- Hebräische Sprache
Hebräische Sprache, die Sprache, welche die Israeliten zur Zeit ihrer nationalen Selbständigkeit redeten, und deren Schrifttum im Alten Testament vorliegt. Außerdem sind uns noch Schriftdenkmäler derselben erhalten in einer 1868 in den Trümmern der moabitischen Stadt Dîbân von dem Missionar Klein aufgefundenen, in ihren Bruchstücken im Louvre bewahrten Inschrift des in der ersten Hälfte des 9. Jahrh. v. Chr. lebenden moabitischen Königs Mesa, in 20 Steinen mit Schrift aus Assyrien und Babylonien, in jüdischen Münzen aus der Makkabäerzeit, in den 1880 entdeckten, vermutlich der Zeit des Königs Hiskia (s. d.) angehörenden Siloa-Inschrift und in den neugefundenen Bruchstücken des hebräischen Grundtextes des Buches Sirach. Der Name h. S. findet sich im Alten Testament selbst noch nicht, sondern erst im griechischen Prolog zum Buche Sirach, bei Josephus und im Neuen Testament für die aramäische Landessprache Palästinas. Jesaias (19,18) nennt die h. S. poetisch »Sprache Kanaans«, aber auch (36,11 u. 13) wie Nehemia (13,24 u. öfter) »jüdisch« (j'hudit). Erst in den chaldäischen Übersetzungen des Alten Testaments findet sich der Name »heilige Sprache« (lischon d'kudscha). Zeigt die h. S. vorwiegend auch viel Gleichmäßigkeit und Übereinstimmung in Form und Geist, so lassen sich doch in ihr zwei Perioden erkennen, von denen die eine, das sogen. goldene Zeitalter, die Schriften vor dem Exil, die andre, das silberne Zeitalter, die Schriften während desselben und nach demselben umfaßt. Diesen Perioden geht eine Entwickelungsstufe der hebräisch-kanaanitischen Sprache voraus, auf der sie mit dem gemeinsamen Sprachstamm noch enger verbunden war, und die zeigt, daß die h. S. seit den ältesten Zeiten die Sprache Palästinas war und, mit einigen dialektischen Verschiedenheiten, bereits von den alten Stämmen, den Moabitern, Ammonitern und Edomiten, den Nomaden des südlichen Palästina sowie von den Phönikern gesprochen wurde (s. Hebräische Literatur).
Das goldene Zeitalter zeigt uns die h. S. im allgemeinen ungetrübt. Zeit, Ort, Eigentümlichkeit und Quellenverwertung der Schriftsteller geben dem einzelnen, namentlich bei historischen Texten, häufig eine merkliche Verschiedenheit; doch wird der gleiche Charakter, die Reinheit des Ausdrucks, der Schwung der Rede, die Einfachheit und Kürze bewahrt.
In der zweiten Periode gewöhnten sich die Juden in Babylon bald an den dem Hebräischen verwandten aramäischen Dialekt, der sich auch bei ihrer.flRückkehr mehr ausbreitete und die Sprache der Behörden und des Verkehrs war. Daher schwand nach und nach die reine h. S. aus dem Leben und war nach einigen Jahrhunderten im Volksmund viel verdorbener, als sie in den gleichzeitig erscheinenden schriftstellerischen Erzeugnissen erscheint. Bei dem Übergewicht des Aramäischen bildete sich eine aramäisch-hebräische Sprache aus. Die h. S. blieb mit mehr oder minder chaldäischer Färbung als heilige Sprache Eigentum der Priester und Schriftgelehrten, die sie in Kultus, Studium und Verwaltung verwerteten. Aus der Erzählung Richt. 