Nordisches Recht

Nordisches Recht

Nordisches Recht. Die Rechtsaufzeichnungen der Nordgermanen oder Skandinaven beginnen nicht vor dem 12. Jahrh., erst nach Einführung des Christentums im Norden. Sie sind vorwiegend in der Volkssprache und in volkstümlichem Stil abgefaßt und bestehen zum größern Teil aus Privatarbeiten, dem schriftlichen Niederschlag einer uralten, amtlich gepflegten mündlichen Überlieferung, die periodisch vor der Landesversammlung der einzelnen Rechtsverbände vorgetragen wurde (lagsaga).

Das älteste Rechtsbuch Dänemarks, Skaanelagen, entstanden zwischen 1203 u. 1212, behandelt das Recht der Landschaft Schonen; ebenso eine spätere lateinische Ausgabe, Liber legis Scaniae (beide hrsg. von Schlyter im »Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui IX«, Stockh. 1859). Das Recht von Seeland behandeln zwei Rechtsbücher, beide dänisch geschrieben, vor 1241, aber nach den Rechtsbüchern von Schonen entstanden, das ältere in der Literatur »Valdemars Själlandske Lov«, das jüngere »Eriks S. L.« genannt. Die ältesten erhaltenen Gesetze enthalten Partikularrecht; das bedeutsamste Werk der Landschaftsgesetzgebung ist das Gesetzbuch für Jütland (Jydske Lov) von 1241. Unter den Reichsgesetzen bilden eine besondere Gruppe die Handfesten (Wahlkapitulationen) der Könige seit 1320. Sehr fruchtbar ist die dänische Gesetzgebung auf dem Gebiete des Stadtrechts (Statuten von Schleswig, Hadersleben, Kopenhagen, Roeskilde u.a.); dazu kommen noch Marktfriedensordnungen und Gildestatuten. Vgl. Kolderup-Rosenvinge, Samling af gamle danske Love (Kopenh. 1821–46, 5 Bde., unvollendet); Thorsen, Danmarks gamle Provindslove (1852 ff., 4 Bde.).

Die Rechts- und Gesetzbücher Schwedens bis Mitte des 14. Jahrh. enthalten wesentlich Provinzialrecht, so Westgötalagen (in zwei Redaktionen vom Anfang und Schluß des 13. Jahrh.), Östgötalagen (spätestens 1303 entstanden, das größte und durchgebildetste schwedische Rechtsbuch), Smaalandslagen (um 1300 verfaßt) und Uplandslagen, eine Kodifikation des oberschwedischen Rechts, 1296 von König Birger Magnusson bestätigt; nach deren Vorbild verfaßt sind: das Gesetzbuch für Södermanland, in umgearbeiteter Gestalt als Södermannalagen erhalten, dann Westmannalagen und Helsingelagen. (Sämtliche obigen Landschaftsrechte hrsg. von Schlyter im »Corpus juris Sueo-Gotorum«, Bd. 1–6, 1827–1834.) An die Landschaftsgesetze schließen sich Einzelgesetze an, deren Auszeichnung mit dem 13. Jahrh. beginnt. Eine Verarbeitung aller Provinzialrechte zu einem Landrecht für ganz Schweden veranlaßte König Magnus Eriksson 1347; dieselbe wurde aber infolge Widerspruchs der Geistlichkeit nicht als Landrecht bestätigt, aber im 14. Jahrh. in den einzelnen Landschaften rezipiert. Derselbe König führte (vor 1365) ein gemeines Stadtrecht ein. Das Landrecht König Christophs von Bayern (1442) ist eine Revision des ältern von König Magnus. Eigentümlich hat sich die Denkmälergeschichte der Insel Gotland entwickelt, deren älteste Rechtsaufzeichnung, Gutalagen vom Schlusse des 13. Jahrh., den dänischen Landschaftsrechten gleicht.

Die ältesten Rechtsdenkmäler Norwegens sind die aus dem 12. Jahrh. stammenden Privataufzeichnungen der vier großen Thingverbände, nach den Hauptversammlungen, auf denen alljährlich das Recht vorgetragen wurde, genannt: das Rechtsbuch des Borgarthing und des Eidsifjathing, des Gulathingslög und des Frostuthingslög. An letzteres schließt sich das demselben Zeitalter angehörende Marktrecht (bjarkeyjar réttr) an. König Magnus (1263–80) unterwarf die erwähnten Rechtsbücher einer Revision. Die so revidierten Rechtsbücher wurden unter dem Namen: »Neueres oder gemeines Landrecht von König Magnus dem Gesetzverbesserer« zusammengefaßt. Das sogen. »neuere oder gemeine Stadtrecht« ist eine Bearbeitung des gemeinen Landrechts für die Städte. Einzelgesetze der Könige finden sich schon in der 2. Hälfte des 12., häufiger von der 2. Hälfte des 13. Jahrh. an; seit dem gemeinen Land- und Stadtrecht beruht die Fortbildung des geschriebenen Rechts fast nur auf diesen Verordnungen. Vgl. »Norges gamle Love« (begonnen von R. Keyser und P. A. Munch, vollendet von G. Storm und E. Hertzberg, Christ. 1846–95, 5 Bde.).

