Schantung [2]

Schantung [2]

Schantung, Küstenprovinz im nordöstlichen China (s. die Karten bei Artikel »China«), mit der Halbinsel S., die weit ins Gelbe Meer vorspringt und es in ein inneres und ein äußeres Gelbes Meer scheidet, auf der Landseite begrenzt durch die Provinzen Tschili im N. und W., Honan und Kiangsu im Süden, umfaßt 145,000 qkm, die letzten Volkszählungen, die in China wenig zuverlässig sind, geben die Einwohnerzahl ziemlich übereinstimmend mit 37 Millionen (255 auf 1 qkm) an, wonach S. die am dichtesten bevölkerte Provinz von China wäre. Nach der Bodengestaltung zerfällt S. in eine östliche und eine westliche Hälfte, die durch das Tal des Weiho geschieden sind; die erstere begreift das Gebiet der Halbinsel in sich. In beiden Teilen ist der geologische Bau und der landwirtschaftliche Charakter wesentlich verschieden. Die Halbinsel S. ist durchaus gebirgig mit Ausnahme einer Senke, die von der Kiautschoubucht in einer Breite, die beim Pimosee 40 km erreicht, etwa nach NW. und dann nach N. zieht. Die Gebirge bestehen hauptsächlich aus Urgesteinen mit Zügen von altpaläozoischen Schichten; dazu kommen an der Nordküste einige vulkanische Bildungen. Die Gebirge, die ein hohes Alter besitzen, sind in großer Ausdehnung vis auf eine sanftwellige Fläche abgetragen, ragen aber an der Südküste in der Umgebung der Kiautschoubucht bis über 1000 m (Lauschan 1130 m) und im nördlichen Teil der Halbinsel bis gegen 850 m auf und haben in diesen Teilen wild zerrissene Formen; auch ist die Küste fast durchweg steil. Die westliche Hälfte von S. ist größtenteils gleichfalls ein Gebirgsland, das aber im N., W. und Süden von einer ebenen Zone umgeben wird. Der Gebirgsbau besteht im Gegensatz zu dem der Halbinsel S. aus einer Anzahl von gegeneinander verschobenen und verschieden geneigten Schollen, die nach N. einfallen und am Südrand Urgesteine, auf der nördlichen Abdachung paläozoische Gesteine aufweisen. Letztere reichen hier bis in die Kohlenformation hinein, die in Ostschantung fehlt. Außerdem findet sich hier Löß (s. d.) in weiter Verbreitung, der im O. gleichfalls fehlt. Der höchste Gipfel von S. überhaupt ist der Taischan, der heilige Berg des Ostens, auf dem früher zeitweise die chinesischen Kaiser einen Gottesdienst abhielten, mit 1545 m Höhe. Die Gewässer sind auf der Halbinsel S. kurze Küstenflüsse, der beiderseitige Abfluß der erwähnten Senke ist durch einen Kanal verbunden, so daß ein freilich für die Schiffahrt nicht mehr benutzbarer Wasserweg von der Kiautschoubucht bis zum innern Gelben Meer führt. Im westlichen Teil der Provinz ziehen die Gewässer teils nördlich zum Hwangho oder unabhängig von ihm in kürzerm Lauf zur Küste, teils südwärts zum alten Lauf des Gelben Flusses und zum Kaiserkanal (s. d. 2). Der Hwangho durchschneidet die Provinz bis zu seiner Mündung in der Richtung von SW. nach NO., indem er den Westrand des Gebirges gerade berührt; für die Schiffahrt ist er nur auf kurzen Strecken benutzbar. Auch der Kaiserkanal, der an der Nordgrenze eintritt und das Gebirgsland bis zur Südgrenze umgeht, ist für Handel und Verkehr nur noch wenig brauchbar. Das Klima weist ziemlich bedeutende jahreszeitliche Gegensätze auf und steht unter dem Einfluß des Monsunwechsels; die Winter sind bei nördlichen Winden kalt und trocken, die Sommer bei südlichen Winden warm (Mittel 25–28°) und feucht. Im Sommer fallen zwei Drittel der gesamten Regenmenge (etwa 600 mm). Diese an sich günstige Regenverteilung erleidet zuweilen Störungen, die sich einerseits in Dürren, anderseits in Überschwemmungen bekunden. In den Gebirgen ist das Klima rauher, Schneefall häufig. Im ganzen ist es als gesund zu bezeichnen. Die Tierwelt ist die des nördlichen China. Der früher angeblich große Wildreichtum ist jetzt fast ganz auf Hafen und Geflügel beschränkt, in den Gebirgen sollen auch Wölfe und Füchse vorkommen. An den Flüssen wird Fischerei getrieben, im westlichen Teil auch mit Hilfe von Kormoranen. Die Pflanzenwelt ist infolge der rücksichtslosen Entwaldung der Berge sehr spärlich. Baumgruppen finden sich nur in der Nähe der Dörfer und auf den Gräbern. Unter den Mineralschätzen nimmt die Steinkohle weitaus den ersten Rang ein und besitzt im Gebirgsland des westlichen S. eine große Verbreitung. Von hervorragender Bedeutung sind die Kohlenfelder von Weihsien und Poschanhsien am Nordrand, von Itschoufu am Südrand (s. unten). Über das Vorkommen von Gold, das früher übertriebene Hoffnungen erweckte, sind sichere Kenntnisse noch nicht vorhanden; auch Silber, Kupfer, Blei und Eisen scheinen wenig Aussicht zu bieten. Edelsteine sind nicht bekannt; ausgebeutet werden Bergkristrall, Amethyst, Speckstein und ähnliches.

