Verjährung

Verjährung

Verjährung bedeutet im Bürgerlichen Gesetzbuch nur noch Anspruchsverjährung, d. h. Verlust von Rechten infolge von Nichtausübung durch eine bestimmte Zeit hindurch, während das Wort früher nicht selten auch von den richtiger als Ersitzung bezeichneten Einrichtungen gebraucht wurde, bei denen lange oder doch mehrere Jahre eines Besitzes zum Erwerb oder auch zum Beweis eines Rechts mitwirken (s. Ersitzung und unten: unordentliche V.). Eine Anspruchsverjährung ist deshalb allen Gesetzen bekannt, weil es in der Mehrzahl der Fälle dem gewesenen Schuldner schwer sein wird, nach längerer Zeit die stattgehabte Erledigung des Schuldverhältnisses nachzuweisen, schwieriger meist, als dem Gläubiger der von ihm zu erbringende Nachweis der Entstehung dieses Verhältnisses; nach bestimmten Zeiträumen sollen daher alte Rechtsangelegenheiten wider den Willen der einen Partei nicht mehr von der andern erörtert und geltend gemacht werden. Über diese V. enthält das Bürgerliche Gesetzbuch in § 196 und 197 Sondervorschriften, in § 194, 195, 198–225 aber allgemeine Bestimmungen. Die Grundzüge der letztern gehen dahin: 1) Der Schuldner braucht sich auf einen Anspruch nicht weiter einzulassen, wenn die hierfür gesetzlich bestimmte Frist (Verjährungsfrist) ungehemmt ablief, nachdem der Anspruch zuletzt durch Wort oder Tat anerkannt oder vor Gericht anhängig war oder nachdem derselbe sonst zuerst gerichtlich hätte geltend gemacht werden können. 2) Durch Rechtsgeschäfte kann der Einwand der V. im voraus weder ausgeschlossen, noch erschwert werden, während eine Erleichterung, z. B. Abkürzung der Verjährungsfrist, statthaft ist. 3) Mit dem Haupanspruch verjährt der Anspruch auf die Nebenleistungen, auch wenn die für letztere geltende besondere Verjährung noch nicht vollendet ist. Hypotheken, Pfandrechte und sonstige Sicherheiten werden dagegen durch die V. der Schuld nicht beeinflußt; sie können sogar für verjährte Schuld bestellt werden, und verjährte Schuld ist gültig erfüllt, auch wenn sie ohne Kenntnis von der eingetretenen V. erfüllt ward. 4) Soweit sie nicht etwa auf zukünftige wiederkehrende Leistungen gehen, erlangen die Ansprüche mit kürzerer Verjährungsfrist die dreißigjährige dadurch, daß sie in vollstreckbarer Urkunde, z. B. in rechtskräftigem Urteil, oder in nicht mehr anfechtbarer Konkurstabelle festgestellt werden. 5) Von der V. wesentlich verschieden ist die einzelnen Arten von Ansprüchen eigne und manchen Ansprüchen durch Vereinbarung eigentümliche zeitliche Beschränkung. Hier besteht der Anspruch nur, solange die bestimmte Zeit noch läuft, während die V. nur einen Einwand gewährt und auch die Erhebung solchen Einwandes den Bestand des Anspruchs nicht aufhebt. Wenn aber das Bürgerliche Gesetzbuch ferner als Regel aufstellt, daß die Ansprüche des bürgerlichen Rechts in 30 Jahren verjähren, so gibt es innerhalb und außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches davon so viele Ausnahmen, daß der Regelfälle verhältnismäßig nicht gar viel bleiben. Besonders häufig sind Fristen von 6 Wochen, 6 Monaten sowie von 1,2,3,4 oder 5 Jahren; man sehe ferner z. B. im Handelsgesetzbuch § 61, 113, 326 (drei Monate); § 414, 423, 439, 470, 901–904 (ein Jahr); § 905 (fünf Jahre). Von der allgemeinsten Wichtigkeit aber sind die in § 196 enthaltenen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die V. von Verbindlichkeiten des gewöhnlichen Lebens.


In zwei Jahren verjähren laut § 196 des Bürgerlichen Gesetzbuches die Ansprüche: 1) der Kaufleute, Fabrikanten, Handwerker und derjenigen, die ein Kunstgewerbe betreiben, für Lieferung von Waren, Ausführung von Arbeiten und Besorgung fremder Geschäfte, mit Einschluß der Auslagen, es sei denn, daß die Leistung für den Gewerbebetrieb des Schuldners erfolgt;

2) derjenigen, die Land- und Forstwirtschaft betreiben, für Lieferung von land- oder forstwirtschaftlichen Erzeugnissen, sofern die Lieferung zur Verwendung im Haushalt des Schuldners erfolgt;

3) der Eisenbahnunternehmungen, Frachtfuhrleute, Schiffer, Lohnkutscher und Boten wegen des Fahrgeldes, der Fracht, des Fuhr- und Botenlohns, mit Einschluß der Auslagen;

4) der Gastwirte und derjenigen, die Speisen oder Getränke gewerbsmäßig verabreichen, für Gewährung von Wohnung und Beköstigung sowie für andre den Gästen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gewährte Leistungen, mit Einschluß der Auslagen;

5) derjenigen, die Lotterielose verteilen, aus dem Bertrieb der Lose, es sei denn, daß die Lose zum Weitervertrieb geliefert werden;

6) derjenigen, die bewegliche Sachen gewerbsmäßig vermiten, wegen des Mietzinses;

