Zwergvölker

Zwergvölker

Zwergvölker (Pygmäen), kleinwüchsige Stämme in Asien, Amerika und Europa, besonders aber in Afrika. Über ihre Herkunft und ethnographische Stellung ist man noch völlig im unklaren. Fritsch, Schweinfurth, Hartmann sehen in den afrikanischen Zwergvölkern (Negrillos) eine von der sie umgebenden Bevölkerung verschiedene und von ihr verdrängte und zersplitterte Urrasse, Virchow betrachtete sie als pathologisch entartete Reste (»Rückschrittsformen«) früher besser veranlagter Völker; dieser Ansicht neigt auch Ratzel zu, der die afrikanischen Z. als Varietät der Negerrasse bezeichnet. Andre bringen sie mit den einst über ganz Südafrika verbreiteten, allmählich von Europäern binnenwärts gedrängten Hottentotten und Buschmännern zusammen. Virchow zählt zu diesen von Ranke als ethnische »Kümmerformen« bezeichneten Zwergvölkern auch die Lappen (mittlere Körpergröße 1,5 m), die indischen Zwergrassen »schwarzer Haut«, die Dschangal, Dschuanga und Putua im Nordosten, die Kurumba in Maissur, die Veda in Südindien, die Wedda in Ceylon.

Homer berichtete über Pygmäen am Okeanos, Herodot von solchen an den Nilquellen. Auch in Indien und um Thule sollten sie vorkommen. Daß in Europa in vorgeschichtlicher Zeit zwerghafte Menschen gewohnt haben, scheinen die Gräberfunde von Schweizersbild zu beweisen. Im 16. Jahrh. wird über zwerghafte Bewohner an der Loangoküste (Mima, Bake-Bake) durch portugiesische Seefahrer berichtet, im 17. Jahrh. über die Dongo in Äquatorialafrika. Aber erst das 19. Jahrh. brachte genauere Nachrichten: 1840 der Missionar Krapf von den Doko (s. d.) südlich von Abessinien, 1854 Kölle von den Kenkob und Belsam (Westafrika), 1864 Du Chaillu über die Obongo, dessen Beobachtungen die Mitglieder der deutschen Loangoexpedition (Pechuel-Loesche, Volkskunde von Loango, Bd. 3, Abt. 2, Stuttg. 1907) und Lenz bestätigten. Eingehende wissenschaftliche Schilderung lieferte zuerst Schweinfurth über die Akka (s. d.), die in Long, Felkin, Emin Pascha, Casati, Stanley und Stuhlmann Bestätigung und Ergänzung fand. Die Akka erscheinen in den verschiedenen Gebieten als Ese (Eve), Tiki-Tiki, Moriu, Asifi. Serpa Pinto fand am obern Kuando die Mucassequere, Stanley, Wolf und Wissmann im Kongogebiet die Batua (Watwa), von denen Stuhlmann zwei Frauen aus der Gegend westlich vom Ruwenzori 1893 nach Europa brachte, François und Grenfell am Kongo selber die Bapoto, Kund die Bojaeli (Bagelli) im Hinterland von Kamerun, Crampel die Bayaga nördlich vom Ogowe, Baumann die Watwa in Urundi, Paulitschke die Jebîr, Achdam, Rami, Tomâl unter den Somalvölkern, Donaldson Smith die Dume am Stephaniesee, Graf Götzen, Kersting und Kandt bei den Virungabergen. Alle diese Stämme sind echte Jägernomaden, nur die von Mense am Stanley-Pool gesehenen Bakoa und die Wanyasaiko des Grafen v. Götzen sind Ackerbauer. Die letztern sind auch von auffallend kleinem Wuchs (durchschnittlich 1,3 und nicht über 1,5 m), aber nicht ausschließlich Jägervölker. Die über den ganzen Körper mit einem weichen, filzigen, grauweißlichen Haarflaum bedeckte Haut ist schokoladenbraun oder gelblich, dabei runzelig, was sie vorzeitig alt aussehend macht, ihr Haar kraus (doch nicht in Büscheln), die Augen klein, die Backenknochen vorstehend, die Lippen rot, der untere Gesichtsteil tritt zurück. Beschneidung und Tätowierung sind selten, die Bekleidung mit Rindenstoffen und Schmuck fehlen gänzlich. Waffen sind Bogen und Pfeile (häufig vergiftet), selten Speere; die Hütten sind halbkugelförmig aus Zweigen und Laub im Walddickicht gebaut. Als Haustiere halten sie nur Hunde, zuweilen Hühner. Ihre Sprache scheint nur ein verändertes Idiom der sie umgebenden Negerstämme zu sein. Alle beobachteten Zwergstämme sondern sich politisch und sozial ab. Geringe Körpergröße, verhältnismäßig helle Hautfarbe, Prognathie, Magerkeit, faltenreiche Haut, unstetes Leben (sie leben in der Nähe von Ackerbauern als »menschliche Parasiten«), Fehlen von Ackerbau, Viehzucht und Industrie sind gemeinsame Merkmale. Zwischen Bantuneger und Nordostafrikaner versprengt, reicht ihr Verbreitungsgebiet etwa vom Kongogebiet bis zum südlichen Abessinien. Vgl. außer den Reisewerken der genannten Forscher besonders Stuhlmann, Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika (Berl. 1894); De Quatrefages, Les Pygmées (Par. 1887); Panckow, Über Z. in Afrika und Südasien (»Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin«, 1892).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Zwergvölker — Zwergvölker, Pygmäen, Volksstämme von auffallend kleinem Wuchs (bis ca. 1,5 m), in Südasien, einzelnen Teilen des Malaiischen Archipels und Innerafrika, z.B. die 1864 von Du Chaillu in Westafrika entdeckten Obongo und die Akka (s.d.) …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Карликовые племена — Писатели классической древности оставили нам ряд рассказов о народах карликах, живших будто бы на окраинах известного тогда мира, в области истоков Нила, к Ю. от Сахары, в Индии. Уже у Гомера (а также у Аристотеля) встречается упоминание о… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Дивьи люди — дивовища так назывались у русских книжников допетровской Руси дивные, чудные, зверообразные, баснословные народы или люди, жившие, будто бы, в Индии и в других отдаленных странах, как, напр., пигмеи, великаны, люди с хвостами, с песьей головой,… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Paul Schebesta — Paul Joachim Schebesta (* 20. März 1887 in Groß Peterwitz, Schlesien; † 17. September 1967 in Mödling bei Wien) war ein deutscher Theologe, Missionar, Ethnologe und Erforscher sogenannter Zwergvölker (Pygmäen, Negrito) Afrikas und Asiens, zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Pygmäen — ist ein seit dem 19. Jahrhundert eingebürgerter und weiterhin gängiger, aber ethnologisch unbrauchbarer Sammelbegriff für eine Gruppe afrikanischer Völker. Er bezeichnet eine Vielzahl kulturell unterschiedlicher Gesellschaften in Zentralafrika,… …   Deutsch Wikipedia

