- Peking
Peking (»nördliche Residenz«; hierzu der Stadtplan), Hauptstadt des chinesischen Reiches, Residenz des Kaisers, unter 39°45´ nördl. Br. und 116°28´48´´ östl. L., nur 37 m ü. M., in der nördlichen Ausbuchtung der Großen Ebene (s. China, S. 35), 150 km vom Meere, nahe dem mauerartigen Abfall der südlichsten Kette (Nankou-Gebirge) des Nordchinesischen Gebirgsrostes, zwischen den Flüssen Hunho und Paiho und von drei Bächen durchflossen, die, zum Kanal von Tatung vereinigt, bei Tungtschou in den Paiho münden. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 11,7°, Maximum 40°, Minimum -21°. Hunho und Paiho sind Dezember bis Februar (3 Monate) gewöhnlich zugefroren, ebenso der Golf von Tschili bei Tientsin, dem Hafen von P. Die jährliche Regenmenge beträgt im Mittel 650 mm, deren bei weitem größter Teil im Juni, Juli, August fällt, während die übrigen Monate an Dürre leiden. Die Stadt, die einen Raum von 6340 Hektar einnimmt, ist nur noch ein Schatten früherer Pracht, hat meist schlechte Straßen, Ruinen einst bedeutender Bauwerke, elende Häuser, und große Flächen sind ganz verödet oder wenigstens nicht bebaut. Die Wahl der Lage für die Reichshauptstadt erklärt sich daraus, daß von hier aus gleichzeitig die innerasiatischen Gebiete und die Mandschurei wie die Große Ebene und die andern Reichsteile beherrscht werden konnten, auch eine leichte Versorgung der Residenz durch das Kanalnetz der Ebene möglich war. P. besteht aus zwei durch eine 9 m hohe und sehr breite Mauer getrennten Teilen: der Tatarenstadt und der Chinesenstadt (s. den Plan). Die nördlichere Tataren- oder Mandschustadt, auch innere Stadt (Neitschöng) genannt, bildet ein nahezu regelmäßiges Viereck mit einer 23,6 km langen Mauer von 13 m Höhe und oben 11 m Breite, die von 9 Toren durchbrochen wird, von denen drei zur Chinesenstadt führen und über denen, wie über den vier Ecken, 30 m hohe Pavillons aufsteigen. Doch sind sie sämtlich verfallen, ebenso wie die rings um sie laufenden Wälle und der 18 m breite Graben. Die Tatarenstadt besteht aus drei Teilen: dem Kingtschöng (Hofstadt), der kaiserlichen oder gelben Stadt (Hwangtschöng), innerhalb jener und von dieser wieder umschlossen die (heilige) Rote oder Verbotene Stadt (Tukintschöng). Im Kingtschöng liegen im südöstlichen Teile nahe der Mauer die 1900 zum Teil zerstörten Gesandtschaftsgebäude Deutschlands, Österreich-Ungarns, Rußlands, der Vereinigten Staaten, Englands, Spaniens, Japans, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Belgiens; der 1903 eingeweihte Ketteler-Gedenkbogen für den 1900 ermordeten deutschen Gesandten v. Ketteler; die 1279 erbaute, später von den Jesuiten benutzte Sternwarte, deren kunstvolle Instrumente aus Bronze 1901 zum Teil nach Deutschland (Potsdam) geschafft wurden; ferner das Tsungliyamen oder seit 1902 Waiwupu (Ministerium des Auswärtigen), die Prüfungshalle mit Zellen für 12,000 Prüfungskandidaten, die ungeheuern, jetzt ganz verfallenen Vorratskammern, die für acht Jahre Vorräte fassen konnten, der große Lamatempel, der Tempel des Konfuzius, die Halle der Klassiker, der Paukenturm und Glockenturm, der große Tempel der Kaiser und Könige, der Tempel der weißen Pagode. Hier befindet sich auch die 1601 von portugiesischen Jesuiten errichtete alte Kathedrale mit Schule und Waisenhaus und nahebei ein Hospital der Schwestern de la Charité de St. Vincent de Paul, die kleine Kirche Sitang mit altem Begräbnisplatz, die russisch-orthodoxe Mission. Die englischen protestantischen Missionen haben mehrere Krankenhäuser. Nahe dem Tsungliyamen errichtete die chinesische Regierung 1863 die Schule der westlichen Wissenschaften (Tungwönkwan) mit europäischen Professoren, mit Bibliothek und Druckerei, auch P.