Nubĭen

Nubĭen

Nubĭen, Landschaft in Nordostafrika (s. Karte »Ägypten«), zu Beginn des 19. Jahrh. von Ägypten erobert, 1882–99 den Mahdisten (s. Mahdi) anheimgefallen, seit 1900 nur bis zum 22.° nördl. Br. mit Ägypten als Provinz N. (Hauptort Assuân, s. d.) vereinigt, während der größere südliche Teil, etwa bis Chartum unter englisch-ägyptischem Kondominium (beide Fahnen wehen nebeneinander) steht, im O. vom Roten Meer, im W. von dem Oasenzuge am Ostrande der Libyschen Wüste begrenzt. Dies N. bildet den nördlichen Teil des Sudâns und umfaßt von dessen Provinzen (Mudirieh): Dongola, Berber und Chartum, von seinen Gouvernements (Mohassa) Wadi Halfa und Suakin. Das Gebiet ist 743,000 qkm groß, seine Bevölkerung (früher etwa 1 Mill.) ist infolge des Aufstandes des Mahdi stark zurückgegangen, beginnt sich aber bereits (z. B. durch Einwanderung) zu heben, so besonders für Dongola von 56,426 (1897) auf 105,026 (1902). Das Land, fast durchweg Wüste, wird auch ringsum von solchen umgeben: im O. und Norden der Nilkrümmung die Nubische Wüste, im W. und S. derselben die Wüste El Dschesireh (el-Gezira), die in die Bajudasteppe übergeht. Nur von kleinen Regenbetten durchzogen, findet sich kulturfähiges Land, abgesehen von den Oasen, bloß im Niltal, das, sonst schmal, sich bei Neudongola und Berber beträchtlich erweitert. Eine weite Verbreitung besitzt in N. der der Kreide zugerechnete tiefgelbe und braune nubische Sandstein (s. Afrika, S. 137), zumal auf dem linken Ufer, von Assuân bis Chartum. Unter dem Sandstein tritt zwischen Assuân und Korosko, zwischen Wadi Halfa und Dongola und bei Abu Hammed am Nil kristallinisches Grundgebirge (Gneis und Granit) hervor, in dem die von den Pharaonen bearbeiteten, längst erschöpften Goldminen sich fanden. Sie verschafften dem Lande den Namen Nub (d.h. Goldland). Bei Okma entströmen den Schiefern heiße, zu Bädern benutzte alkalienreiche Quellen. Das Klima ist äußerst trocken und sehr heiß. N. liegt innerhalb der 30°-Jahresisotherme. Die Nordgrenze der südlichen Sommerregen liegt in der Nähe der Wendekreise, weiter nördlich fangen die Winterregen an. Von Oktober bis März wehen kalte Nordwinde. Die Vegetation ist im nördlichen Teil sehr ärmlich. Längs des Nils finden sich ausgedehnte Palmenwaldungen, besonders von Dum- und Delebpalmen; im übrigen Mimosen, wie Gummiakazien und der aus der Sahara eingewanderte Dornstrauch Tragacantha Alhagi; ferner die Tamarinde und Sykomore. Einige Sträucher bewahren den Schmuck ihrer Blätter: die Zygophyllee Balanites, die Capparidee Boscia und die Asklepiadazeen: Oschur (Calotropis procera), 4–6 m hohe Gebüsche bildend, und die mit besenförmigen Reisern versehene Leptadenia pyrotechnica. Dem Savannenklima angepaßt sind Euphorbia- und Aloe-Arten. Von Lianen sind holzige Ampelidazeen in den Waldungen, Konvolvulazeen an den Ufergebüschen des Nils, Kukurbitazeen in den Savannen, von den Epiphyten Loranthazeen allgemein verbreitet. Unter den krautartigen Laubpflanzen sind Amaryllidazeen eine Zierde der Landschaft. Gräser (Panizeen und Andropogoneen) sind reich entwickelt. Bauholz von Wert ist selten. Doch sind Hölzer von großer Härte sehr gewöhnlich, wie das afrikanische Tiekholz von der Sapindazee Oldfieldia africana. Die Tierwelt trägt im S. einen völlig sudânischen Typus; die Zahl der Antilopen mehrt sich; Schakale sind häufig, ebenso Krokodile im Nil, Wüstenvipern und Eidechsen in der Wüste. Die Bewohner Nubiens (s. Tafel »Afrikanische Völker I«, Fig. 12) zerfallen in mehrere Stämme. Im Norden wohnen die Berâbra (s. d.), woher N. auch Belad el Berabra heißt, die Scheikieh, Robatat und Dschaalin, die im Niltal Ackerbau treiben, hängeohrige Ziegen, Kamele, in Dongola edle Pferde züchten, als Schiffer (eigentümliche Boote bei den Katarakten) tätig sind oder als Handarbeiter und Soldaten in Ägypten dienen. Zwischen Nil und Rotem Meer wohnen die Ababdeh, südlich von ihnen die Bischarin, zwischen Nil und Atbara die Hadendoa, gegenüber in der Bajudasteppe die Kababisch. Dunkelbraun, selbst schwarz, stehen die Nubier zwischen Negern und mittelländischen Hamiten. Heute leben die Nubier meist in transportabeln Hütten (Schokaben). Einziger Hafen Nubiens ist Suakin (unter ägyptischer Herrschaft). Es zählte 1897: 2000 Einw., soll sich aber auf 10,000 schon gehoben haben. Außerdem kommen in Betracht Neu-Dongola (10,000 Einw.), Berber (10,000), Schendi (6000) und Halfaia. Die Sprachen Nubiens sind jetzt teilweise hamitisch, wie namentlich das weitverbreitete Bedscha (s. Hamiten), teils herrscht das Arabische. Die eigentliche Nubasprache aber, deren Erforschung durch die Untersuchungen von Lepsius (»Nubische Grammatik«, Berl. 1880) und Reinisch (»Die Nubasprache«, Grammatik, Texte, Wörterbuch, Wien 1879, 2 Tle.) in ein neues Stadium getreten ist, die Sprache der Nuba der ägyptischen Monumente, die in die drei geographisch getrennten Mundarten von Mahas in der Mitte, Kenus im Norden und Dongola im S. zerfällt, ist eine durchaus selbständige, wenn auch in mancher Beziehung durch die benachbarten hamitischen Sprachen stark beeinflußte Sprache. Nubiens Verkehrsmittel sind neben unbequemen Holzbarken mit zwei Masten und lateinischen Segeln Kamele und Esel. Eine mühevolle Karawanenstraße schneidet den westlichen Nilbogen von Korosko nach Abu Hammed, eine andre den östlichen Bogen von Ed Debbel nach Omdurman ab. Ausfuhrprodukte sind Gummi und Datteln, von letztern sind die von Dongola und Berber berühmt. Ausfuhrhafen ist Suakin, das mit Berber durch eine Karawanenstraße und eine Telegraphenlinie verbunden ist.