12,6, wonach die Ephraimiten statt Schibbolet (Ähre) Sibbolet sagten, also das hebräische Schin nicht sprechen konnten, und aus Neh. 12,23 und 24, wo von einer aschdodischen Aussprache die Rede ist, schließt man auf dialektische Verschiedenheiten. Einzelne Eigentümlichkeiten beider Perioden gehören der frühern Volkssprache des nördlichen Palästina an. Mit dem allmählichen Absterben der althebräischen Sprache und dem Abschluß des Kanon pflanzte sich dieselbe bis zum 10. Jahrh. ohne Grammatik und Lexikographie, nur durch Überlieferung der jüdischen Gelehrten und durch den bis auf unsre Zeit erhaltenen Gebrauch beim jüdischen Gottesdienst fort. Tiefe, lebendige Kenntnis der Ursprache beweisen die älteste griechische Bibelübersetzung (Septuaginta), die chaldäischen Übertragungen (Targumim) und z. T. auch die syrische Bibelübersetzung sowie die des Aquila u. a. Nach der Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil (536) hörte die h. S. nach und nach als Umgangssprache auf und erhielt sich nur in den Kreisen der Gebildeten, bis sie im 2. Jahrh. durch das Griechische verdrängt und nur noch als Schrift- und Kultussprache benutzt wurde. Dadurch wird sie ähnlich wie das Lateinische im Mittelalter zur Gelehrtensprache, deren sich vorwiegend Rabbiner bedienten. Inkorrekt nannte man diese neuhebräische Sprache rabbinische Sprache. Sie ist die durch die veränderten Lebensverhältnisse, durch neue Rechtsbegriffe u. a. teils erweiterte, teils umgebildete h. S. Die Umbildung der aus dem Aramäischen und aus den klassischen Sprachen, besonders dem Griechischen, aufgenommenen Wörter geschah nach Geist und Form des Althebräischen, so daß die fremden Bestandteile oft als echt semitisch erscheinen. In dieser neuhebräischen Sprache sind bis zum 9. und 10. Jahrh. abgefaßt: die Mischna (s. Talmud), ältere Teile der Liturgie, die aber noch echte biblische Färbung tragen, einzelne Partien des Talmud, die Tossefta (s. d.) und die Midraschim (s. d.). Die Sprache der Mischna entlehnt dem Aramäismus Flexionen und Derivationen, neue Wortbildungen, Konstruktionen, Verbalstämme, nimmt Bezeichnungen für Abstrakta und Konkreta aus der griechischen Umgangssprache u. a. auf. Vom 10. Jahrh. ab bedienten sich die gelehrten Juden, Theologen, Philosophen, Historiker, Dichter, Exegeten, Grammatiker u. a., in allen Ländern wieder der hebräischen Sprache als Büchersprache. Diese, oft ein treues Abbild des Althebräischen, ist das Ergebnis rein gelehrten Strebens. Neue Wörter, Kunstausdrücke, Partikeln zur Satzverbindung entstehen, ja bei der Übersetzung der philosophischen Schriften der Araber muß eine Terminologie, eine an die arabische Grammatik sich anlehnende Ausdrucksweise für neue Begriffe und Denkformen, geschaffen werden. Mit dem Aufblühen der arabischen Wissenschaften näherte sich die neuhebräische Sprache wieder der Reinheit des Althebräischen, ging aber über dasselbe in Wortvorrat, Neubildungen, Aufnahme fremdsprachlicher Elemente hinaus. (Über die in neuhebräischer Sprache geschriebenen Werke jüdischer Autoren s. Jüdische Literatur.) In den slawischen Ländern und in neuerer Zeit dort, wo die aus ihrer Heimat vertriebenen russischen Juden größere Gemeinwesen bildeten, ist die neuhebräische Sprache im 19. Jahrhundert als vorzügliches Kulturelement benutzt worden. Sie hat den Juden in Rußland, Galizien, Rumänien und anderswo das europäische Wissen, die Literatur der zivilisierten Welt, Geschichte und Politik vermittelt; sie hat einzelne Dichter erweckt, in deren Poesien die Sprache Jesaias' in verjüngter Gestalt wieder auflebte. Einen besondern Aufschwung nahm sie in der Gegenwart, so daß sie bei den Juden in Palästina zur Unterrichts- und Umgangssprache geworden, daß in Petersburg und Warschau Tageszeitungen (»Hamelitz«, »Hazefira«, »Hazofe«), Wochenschriften (»Hamagid« in Krakau, »Haschkafa« in Jerusalem, »Clam Katan« in Wien) und Monatsschriften (»Haschiloach« in Krakau) erscheinen können.