-Universität genannt, die aber 1900 mit allen Bücherschätzen abbrannte. Die kaiserliche Stadt umschließt mit 4–6 m hohen, oben 16 m dicken und 7 km langen Mauern mit vier Toren zwei künstliche Seen, aus deren Ausschachtungen zwei Hügel, darunter der 66 m hohe, mit schönen Bäumen bepflanzte, aussichtsreiche Kohlenhügel, gebildet sind. Hier befindet sich die neue katholische Kathedrale St. Sauveur (seit 1883), der Paitang, Sitz des apostolischen Vikars von P. und Nord-Tschili, ein Seminar, Schule, Buchdruckerei, ein Hospital der Schwestern de la Charité, die 1902 eröffnete neue Universität (Ta-hsüe-tang; die zugehörige Bibliothek, Druckerei und naturwissenschaftlichen Sammlungen sind im Entstehen begriffen). Den Unterricht erteilen in den Naturwissenschaften japanische Professoren und nur in den europäischen Sprachen europäische Lehrer. Zur Universität gehört auch das Dolmetscherseminar, 1903 eröffnet, in der Nähe des östlichen Friedenstors. Von ältern chinesischen Bauten sind zu erwähnen: ein Tempel der Vorfahren und ein solcher der Erntegötter, die schöne kaiserliche Pagode, eine vom Kaiser Kienlung erbaute, fast ganz verfallene Moschee in der Nähe des Kaiserpalastes. Alle sind aus roten Backsteinen erbaut; die Dächer des Palastes sind gelb (die Farbe des kaiserlichen Hauses), jene der Mandarinen und Regierungsbureaus hellgrün, die Tempeldächer dunkelblau, die großen freien Plätze mit farbig glasierten Ziegeln gepflastert. Die innerhalb der kaiserlichen Stadt gelegene Rote oder Verbotene Stadt, benannt nach der sie umgebenden 5,8 m hohen, unlen 2,1, oben 1,9 m breiten roten Ziegelmauer, hat vier reichgeschmückte Tore, einen großen kaiserlichen Palast, Paläste der Frauen und Prinzen und eine kaiserliche Bibliothek. An die Tatarenstadt schließt sich die Chinesenstadt mit einer aus Chinesen, Mandschu, Mongolen, Koreanern, Japanern, Tibetern etc. gemischten Bevölkerung, wo alle Warenhäuser und Verkaufsbuden, die große Buchhändlerstraße und auch die Tempel des Himmels und des Ackerbaues liegen; der erstere gilt für den schönsten Tempel Chinas. Die Buddhisten besitzen in der Tataren- und in der Chinesenstadt je ein Kloster für 2–3000 Insassen. Die Bevölkerung wird sehr verschieden angegeben. Die letzte amtliche chinesische Zählung fand 1845 statt und ergab. 1,648,814 Einw. für P., 2,553,159 für P. mit den Distrikten Dassin und Wanpin, während neuere Schätzungen nur mit 1/2-1 Million rechnen. Die Straßen sind regelmäßig (rechtwinklig) angelegt; die schönste, aus mächtigen Quadern gebaut, führt vom Südtor der Chinesenstadt bis zu dem der Verbotenen Stadt. P. hat keine Stadtverfassung; die Ordnung wird durch ein 12,000 Mann starkes Polizeikorps aufrecht erhalten. Die Garnison besteht aus kaum 10,000 Mann Miliztruppen; die Garde liegt nördlich von P. in dem 1860 arg verwüsteten Sommerpalast Yüan ming yüen, die Feldtruppe neuerer Organisation am untern Paiho. Die europäischen Gesandtschaften haben seit den Wirren 1900/01 besondere Wachen eigner Truppen. Die wenig bedeutende Industrie beschränkt sich auf Porzellan, farbiges Glas, Edelsteinschleiferei, Zucht von Seidenraupen; seit 1900 besteht ein Elektrizitätswerk. Der Handel zur Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln etc. bewegt sich teils auf dem 25 km langen Kanal zwischen P. und Tungtschou am Paiho, teils und während des Winters allein auf den Landstraßen nach Tiëntsin. Größere Messen und Märkte werden in beiden Stadtteilen gehalten. Nicht unbedeutend ist der Buchhandel; die besten Bücher gehen aus der kaiserlichen Druckerei in der Tatarenstadt hervor. Durch Eisenbahnen ist P. verbunden mit Tiëntsin und weiter mit Schanhaikwan (nach der Mandschurei) sowie nach S. über Pautingsu (s. d.) mit Hankau.