Geschichte. Im Altertum stand N. in hoher Kultur, wie die vielen Ruinen im Niltal von der ägyptischen Grenze bis Dongola und Chartum beweisen, deren Entstehung dem Zeitalter der altägyptischen Könige (s. Tafel »Altägyptische Malerei«, 1. Bd., S. 192), der Ptolemäer und der römischen Imperatoren angehört. Uralte Tempel ägyptischer Bauart gibt es bei Kalabscheh und Dakkeh mitten in der Sandwüste, bei Sebuah mit einer Sphinxallee, bei Abu Simbel, bei Merawe, bei Assuân, die Bauüberreste des alten Meroë, bei Messaurat u.a. O. Das Wort Nuba bedeutet im Ägyptischen Gold und bezeichnete das südlich gelegene, an Gold reiche Land »Kusch« (s. d.), bewohnt von den Kuschiten (offenbar Hamiten mit rötlicher Hautfarbe). Als an Stelle der altägyptischen Könige Söldner die Herrschaft im untern Nilland an sich rissen, erhob sich am vierten Katarakte das Reich Napata (s. d.). Um 840 v. Chr. war dieser äthiopische Staat so erstarkt, daß er sogar Theben mit Erfolg angriff; und um 770 erkannte selbst Unterägypten die äthiopische Oberherrschaft an. Doch kurz nach 670 war es mit Napatas Hegemonie zu Ende, und an Stelle der ägyptischen Kultur traten in N. immer mehr sudânische Einflüsse. Die Nubier werden zu Eratosthenes' und Strabons Zeit als ein großes, westlich vom Nil wohnendes Volk erwähnt, das 300 n. Chr. durch Diokletian aus den Oasen in den zunächst an Syene grenzenden Landstrich am Nil gerufen wurde, um Ägypten gegen die Einfälle der bis dahin den obern Nil besetzt haltenden Blemmyer und Megabarer zu schützen. Seit dem 6. Jahrh. fand das Christentum nach jakobitischer Lehre bei den Nubiern Eingang. Zahlreiche Kirchen und Klöster entstanden vom 7.–14. Jahrh. im mittlern Niltal, namentlich in der Provinz Dongola. Danach unterlag das nubische Reich allmählich den immer heftiger andringenden Arabern, und um 1300 trat der König von Dongola selbst zum Islam über. Das Land teilte sich in verschiedene kleine Staaten, die ihre eignen Häuptlinge hatten, abhängig von Arabern oder dem König von Senaar oder dem Sultan. 1820 eroberte Ibrahim Pascha, der Sohn Mehemed Alis, das seit 1812 von dem Reste der ägyptischen Mameluken besetzte Land. 1883 ging N. größtenteils an den Mahdi (s. d.) verloren, dem es auch trotz der Bemühungen Gordons (1884–1885) verblieb, bis es durch die seit 1896 einsetzende Vernichtung Abdullahis durch die Engländer der Zivilisation wiedergewonnen ward. Außer der Literatur bei »Ägypten« und »Abessinien«, besonders den Reisewerken von Burckhardt, Rüppell, Russegger und Heuglin, vgl. noch Almeyda, Historia geral de Ethiopia (Coimbra 1660); Schurtz im 3. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1901); M. Schanz, Ägypten und der ägyptische Sudân (Halle 1904); Morié, Histoire de l'Ethiopie, Bd. 1 (Par. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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