- Dschaina
Dschaina, eine religiöse Sekte in Indien, ist gleichzeitig mit dem Buddhismus in Opposition gegen den Brahmanismus entstanden. Ihre Gründung geht zurück auf den adligen Dschnâtriputra (in Prâkritform Nâtaputta), mit dem Beinamen Mâhavîra, d.h. der große Held, der den Orden der Nirgrantha-Asketen (der »Fesselfreien«) reformiert oder organisiert hat, aus dem die D. hervorgegangen sind. Die heiligen Schriften der Buddhisten kennen ihn als einen ältern Zeitgenossen und Rivalen des Buddha; auf den Inschriften erscheint die Sekte von der Zeit des Asoka (3. Jahrh. v. Chr.) an. Gemeinden der D., d.h. der Anhänger des Dschina (»Überwinder, Sieger über die Welt«), wie der Prophet heißt, finden sich heute besonders im Kaufmannsstand in allen größern Städten Indiens und sind im Westen und Nordwesten sowie in den drawidischen Distrikten des Südens sehr zahlreich. Sie sind in zwei sich befehdende Zweige gespalten: Die Digambara (»deren Kleid der Luftraum ist«) erklären vollständige Nacktheit für das unerläßliche Zeichen der Heiligkeit, wenn sie auch in der Praxis gezwungen sind, von dieser Lehre abzugehen; die Çvetâmbara (»Weißgekleidete«) stellen diese Forderung nicht. Wie der Buddhismus erhebt die Dschainareligion Anspruch auf Universalität und öffnet daher ihren Schoß nicht bloß dem Arier, sondern auch dem Çûdra und dem Ausländer. Wie die Buddhisten, so unterscheiden auch die D. Mönche und Laiengläubige. Das höchste Ziel ist Nirvâna oder Mokscha, die Befreiung von dem Sansâra, dem Kreislauf der Geburt und des Todes. Mittel, dasselbe zu erreichen, sind die drei Kleinode: die rechte Erkenntnis, der rechte Glaube und der rechte Wandel. Die rechte Erkenntnis besteht in dem Verständnis des philosophischen Systems des Dschina. Nach diesem ist die Welt unerschaffen und ewig. Die Seelen sind reale Existenzen, in der Welt stets an Körper gefesselt. Die Tat (Karma), welche die Seele in den ihr zukommenden Körper bindet, wird abgeschnitten durch Kasteiung. (Das Gewicht, das hier auf Selbstpeinigung gelegt wird, ist ein besonders in die Augen fallender Unterschied gegenüber dem Buddhismus.) Die freigewordene Seele dauert in ihrer rein intellektuellen Natur ewig fort. Der rechte Glaube ist der Glaube an das Wort des Meisters und an die heiligen Texte. Der rechte Wandel hat seinen Kern in den fünf Gelübden: nichts zu verletzen, nicht die Unwahrheit zu reden, nichts ohne Erlaubnis sich anzueignen, die Keuschheit zu bewahren, an nichts sein Herz zu hängen. Für den Dschainalaien gelten die fünf Gebote in milderer Form. Das Kultusbedürfnis findet in der Verehrung des Stifters und der Dschinas der Vorzeit Befriedigung. Dem D. verdankt Indien eine Anzahl der schönsten Bauten, wie die Tempel von Abu, Girnar und Çatrundschaja in Gudscharat. Charakteristisch sind die Tierhospitäler der D. Die literarische Tätigkeit der D., anfangs in einem Prâkritdialekt, dann in Sanskrit, ist bedeutend, auch im Gebiete der weltlichen Wissenschaften; im Süden Indiens ruht die Literatur des Tamil auf den Grundlagen, welche die Dschainamönche geschaffen haben. Eine vollständige Übersicht über die kanonischen Werke der D. findet sich in A. Webers »Indischen Studien«, Bd. 16, S. 211–479, und Bd. 17, S. 1–90. Übersetzt sind das Âtschâranga und das Kalpasûtra von Jacobi in den »Sacred books of the East«, Bd. 22, das Uttarâdhjajanasûtra und Sûtrakritângasûtra, das., Bd. 45. Vgl. Lassen, Indische Altertumskunde, Bd. 4; Barth, Religions de l'Inde, S. 84 ff. (Par. 1879); Bühler im »Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften« (Wien 1887); Leumann, Beziehungen der Jainaliteratur zu andern Literaturkreisen Indiens (Leiden 1883).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.