Gortschakow

Gortschakow

Gortschakow, alte russ. Familie, stammt von Rurik ab und zählt unter ihren Vorfahren den heil. Wladimir und Jaroslaw d. Gr. sowie den heil. Michael von Tschernigow. Die namhaftesten Sprößlinge derselben sind:

1) Peter, Fürst, Woiwod von Smolensk, verteidigte in Gemeinschaft mit dem Bojaren Schein diese Stadt 1609–11 gegen Siegmund III. von Polen, bis sie erstürmt wurde.

2) Andreas Iwanowitsch, Fürst, russ. General der Infanterie, geb. 1768, gest. 23. Febr. 1855 in Moskau, wurde 1797 zum Flügeladjutanten des Kaisers Paul ernannt und kämpfte 1799 in Italien und der Schweiz. 1812–14 wohnte er den Schlachten von Smolensk, beim Kloster von Kolot, bei Borodino und bei Dresden, wo er den Übergang des Feindes über die Elbe verhinderte, und Leipzig bei.

3) Alexander Iwanowitsch, Fürst, russ. General, geb. 1769, gest. 1817 in Petersburg, diente unter seinem Oheim Suworow, dessen Adjutant er 1788 wurde, in der Türkei (Otschakow) und Polen, zeichnete sich bei dem Sturm von Praga aus und ward 1798 Generalleutnant. Im Feldzug von 1799 kommandierte er unter Korsakow in der Schlacht von Zürich, wurde dann Militärgouverneur von Wiborg, bald aber von Paul I. ungnädig entlassen. Von Alexander I. 1804 zum Senator ernannt, wurde er als Nachfolger Barclay de Tollys 1812 Dirigent des Kriegsministeriums und 1815 Mitglied des Reichsrats. Verheiratet war er mit einer Prinzessin Dolgorukowa, die ihm nur eine Tochter gebar. Vgl. de Saint-Aubin, Trente-neuf portraits 1808–1815 (Petersb. 1902).

4) Peter, General, geb. 1790, gest. 18. März 1868 in Moskau, focht im Kaukasus unter Jermolow und ward 1826 Generalquartiermeister der Wittgensteinschen Armee. 1829 siegte er bei Aidos und schloß die Präliminarien des Vertrags pou Adrianopel ab. Hierauf wurde er 1839 Generalgouverneur des westlichen Sibirien. Im Januar 1851 nahm er seine Entlassung, befehligte aber wieder in den Schlachten an der Alma und bei Inkjerman das 6. Armeekorps. 1855 schied er abermals aus dem Dienst.

5) Michael, Fürst, Bruder des vorigen, geb. 1795, gest. 30. Mai 1861 in Warschau, war 1809 Adjutant des Generalmajors Paulucci im Kriege gegen Persien. Nach den Feldzügen von 1812–14 umrde er 1820 zum Chef des Stabes des 3. Infanteriekorps ernannt. Als solcher wohnte er in dem türkischen Feldzug von 1828–29 der Einnahme von Silistria und der Blockade von Schumna bei. Als Chef des Stabes des 1. Infanteriekorps kämpfte er 1831 in Polen mit und nahm an den Schlachten bei Grochow und Ostrolenka und an der Erstürmung Warschaus teil. 1846 ward er zum Generalgouverneur von Warschau ernannt. An dem ungarischen Krieg nahm er 1849 hervorragenden Anteil, ward sodann Generaladjutant des Kaisers und Stabschef der aktiven Armee, leitete als erstes Mitglied des Administrationsrats des Königreichs Polen dessen Zivilverwaltung und war mehrmals Stellvertreter des Fürsten Paskewitsch. Beim Beginn des Krimkriegs war er Oberbefehlshaber der russischen Okkupationstruppen in der Walachei, bewies aber zu wenig Energie und erhielt von Omer Pascha einige Schlappen. Im März 1854 betrieb er die Belagerung von Silistria sehr matt und legte erst beim Rückzug über die Donau große Umsicht an den Tag. Im März 1855 erhielt er an Stelle des Fürsten Menschikow den Oberbefehl in der Krim und über die gesamten in Südrußland befindlichen Streitkräfte. Auch hier zeigte G. wenig Unternehmungsgeist und erlitt 16. Aug. eine Niederlage an der Tschernaja; dagegen erwarb er sich durch große Besonnenheit bei der Räumung der Südseite der Festung 8. Sept. hohen Ruhm. Nach dem Krimkrieg ward er im Februar 1856 als Paskewitsch' Nachfolger Statthalter von Polen und bewies sich zugleich fest und mild. Seine Leiche wurde auf seinen Wunsch in Sebastopol beigesetzt.