7) derjenigen, die, ohne zu den in Nr. 1 bezeichneten Personen zu gehören, die Besorgung fremder Geschäfte oder die Leistung von Diensten gewerbsmäßig betreiben, wegen der ihnen aus dem Gewerbebetriebe gebührenden Vergütungen, mit Einschluß der Auslagen;

8) derjenigen, die im Privatdienst stehen, wegen des Gehalts, Lohns oder andrer Dienstbezüge, mit Einschluß der Auslagen sowie der Dienstberechtigten wegen der auf solche Ansprüche gewährten Vorschüsse;

9) der gewerblichen Arbeiter (Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter), der Tagelöhner und Handarbeiter wegen des Lohns und andrer an Stelle oder als Teil des Lohns vereinbarter Leistungen, mit Einschluß der Auslagen sowie der Arbeitgeber wegen der auf solche Ansprüche gewährten Vorschüsse;

10) der Lehrherren und Lehrmeister wegen des Lehrgeldes und andrer im Lehrvertrag vereinbarter Leistungen sowie der für die Lehrlinge bestrittenen Auslagen;

11) der öffentlichen Anstalten, die dem Unterricht, der Erziehung, Verpflegung oder Heilung dienen sowie der von Privatanstalten solcher Art für Gewährung von Unterricht, Verpflegung oder Heilung und für die damit zusammenhängenden Aufwendungen;

12) derjenigen, die Personen zur Verpflegung oder zur Erziehung aufnehmen, für Leistungen und Aufwendungen der in Nr. 11 bezeichneten Art;

13) der öffentlichen Lehrer und der Privatlehrer wegen ihrer Honorare, die Ansprüche der öffentlichen Lehrer jedoch nicht, wenn sie auf Grund besonderer Einrichtungen gestundet sind;

14) der Ärzte, insbes. auch der Wundärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte sowie der Hebammen für ihre Dienstleistungen, mit Einschluß der Auslagen;

15) der Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher sowie aller Personen, die zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt oder zugelassen sind, wegen ihrer Gebühren und Auslagen, soweit nicht diese zur Staatskasse fließen;

16) der Parteien wegen der ihren Rechtsanwälten geleisteten Vorschüsse;

17) der Zeugen und Sachverständigen wegen ihrer Gebühren und Auslagen.


Auf strafrechtlichem Gebiete hat die dem deutschen Mittelalter und der peinlichen Gerichtsordnung fremde V. erst im 16. und 17. Jahrh. in Deutschland Eingang gefunden; doch wurden vielfach die schwersten Verbrechen für unverjährbar erklärt. Heute findet sich die strafrechtliche V. in doppelter Gestalt: 1) V. der Strafklage oder Verfolgungsverjährung. Der staatliche Strafanspruch geht unter, wenn der Täter eine bestimmte Zeitlang unverfolgt geblieben ist (§ 67 des Reichsstrafgesetzbuches). Die Frist beträgt bei Verbrechen, wenn sie mit Tod oder lebenslänglichem Zuchthaus bedroht sind, 20, wenn sie im Höchstbetrag mit einer Freiheitsstrafe von einer längern als zehnjährigen Dauer bestraft werden können, 15, und wenn sie mit einer geringern Freiheitsstrafe bedroht sind, 10 Jahre; bei Vergehen, wenn sie im Höchstbetrag mit einer längern als dreimonatigen Gefängnisstrafe bedroht sind, 5, außerdem 3 Jahre, bei Übertretungen 3 Monate. Sie beginnt mit dem Tage der begangenen Handlung, ohne Rücksicht auf den Tag des Erfolgseintrittes (also mit der tödlichen Verwundung, nicht erst mit dem Tode). Dabei ist aber zu beachten, daß bei Antragsdelikten (s. d.) die strafrechtliche Verfolgung schon dann ausgeschlossen ist, wenn der zum Antrag Berechtigte es unterläßt, den Antrag binnen 3 Monaten von dem Tag an zu stellen, seit dem er von der Handlung und von der Person des Täters Kenntnis gehabt hat. Sie wird unterbrochen (§ 68), so daß nach Aufhören der Unterbrechung eine neue Frist zu laufen beginnt, durch jede Handlung des Richters, die wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist. Sie ruht (§ 69), so daß nach Wegfall des Hemmnisses die begonnene Frist weiterläuft, wenn die Verfolgung unmöglich ist. 2) V. des Strafurteils oder Vollstreckungsverjährung (§ 70–72). Die Frist beginnt mit der Rechtskraft des Urteils; sie beträgt, je nach der Schwere der erkannten Strafe, 2–30 Jahre; sie wird durch jede Vollstreckungshandlung, insbes. die Festnahme des Verurteilten, unterbrochen. Vgl. Deutsches Strafgesetzbuch, § 61, 66–72; Österreichisches, § 227 ff., 531 f.; Code d'instruction criminelle, Art. 635 ff.; Körner, Reichsrechtliche Verjährungs-, Fristen- und Zeittafel (2. Aufl., Hannov. 1903); Rosenberg, V. und gesetzliche Befristung nach dem bürgerlichen Recht (Münch. 1904), und die Schrift von Weiß unter gleichem Titel (das. 1905).

Von unvordenklicher V. (Immemorialverjährung), unvordenklicher Zeit, unvordenklichem Besitz spricht man als von einem Beweisgrund für den Bestand eines Rechtes, wenn etwas feil Menschengedenken (in den letzten 40 Jahren) als Recht geübt ist, ohne daß ein rechtswidriger Beginn solcher Übung dargetan werden kann. Seit 1900 kommt jedoch unvordenkliche V. in Deutschland für bürgerliches Recht nicht mehr in Betracht.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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