In der Umgebung von P. findet sich eine große Zahl merkwürdiger Bauten und Ortschaften. Zunächst an den drei offenen Seiten der Tatarenstadt die Tempel des Mondes, der Erde und der Sonne und der Lamatempel Hwangsze mit dem Marmordenkmal des Tessu-Lama. Im O. liegt das 1317 erbaute Kloster der Taoisten mit bronzenem, wundertätigem Maultier, nach W. unzählige berühmte, fast durchweg buddhistische Klöster. Fast alle Prachtbauten in der Umgebung der Stadt wurden 1860 von den Engländern ganz oder teilweise zerstört; so die Sommerpaläste Wantschouschan (Hügel der 10,000 Generationen), jetzt Sommeraufenthalt der frühern Kaiserin-Regentin, Yütschüanschan, der Edelsteinquellhügel mit großer Pagode, der Tempel Tien-Ningsze mit Pagode von 13 Stockwerken u.a. (s. Tafel »Chinesische Kultur I«, Fig. 9). In dem großen Jagdpark Nanhaitse befinden sich Herden von Antilopen und dem sonst ausgestorbenen Cervus Davidianus (Ssepuhsiang). – P. wurde gegründet vom Kaiser Chublai 1279, der hierher seine Residenz von Nanking verlegte, umgebaut vom Kaiser Junglo 1471, 1644 von den Mandschu beim Sturze der Mingdynastie geplündert, 1662 und 1730 von Erdbeben heimgesucht, wobei 300,000, bez. 100,000 Einw. umkamen; 12. Okt. 1860 wurde die Stadt von englisch-französischen Truppen besetzt, die dieselbe erst nach Unterzeichnung des Friedens wieder räumten (s. China, S. 52). Bereits 1728 hatten die Russen eine Kolonie in P. gegründet; englische Gesandte residieren hier zeitweise seit dem Opiumkrieg, französische, italienische, deutsche folgten 1861. Anfang Juni 1900 erreichte die Boxerbewegung P.; vom 12. Juni bis 14. Aug. war P. von allem Verkehr mit der Kulturwelt abgeschnitten. Nach der Einnahme wurde P. zwei Tage den verbündeten Truppen zur Plünderung überlassen. Während der Okkupation von P. durch die internationale Truppenmacht 1900/01 (s. China, S. 54 f.) war auch die Verbotene Stadt besetzt und so für Europäer zugänglich. Vgl. Bretschneider, Die Pekinger Ebene etc. (Ergänzungsheft Nr. 46 zu »Petermanns Mitteilungen«, 1876); Favier (Bischof von P.), Péking. Histoire, religions, coutumes etc. (Par. 1900); Grube, Zur Pekinger Volkskunde (Berl. 1901); Martin, The siege in P. (New York 1901); W. Heinze, Die Belagerung der Pekinger Gesandtschaften (Heidelb. 1901); K. Allen, Siege of P. legations (Lond. 1901); Oliphant, Diary of the siege of the legislation in P. (das. 1901); Laur, Siège de P. (Par. 1904).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.