  • Rudolf Pöch — (* 17. April 1870 in Tarnopol, Galizien, Österreich Ungarn, heute Ukraine; † 4. März 1921 in Innsbruck) war ein österreichischer Ethnograph, Anthropologe, Forschungsreisender und Pionier der Photographie, Kinematogr …   Deutsch Wikipedia

  • Afrika — Afrika, der fast insulare südwestliche Teil der Alten Welt. Der Name, zuerst von Ennius gebraucht, bezog sich ursprünglich nur auf die Karthago und Umgebung umfassende römische Provinz, wurde aber in der Kaiserzeit auf den ganzen Erdteil… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Akka [1] — Akka, Zwergvolk Innerafrikas, das zuerst von Schweinfurth beobachtet wurde. Die A. wohnen in einzelnen Kolonien inmitten andrer Stämme am Oberlauf des Aruwimi und am Nepoko, nennen sich selber Efé, werden aber von den Monbuttu A., von den Sandeh… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Kongostaat — (État Indépendant du Congo), unter Souveränität des Königs von Belgien stehendes Gebiet (s. Karte »Äquatorialafrika« in Bd. 1), 2,334,600 qkm groß mit etwa 14–30 Mill. (nach den neuesten Berechnungen 19 Mill.) Einw. Nur mit kleiner Küstenstrecke… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Mensch — (Homo sapiens L.), das höchst entwickelte irdische Wesen, das alle verwandten Lebewesen in geistiger Hinsicht bei weitem überragt, ohne jedoch von ihnen durch tiefer gehende körperliche Unterschiede getrennt zu sein. Denn der M. bietet den Typus… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”