Die althebräische Schrift, wie sie auf der Mesa- und Siloahinschrift, auf makkabäischen Münzen und alten Steinen sich zeigt, stammt wahrscheinlich aus Babylon. Mit ihr ist die phönikische Schrift fast identisch. Sie entwickelte sich zu der aramäischen Schrift, von der eine Abart, die palmyrenische Schrift (auf den Denkmälern Palmyras), uns bekannt ist. Diese beiden Arten faßt man als assyrische Schrift zusammen, und aus ihr schufen die jüdischen Bibelschreiber (soferim) für die heiligen Urkunden Charaktere, die mit geringen Abänderungen sich bis heute als hebräische Quadratschrift erhalten haben. Die Samaritaner bewahrten die althebräische Schrift in jüngerer kalligraphischer Umbildung. Aus der Quadratschrift rundeten sich die rabbinische, im Vulgärjüdischen Raschi-K'saw, d. h. Schrift Raschis, dessen populär gewordene Kommentare in diesen Charakteren gedruckt sind, und die Kursivschrift ab. Das Hebräische wird, wie alle semitischen Sprachen mit Ausnahme des At hi opischen, von der Rechten zur Linken geschrieben und gelesen. Das Alphabet (s. die »Schrifttafeln«) besteht aus folgenden 22 Konsonanten, von denen 3 auch Vokalpotenz haben: Ālĕph (', spiritus lenis). Bêth (b), Giměl (g), Dālĕth (d), Hē (h), Wāw (w, wie das englische w), Zájīn (z nach französischer Aussprache), Chêt (ch, starker Kehlhauch), Thêt (t), Jôd (j), Kāph (k, kh), Lāmĕd (l), Mêm (m), Nun (n), Sāmĕkh (s), 'Ajīn (', eigentümlicher Kehllaut), Pê (p, ph), Szādê (starkes s), Kôph (q, starkes, am Hintergaumen gebildetes k), Rêsch (r), Szîn (s) und Schîn (sch), Tāw (t, th). Die Konsonanten werden auch als Zahlzeichen (Aleph 1, Bêth 2 u. s. f.) benutzt. Am Ende anders als in der Mitte und am Anfang des Wortes werden Kaph, Mem, Nun, Pe und Szade geschrieben (Finalbuchstaben). Sechs Konsonanten, Beth, Gimel, Daleth, Kaph, Pe und Taw, sind uns in doppelter Aussprache überkommen: in härterer (literae tenues) und in weicherer (l. aspiratae). Die h. S. wurde ohne Vokalzeichen geschrieben, erst um das 7. Jahrh. n. Chr. wurden diese fixiert. Es hat sich aber eine zwiefache Aussprache der hebräischen Vokale erhalten, die nach dem Wege, den sie zu uns genommen, entweder die portugiesische (bei den Philologen übliche) oder die polnische Aussprache genannt wird. Die Interpunktions- und Tonzeichen der hebräischen Sprache (beim Vortrag des Pentateuchs und andrer Bibelstücke in den Synagogen als Deklamationszeichen gebräuchlich) sind später entstanden und als Akzente über und unter den Wörtern der Bibel zu finden. Die Akzente in den Psalmen, den Sprüchen, in Hiob sind von denen der übrigen Bücher verschieden. Die Wortbildung geschieht entweder durch den Wechsel der Vokale oder durch Anfügung von Buchstaben und Silben. Ursprünglichster und einfachster Bestandteil der Sprache ist das Pronomen; der wichtigste Redeteil, das Verbum (starkes und schwaches Verbum), wird in sieben Konjugationen (bei den hebräischen Grammatikern Formationen) flektiert, wodurch die verschiedensten Bedeutungen ausgedrückt werden. Das Nomen (mit zweifachem Geschlecht) ist meistens vom Verbum abzuleiten und wird durch Präfixe und Suffixe, durch eine Art Genitivbezeichnung (status constructus) in seine verschiedenen Beziehungen gebracht. Die Syntax der hebräischen Sprache ist einfach. Sie hat sich auf dem altertümlich primitiven Standpunkt erhalten. Umfangreiche und künstlich gebildete Perioden sind ihr fremd. Meistens werden die Sätze durch ein einfaches »und« verbunden, das verschiedene logische Bedeutungen hat. Die geschichtliche Erzählung setzt sich gewöhnlich fort mit dem Ausdruck »und es geschah«.