Die Einwohner zeichnen sich durch einen größern und kräftigern Körperbau, dunklere Haut und weniger schief gestellte Augen vor ihren Nachbarn aus, vielleicht wegen ihrer Abstammung von vorchinesischen Urstämmen (Lai und Kiau). Am dichtesten ist die Bevölkerung in den zur Großen Ebene gehörigen Teilen, demnächst in den fruchtbaren Tälern des Südwestens, während die kahlen Gebirgsländer fast unbewohnt sind. Als die größten Städte werden bezeichnet: Weihsien mit 250,000, Töngtschoufu mit 230,000, die Hauptstadt Tsinanfu mit 200,000. Tschifu (s. d.) mit 75,000, Kiautschou mit 60,000 Einw. Im ganzen sind vermutlich etwa 80 Städte mit mehr als 10,000 Einwohnern vorhanden, kleinere Ansiedelungen in den ebenen Gebieten dicht gesät. Das Missionswesen wird von den Katholiken schon seit dem 17. Jahrh. betrieben, die jetzt in Nordschantung (Bischofssitz in Tsinanfu) 400 Gemeinden mit 15,000 Christen zählen, auch zahlreiche Schulen unterhalten. Für Ostschantung (Bischofssitz Tschifu) werden 5000 katholische Christen angegeben. In Südschantung wirken seit 1881 die deutsche katholische Mission aus Steyl und mehrere protestantische Missionsanstalten mit je 20,000 Anhängern (neuerdings namentlich Deutsche neben Engländern und Amerikanern). Die Ermordung zweier deutscher Missionare führte 1897 zur Besetzung von Kiautschou (s. d., S. 888). Die Hauptbeschäftigung der Bewohner ist der Ackerbau, der auf künstlicher Bewässerung und sorgfältiger Düngung beruht. Kulturpflanzen sind namentlich Weizen, unter den Hülsenfrüchten besonders Bohnen, außerdem Reis, Durra, Buchweizen, Baumwolle, Hanf, Tabak, Mohn (zur Opiumbereitung), Ölfrüchte (Ausfuhr von Ölkuchen), Gemüse etc. Seide wird in den günstigen Lagen von Maulbeerspinnern, in den Bergen der Halbinsel vom wilden Eichenspinner gewonnen. Die Industrie ist bis auf einige Plätze gering, unter denen die Kreisstadt Poschan die wichtigste Stelle einnimmt; hier wird unter Ausnutzung der Kohlenlager hauptsächlich eine bedeutende Töpferei, ferner Bereitung von Eisenvitriol und Eisenwaren (aus eingeführten Erzen) und eine sehr erhebliche Glasindustrie betrieben. Ferner sind zu erwähnen die Seidenverarbeitung und Bereitung von Strohgeflechten und die Herstellung von Öl und Ölkuchen. Eine bedeutende Förderung hat die Industrie durch den Eingriff deutscher Unternehmungen von Kiautschou (s. d.) aus erfahren, namentlich durch die Schantung-Bergbaugesellschaft, die eine Anzahl von Kohlengruben in der Gegend von Weihsien und Poschan in Angriff genommen hat. Auch der Gewinnung und Verbesserung der wilden Seide wird große Aufmerksamkeit zugewandt. Die Verkehrsverhältnisse, die früher durch den schlechten Zustand der Landstraßen, durch die Unschiffbarkeit der Flüsse und den Verfall der Kanäle äußerst schlecht waren, sind durch deutsche Energie bereits wesentlich gehoben worden, namentlich durch den Bau der Eisenbahn von Tsingtau (s. d.) über Weihsien nach Tsinanfu mit einer Zweiglinie nach Poschan. 1906 beförderte diese Bahn bei einer Betriebslänge von 436 km 823,000 Personen und 368,000 Ton. Güter (die Hälfte Kohlen und Koks) und erzielte 1905 einen Reingewinn von 2,063,571 Mk. Der geplante Ausbau der Eisenbahn nach N. (Tientsin) und nach Süden (Itschoufu-Tschinkiang) hat sich bisher nicht verwirklicht. Von Landstraßen sind die Hauptlinien von Tsinanfu einmal längs des Nordrandes des Berglandes nach Tschifu und zweitens in südöstlicher Richtung nach Itschoufu und weiter zum Yangtsekiang zu nennen. Verkehrsmittel sind auf den Straßen Schiebkarren, zweiräderige Karren und Tragsessel, außerdem namentlich Maultiere. Die Verbesserung der Landstraßen innerhalb des deutschen Schutzgebiets von Kiautschou und seiner Umgebung hat bedeutende Fortschritte gemacht. – Die Provinz ist in 12 Regierungsbezirke (Fu und Tschóu) und über 100 Kreise eingeteilt und untersteht einem selbständigen Gouverneur, der in der Hauptstadt Tsinanfu residiert. Die Umgebung der Kiautschoubucht mit dem Hauptort Tsingtau (s. Kiautschou und Tsingtau) steht seit 1898 unter deutschem Schutze. Vgl. F. v. Richthofen, China, Bd. 2 (Berl. 1882), und S. und seine Eingangspforte Kiautschou (das. 1898); E. v. Hesse-Wartegg, S. und Deutsch-China (Leipz. 1898); F. Hirth. S. und Kiautschou (Münch. 1898); Gaedertz, Schantung (Berl. 1902).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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