Nachtigall

Nachtigall

Nachtigall (Erithacus luscinia L., s. Tafel »Stubenvögel I«, Fig. 1), Sperlingsvogel aus der Gattung Rotschwanz (Erithacus Cuv.), 17 cm lang, 25 cm breit, ein schlank gebauter Vogel mit hochläufigen, kräftigen Beinen, mittellangen Flügeln, mittellangem, etwas abgerundetem Schwanz und fast geradem, ziemlich gestrecktem, spitzem, pfriemenförmigem Schnabel, auf der Oberseite rostrotgrau, auf der Unterseite hell gelblichgrau, an der Kehle und Brustmitte am lichtesten, mit dunkelbraunen Schwingen und rotbraunem Schwanz. Sie bewohnt West- und Mitteleuropa nordwärts bis Holland und Pommern, östlich bis ins Oder- und Donaugebiet und bis zum Schwarzen Meer, südlich bis Nordafrika, im Winter bis Mittelafrika. Der Sprosser (Bastard-, Aunachtigall, große, polnische N., E. philomela Bchst.), 19 cm lang, 28 cm breit, der vorigen sehr ähnlich, nur mit muschelfleckiger Oberbrust, bewohnt das nordöstliche Deutschland östlich der Oder, Posen, Preußen und Hinterpommern, längs der Ostseeküste bis Mecklenburg, dann Südschweden und vom Weichselgebiet und Ungarn durch Rußland bis Südfinnland, im Winter bis Mittelafrika. Sie lebt fast ausschließlich in den Niederungen, während die N. auch bergige Gelände nicht gänzlich meidet. Beide finden sich nur im Laubwald mit viel Unterholz, im Gebüsch, das Bäche, Gräben und Flußufer umsäumt, und häufig in der Nähe menschlicher Wohnungen. Die N. kommt in der zweiten Hälfte des April, der Sprosser Ende April oder Anfang Mai, beide gehen im August oder September. Die N. ist zutraulich, friedfertig, bedächtig, fliegt schnell und leicht, aber meist nur von Busch zu Busch, wo man sie meist niedrig über dem Boden auf Zweigen sitzen sieht, und nährt sich von Insekten und Beeren. Sie nistet im Mai und Juni auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, im Gestrüpp oder in einem Grasbusch und legt 4–6 grünlich braungraue, gelblichbraun gestrichelte Eier (s. Tafel »Eier I«, Fig. 46), welche die Männchen und Weibchen gemeinsam ausbrüten. Die Jungen füttern sie, selbst wenn man sie in einen Bauer steckt und diesen in der Nähe des Nistorts aufhängt. Der Gesang der N. übertrifft den aller andern Vögel durch die Fülle der Töne, die Abwechselung und Harmonie; er unterscheidet sich deutlich von dem des Sprossers, doch ziehen manche den letztern noch vor. Man hört den Gesang besonders am frühen Morgen, am späten Abend und vor dem Legen der Eier zu allen Stunden der Nacht, während es später um diese Zeit stiller wird und um Johannis der Gesang völlig verstummt. Die N. ist leicht zu fangen; aber alte Vögel, die sich schon gepaart haben, sterben regelmäßig bald, und auch die jüngern erfordern die sorgsamste Pflege. Außer den genannten beiden Arten unterscheidet man noch den Zweischaller (E. hybrida), von der Größe des Sprossers, oberseits wie dieser, unterseits fast ganz wie die N. gefärbt, in Polen; die Steppennachtigall (E. Golzii), oberseits deutlich rotbraun, und die Hafisnachtigall (Bülbül der Perser, E. Hafizii), mit längerm Schwanz und von blasserer Färbung. Der indische Kuckuck ist für die indischen Dichter, was die N. für die andern indogermanischen Nationen, und so ist die N. zu einer phallischen Bedeutung gelangt. Als »Nachtsängerin« (das Wort N. hängt zusammen mit althochdeutsch gëllan, laut singen, tönen) ergötzt sie Verliebte, die sie in deutschen und französischen Volksliedern zu ihrem geheimnisvollen Boten machen. Vgl. Lazarus, Der Sprosser oder die Aunachtigall (Berl. 1876); Köppen, Anleitung zur Züchtung und Ansiedelung von Nachtigallen (2. Aufl., das. 1886); Böcker, Der Sprosser (Mind. 1889). – Virginische N., s. Kardinal.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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