1907, mit biographischer Einleitung von J. Proelß). Vgl. Zernin, Erinnerungen an Joseph Viktor v. S. (2. Aufl., Darmst. 1887); Ruhemann, Joseph Viktor v. S., sein »Leben und Dichten« (Stuttg. 1887); Pilz, Viktor v. S. (Leipz. 1887); J. Proelß, Scheffels Leben und Dichten (Berl. 1887; Volksausgabe: »S., ein Dichterleben«, Stuttg. 1902); Ad. Hausrath, S. und Anselm Feuerbach (in der »Deutschen Rundschau«, 1887); »Literaturbilder fin de siècle; I.: S.« (Leipz. 1896); Weiß, Hohentwiel und Ekkehard in Geschichte, Sage und Dichtung (St. Gallen 1900); Ford, S. als Romandichter (Dissertation, Münch. 1900); Luise v. Kobell, J. V. v. S. und seine Familie (Wien 1901); Boerschel, J. V. v. S. und Emma Heim, eine Dichterliebe (Berl. 1906). – Der 1890 in Wien gegründete Scheffelbund veröffentlichte: »Scheffel-Gedenkbuch« (Wien 1890, Dresd. 1895) und ein Jahrbuch u. d. T. »Nicht rasten und nicht rosten« (Leipz. 1897, Berl. 1898, Wien 1900 ff.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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