- Lianen
Lianen, im Erdboden wurzelnde, beim Emporwachsen sich auf andre Pflanzen stützende Kräuter oder Holzpflanzen. In Mitteleuropa sind der Efeu, das Geißblatt und die Waldrebe (Clematis) die einzigen Vertreter der holzigen L., die, in den Tropen massenhaft auftretend, die Laubmassen der Wälder zu einem bisweilen undurchdringlichen Dickicht verweben. Nach der Art des Emporsteigens unterscheidet man mehrere Gruppen der L. Die Spreizklimmer haften mit ihren winklig spreizenden Blattstielen und Seitensprossen, die nicht selten mit widerhakigen Dornen oder Stacheln bewehrt sind, an den Ästen der Stützpflanzen. Hierher gehören als typische Vertreter die zahlreichen tropischen Kletterpalmen (Palmlianen, Rotang), deren Fiederblätter in Flagellen, d.h. peitschenschnurartige Enden, ausgehen, die mit rückwärts gerichteten Haken besetzt sind, ferner die Kletterrosen und viele Rubusarten und von Kräutern Galium Aparine, Rubia tinctorum u.a. Die Wurzelkletterer, zu denen der Efeu gehört, bilden neben den im Boden ausgebreiteten Nährwurzeln noch stammständige Haftwurzeln aus, die den Sproß an der Stütze befestigen. Die Windepflanzen (Schlingpflanzen), deren Sproß die aufrechte Stütze schraubenlinig umwindet, wobei häufig durch ankerartige Kletterhaare (z. B. beim Hopfen) oder durch eine rauhe Oberfläche das Herabgleiten des windenden Sprosses an der Stütze verhindert wird, stellen das größte Kontingent der L. und haben Vertreter unter den Farnen, Dioskoreazeen, Liliazeen, Morazeen, Polygonazeen, Chenopodiazeen, Menispermazeen, Violazeen, Dilleniazeen, Malpighiazeen, Euphorbiazeen. Loasazeen, Kombretazeen, Aristolochiazeen, Papilionazeen, Apocynazeen, Asklepiadazeen, Konvolvulazeen, Borraginazeen, Akanthazeen, Verbenazeen, Rubiazeen, Kaprifoliazeen, Kompositen u.a. Die Richtung, in der die windenden Sprosse sich um die Stütze legen, ist bei den meisten Arten konstant. Der Hopfen ist Rechtswinder, zu den weit häufigern Linkswindern gehören z. B. die Ackerwinde und die Gartenbohne. Die abwechselungsreichste Gruppe der L. bilden die Rankenpflanzen, die besondere durch Berührung reizbare Kletterorgane besitzen. Ihrer morphologischen Natur nach können die letztern Blatt- oder Achsengebilde sein, die entsprechend der veränderten Funktion eine mehr oder minder weitgehende Umwandlung erfahren haben. Die am wenigsten auffällige Veränderung zeigen die Blattklimmer, bei denen (z. B. bei Fumaria officinalis) die reizempfindliche Blattspreite oder, wie bei der Kapuzinerkresse, der Blattstiel des im übrigen unveränderten Laubblattes den Sproß an der Stütze befestigt. Die Blattranker (z. B. Erbse, Kürbis) haben in fadenförmige Ranken umgewandelte Blattteile oder Blätter als Kletterorgane. Die nur in den Tropen vertretene Gruppe der Zweigklimmer zeichnet sich durch reizbare, später verholzende Seitentriebe aus. Bei den Hakenkletterern sind diese Kletterorgane haken- oder krallenförmig gekrümmte blattlose Kurztriebe, die neben den normalen beblätterten Laubtrieben sich entwickeln. Als Uhrfederranker bezeichnet man diejenigen Zweigklimmer, deren Klettersprosse in einer Ebene spiralig aufgerollte, federnde Kurztriebe sind, die leicht eine Stütze einfangen und festhalten, indem sie durch ein von dem Berührungsreiz ausgelöstes nachträgliches Dickenwachstum dieselbe fest umklammern. Häufig treten die umgewandelten Klettersprosse in Gestalt fadenförmiger Ranken auf (z. B. beim Weinstock), die sich in ihrer äußern Erscheinung und in ihrem Verhalten eng an die Blattranken anschließen und oft auch wie diese an ihrem Ende besondere Klebdrüsen oder Haftscheiben zur Festhaftung an rauhen Oberflächen ausbilden. – Pflanzengeographisch liegt der Hauptsitz der L. in den tropischen immergrünen Regenwäldern zwischen den beiden Wendekreisen, in denen sie die Physiognomie des Waldes wesentlich bestimmen. Lianenfrei sind dagegen die Wüsten- und Steppengebiete, die alpinen Hochregionen und die arktische Flora. Charakteristische Eigentümlichkeiten der L. treten vielfach auch im anatomischen Bau ihrer Stämme auf, die ihrer Lebensweise entsprechend besonders zugfest konstruiert sein müssen. Infolgedessen zerklüftet sich ihr Holzkörper in sehr verschiedener Weise durch weichere Gewebemassen und ahmt dadurch die Zusammenfügung eines tordierten Seiles nach. Vgl. Darwin, Die Bewegungen und Lebensweise der kletternden Pflanzen (deutsch, Stuttg. 1876); Schenck, Beiträge zur Biologie und Anatomie der L. (Heft 4 u. 5 der »Botanischen Mitteilungen aus den Tropen«, Jena 1892–93).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.