Was die grammatische Bearbeitung der hebräischen Sprache anbelangt, so, liegen die umfangreichsten Erklärungen im Talmud und Midrasch vor (vgl. A. Berliner, Beiträge zur hebräischen Grammatik im Talmud und Midrasch, Berl. 1879). In der Zeit zwischen dem Abschluß des Talmud und der grammatischen Bearbeitung der Sprache (10. Jahrh.) ward die Bibel vokalisiert, mit Akzenten versehen und die Sammlung kritischer Bemerkungen, die sogen. Massora (s. d.), veranstaltet, die man als »Wiege der hebräischen Grammatik« bezeichnen kann, und die allen spätern Bibeltexten zugrunde liegt. Den Übergang zur eigentlichen Grammatik bildet der zu Anfang des 10. Jahrh. wirkende Massoret Ahron ben Mose ben Ascher in seinem Buche »Dikduke ha-taamim«. Die ersten grammatischen und lexikalischen Arbeiten lieferte der Gaon Saadja in Sura (892–942). Die Vergleichung des Hebräischen mit dem Arabischen und Aramäischen betont Jehuda ibn Koreisch, Ende des 9., Anfang des 10. Jahrh. Ihm folgten Rabbi Jehuda Chajjug (arab. Abu-Zakarja-Jachja), um 1000; Dunasch ibn Labrat, um 960; Rabbi Jona (arab. Abu'-l-Walid Merwan ibn Ganach), um 1030; Rabbi Menachem ben Seruk, um 960, Verfasser eines Wörterbuches nach Anordnung der Stämme; Rabbi Salomo Parchon; die Familie Kimchi, deren bedeutendstes Glied, Rabbi David Kimchi (gest. 1235), Verfasser des »Wurzelbuches« war; Rabbi Joseph Kaspi und Efodi; Raschi, d. h. Rabbi Salomo ben Isaak (gest. 1105); Rabbi Abraham ibn Esra (gest. 1167); Rabbi David Kimchi und Tanchum aus Jerusalem, bedeutende Exegeten; Elia Levita (gest. 1549), der Lehrer von Fagius und Münster, ein scharfsinniger und bedeutender Grammatiker und Lexikograph; Rabbi Salomo ben Melech (16. Jahrh.) u. a. Vgl. Bacher, Die hebräische Sprachwissenschaft vom 10. bis 16. Jahrhundert (Trier 1892; Sonderdruck aus Winter und Wünsche, »Die jüdische Literatur«). Das Studium der hebräischen Sprache ging am Ausgang des 15. und zu Anfang des 16. Jahrh., durch die Renaissance und die Reformation gefördert und von der jüdischen Überlieferung beeinflußt, zu den Christen über und fand in Reuchlin (gest. 1522) einen würdigen Vertreter, dem bereits Petrus Nigri (1477), Johannes Böhm (1490) und Konrad Pellicanus (1501–04) vorgearbeitet hatten, deren Arbeiten jedoch von den vollkommnern Sebastian Münsters (gest. 1552) und Johann Buxtorfs (gest. 1629) verdrängt wurden. Eine neue Ära für das Hebräische begann mit der durch die Polyglottenbibel veranlaßte Erforschung der semitischen Schwestersprachen, und als bahnbrechende Forscher sind unter andern hervorzuheben: de Dieu (gest. 1642), Castellus (gest. 1685), Schultens (gest. 1750), N. W. Schröder (gest. 1798) und J. D. Michaelis (gest. 1718). Im 19. Jahrh. wurde die Grammatik der hebräischen Sprache gefördert vor allem durch W. Gesenius (»Grammatisch-kritisches Lehrgebäude der hebräischen Sprache«, Leipz. 1817, 2 Bde., und »Hebräische Grammatik«, 27. Aufl., neu bearbeitet von E. Kautzsch, das. 1902), der geschickt andre semitische Dialekte verwertete, und H. Ewald (»Ausführliches Lehrbuch der hebräischen Sprache«, 8. Aufl., Götting. 1870, und »Kleinere Sprachlehre«, 4. Aufl., das. 1874), der noch tiefer in die Entwickelung der Sprache einzudringen sucht. In den Fußstapfen Gesenius' geht Böttcher (»Ausführliches Lehrbuch der hebräischen Sprache«, hrsg. von F. Mühlau, Leipz. 1866–68, 2 Bde.), während Olshausen (»Lehrbuch der hebräischen Sprache«, Braunschweig 1861) der Grammatik eine feste Methode gab, und B. Stade (»Lehrbuch der hebräischen Grammatik«, 1. Teil, Leipz. 1879), E. König (»Historisch kritisches Lehrgebäude der hebräischen Sprache«, das. 1881–97, 2 Tle.) u. a. den Ausbau derselben weiter führten. Die Lexikographie ist vertreten in: Gesenius, Thesaurus philologicus criticus linguae hebraeae et chaldaicae (vollendet von Rödiger, Leipz. 1835–58) und dessen Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament (13. Aufl., bearbeitet von Frants Buhl, das. 1899); Siegfried u. Stade, Hebräisches Wörterbuch zum Alten Testament (das. 1893); Brown, Driver u. Briggs, A Hebrew and English Lexicon (Oxford 1892 ff.). Vgl. außerdem die Literaturangaben in den Grammatiken von Gesenius (s. oben) und Strack (8. Aufl., Münch. 1902); Steinschneider, Bibliographisches Handbuch über die Literatur der hebräischen Sprachkunde (Leipz. 1859; Zusätze 1896).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.