6) Alexander Michailowitsch, Fürst, russ. Staatsmann, Vetter des vorigen, geb. 16. Juli 1798, gest. 11. März 1883 in Baden-Baden, erhielt seine Bildung im Lyzeum Zarskoje Selo, wohnte als Attaché des Grafen Nesselrode den Kongressen von Laibach und Verona bei, wurde 1824 Legationssekretär in London, 1829 Geschäftsträger in Florenz, 1832 Botschaftsrat in Wien, 1841 Gesandter in Stuttgart, wo er die Vermählung der Großfürstin Olga mit dem Kronprinzen von Württemberg einleitete, und Anfang 1850 mit Beibehaltung seines bisherigen Postens russischer Bevollmächtigter am deutschen Bundestag. Seit 1854 russischer Gesandter in Wien, wirkte er so erfolgreich, daß ihn Kaiser Alexander im April 1856 zum Minister des Auswärtigen ernannte. Als solcher bekämpfte er Österreich, dessen zweideutige Politik während des Krimkriegs er mit ganz Rußland für die gröbste Undankbarkeit hielt. Unter seinem Einfluß machte Alexander II. Annäherungsversuche an Frankreich; er hatte eine Begegnung mit Napoleon in Stuttgart und zeigte Sympathien für Italien, die diesem 1859 gute Früchte trugen. G. vereitelte 1860 die Absicht des Kaisers Franz Joseph, sich Rußland wieder zu nähern; doch hielt sich Rußland im ganzen zurück; denn, wie G. sagte, »es grollt nicht, aber es sammelt sich« (»La Russie ne boude pas, elle se recueille«). Erst im polnischen Aufstand 1863 bewies G. gegen die interventionslustigen Westmächte eine Energie, die ihn bei dem ganzen Volk sehr populär machte. 1866 ward er Kanzler des russischen Reiches. Während des deutsch-französischen Krieges forderte er in einer Note an die Großmächte 31. Okt. 1870 die Aufhebung der Bestimmung des Pariser Friedens von 1856, die Rußland die Haltung einer Kriegsflotte im Schwarzen Meer untersagte. Die Londoner Konferenz (Januar bis März 1871) gestand diese Forderung zu. Nach dem Frankfurter Frieden war er für Erhaltung des Friedens bemüht, und die Versöhnung mit Österreich wurde auf der Dreikaiser-Zusammenkunft in Berlin im September 1872, der G. anwohnte, besiegelt. Er trat 1875 in höchst anmaßlicher Weise als Friedensstifter zwischen Deutschland und Frankreich auf. Da es ihm nicht glückte, im Frieden die Türkei unter den herrschenden Einfluß Rußlands zu bringen, so schritt er zum Krieg. Währenddessen war er im Hauptquartier des Kaisers und kehrte erst im Dezember 1877 mit ihm nach St. Petersburg zurück. Seitdem schloß er sich ganz der panslawistischen Partei an. Der Friede von Santo Stefano war sein Werk. Unmittelbar darauf, im Frühjahr 1878, erkrankte er heftig; kaum genesen, begab er sich im Juni zum Berliner Kongreß als erster Bevollmächtigter Rußlands, wohnte indessen krankheitshalber nur einigen Kongreßsitzungen bei und gab seine Unzufriedenheit über das Ergebnis des Kongresses sehr deutlich kund. Er beschuldigte Deutschland der Undankbarkeit und bemühte sich, von unversöhnlichem Groll beherrscht, eine Koalition mit Frankreich gegen Deutschland zustande zu bringen. Doch scheiterten seine Ränke an Bismarcks Überlegenheit. Seit 1880 lebte er meist in Gaden-Baden, erhielt aber erst 3. April 1882 seine Entlassung. Er wurde in Petersburg beigesetzt. Mit einer Fürstin Urussow seit 1838 vermählt, hatte G. zwei Söhne: Michael (1839–97), der 1879–96 Gesandter in Madrid war, und Konstantin (geb. 1841). Seine Biographie schrieb Charles Marvin (Lond. 1887). Vgl. Klaczko, Les deux chanceliers. Le prince G. et le prince de Bismarck (Par. 1876).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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