Das älteste Landrecht Islands ist das um 930 von dem eingewanderten Norweger Ulfljótr verfaßte; ein zweites, verbessertes, von 1117–18, wurde nach den Angaben des Gesetzsprechers und andrer kundiger Männer hergestellt und zum Gesetz erhoben. Verschiedene kompilatorische Rechtsaufzeichnungen aus dem 13. Jahrh. werden als »Grágás« bezeichnet; am vollständigsten sind von diesen die im »Codex regius« (1258–60; hrsg. von Finsen, Kopenh. 1852 ff., 2 Bde.) und die in der Arnamagnäanischen Stadarhólsbók (1262–71; hrsg. von Finsen, das. 1879). Nach Unterwerfung Islands unter die norwegische Herrschaft (1262) kam 1271–73 stückweise die Járnsída und 1281 die sogen. »Jónsbók« zur Einführung (Gesamtausgabe: »Lovsamling for Island« von Stephensen u. Sigurdsson, Kopenh. 1853 ff.). Vgl. K. Maurer in Holtzendorffs »Enzyklopädie der Rechtswissenschaft« (5. Aufl., Leipz. 1890); v. Amira in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie« (Sonderdruck, 2. Aufl., Straßb. 1897).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Nordisches Labkraut — (Galium boreale) Systematik Asteriden Euasteriden I …   Deutsch Wikipedia

  • Nordisches Kreuz — Flaggen der Mitgliedsstaaten des Nordischen Rats Die sogenannten skandinavischen Flaggen weisen eine Gemeinsamkeit auf, die im Jahre 1219 erstmals in Dänemark mit dem Danebrog eingeführt worden ist: das skandinavische Kreuz. Zum Zeichen der… …   Deutsch Wikipedia

  • Norwegisches Recht — Norwegisches Recht, s. Nordisches Recht …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Rechtsstaatsverständnis im Nationalsozialismus — „Nationalsozialistischer deutscher Rechtsstaat“ und ähnliche Ausdrücke wie „der deutsche Rechtsstaat Adolf Hitlers“ wurden von nationalsozialistischen und den Nationalsozialisten nahestehenden Juristen mehrfach verwendet[1], um sich affirmativ… …   Deutsch Wikipedia

  • Volksrecht — ist das im Volk selbst entstandene und in dessen Bewußtsein lebende Recht. In diesem Sinne ist jedes positive Recht seinem Ursprung nach V. Denn bei allen Nationen findet in den frühern Zeiten der Kulturentwickelung eine unmittelbare Teilnahme… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Nordische Sprache — und Literatur. Die nordische Sprache ist ein Zweig der germanischen Sprachfamilie (s. Germanische Sprachen) und steht innerhalb deren dem Gotischen am nächsten. Gotisch und Nordisch werden als ostgermanische Sprachen den andern, westgermanischen …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Galium boreale — Nordisches Labkraut Nordisches Labkraut (Galium boreale) Systematik Klasse: Dreifurchenpollen Zweikeimblättrige (Rosopsida) …   Deutsch Wikipedia

  • Gedenkmünzen der Schweiz — Gedenkmünze Pro Patria 2009 im Etui Die offiziellen Gedenkmünzen der Schweiz werden seit 1936 in unregelmässigen Abständen und seit 1974 mindestens jährlich herausgegeben. Die Gedenkprägungen sind keine gesetzlichen Zahlungsmittel für den… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Schweizer Gedenkmünzen — Die Liste der Schweizer Gedenkmünzen umfasst sämtliche Gedenkmünzen der Schweiz, die seit 1936 von der schweizerischen Münzprägestätte herausgegeben wurden. Es sind insgesamt dreissig 5 Franken Stücke, sechs 10 Franken Stücke, 35 20 Franken… …   Deutsch Wikipedia

  • Trichterbecherkultur — Zeitalter: Jungsteinzeit Absolut: ca. 4200 v. Chr. bis 2800 v. Chr. Ausdehnung …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”