Linde [1]

Linde [1]

Linde (Tilia L., hierzu Tafel »Linde I und II«), Gattung der Tiliazeen, große Bäume mit meist schief herzförmigen, gesägten Blättern, gelblichweißen, duftenden Blüten in cymenähnlichen Trauben, anderen Stiel das häutige, zungenförmige Tragblatt als Flugapparat angeheftet ist, und ein- oder wenigsamigen, kugeligen oder birnförmigen Nüßchen. In den Blüten findet sich oft außer Kelch und Krone noch eine zweite Reihe Blumenblätter, sogen. Staminodien. 8–10 Arten in der nördlichen Hälfte beider Halbkugeln.

Die auf beifolgender Tafel abgebildete kleinblätterige L. (Winterlinde, Steinlinde, T. ulmifolia Scop., T. cordata Miller, T. parvifolia Ehrh. s. auch Tafel »Laubbäume im Winter II« beim Artikel »Baum«), ein bis 25 m hoher Baum mit zweizeiligen, gestielten, schief rundlich-herzförmigen, zugespitzten, doppelt gesägten, auf der Unterfläche nur in den Winkeln der Hauptnervenäste rostfarbenbärtigen, sonst blaugrünen Blättern, fünf- bis elfblütigen Blütenständen, durch Umwendung des Tragblattes nach oben gerichtet, blaßgelben oder weißlichen Blüten ohne Staminodien und meist rundlicher, glatter Frucht, findet sich in ganz Europa bis zum Ural und in den Kaukasusländern und ist in unsern Wäldern sehr verbreitet; ausgedehnte Bestände bildet sie besonders im Osten. Die großblätterige L. (Sommerlinde, Wasserlinde, holländische L., T. platyphyllos Scop., T. grandifolia Ehrh.), ein bis 30 m hoher Baum mit doppelt gesägten, unterseits weichhaarigen und in den Nervenwinkeln graubärtigen, meist heller als oberseits gefärbten Blättern, zwei- bis fünfblütigen, hängenden Blütenständen, Blüten ohne Staminodien und deutlich fünfrippiger Frucht, findet sich wild vielleicht nur in den Wäldern jenseit der Donau im Osten, eingesprengt in Wäldern in Süddeutschland und Österreich, Bestände bildend nur in Ungarn, ist aber bei uns durch Anpflanzungen allgemein verbreitet und variiert in der Gestalt der Blätter und Früchte sehr stark. In den Gärten unterscheidet man zahlreiche Varietäten. Sie blüht früher als die vorige Art und schlägt auch früher aus. Die Winterlinde bevorzugt den mehr frischen als trocknen Waldboden der niedern Vorberge und der Ebenen; sie ist über ganz Deutschland bis weit nach Nordosten verbreitet, während die Sommerlinde mehr südlich und westlich vorkommt. Der Same keimt meistens erst im zweiten Jahr. Vor dem zehnten Jahr sind die Pflanzen selten als Alleebäume brauchbar. Die L. zeigt von Jugend an freudiges Wachstum und bildet einen anfangs fast immer vollkommen walzenrunden Stamm, der schon in geringer Höhe Äste ausschickt, die sich gern flach schirmförmig ausbreiten. Die Krone wölbt sich frühzeitig ab. Die tief eingreifende und sich weit verzweigende Wurzel befähigt die L., den stärksten Stürmen zu trotzen. Sie zeigt überhaupt große Widerstandsfähigkeit, leidet von Krankheiten und Feinden kaum, und nur das Wild und Weidevieh benagt gern ihre Triebe. Sie besitzt am Stamm und Stock großes Ausschlagvermögen und bildet daher oft große Maserknoten. Im hohen Alter wird sie leicht kernfaul; doch finden sich auch ganz gesunde 400–500jährige Bäume, und überhaupt erreicht die L. von allen unsern Waldbäumen das höchste Alter. Man sieht sie dann häufig zur Trägerin von Galerien, zuweilen mehrfach übereinander liegenden, benutzt, und die schweren, oft sehr flach ausgebreiteten Äste werden durch Pfeiler gestützt. Die L. in Donndorf bei Bayreuth, die 1849 den letzten ihrer Hauptäste verlor, wurde auf mehr als 1230 Jahre geschätzt; 1390 soll sie schon 24 Ellen im Umfang gehabt haben. Die Rinde ist anfangs ziemlich glatt und glänzend, düster rotbraun, wird später borkig, ziemlich tief in Borkentafeln aufgerissen, in hohem Alter tief furchenrissig. Man benutzt sie in Rußland zu Schlittenkörben, Wagenkasten, zum Decken der Gebäude etc. Den unter der äußern Rinde liegenden Bast schält man im Mai von 20–30jährigen gefällten Stangenhölzern in Streifen von 6–9 cm Breite, röstet ihn wie Flachs im Wasser und befreit ihn durch Klopfen und Waschen von den leichter zersetzbaren Bestandteilen, so daß nur die ein seines Maschennetz bilden den, sehr dickwandigen Bastzellen übrigbleiben, worauf man die einzelnen Jahreslagen voneinander trennt. In Rußland fertigt man daraus Körbe, Decken etc., besonders aber zum Verpacken von Waren dienende Bastmatten. Ein Baum von 10 m Höhe und 30–40 cm Durchmesser liefert 45 kg Bast, für 10–12 Matten ausreichend. Rußland liefert jährlich 14 Mill. Stück Matten. Das Lindenholz (meist von T. parvifolia) ist ungemein weich und locker, weiß, oft mit einem Stich ins Rötliche, von gleichmäßigem Gefüge, mit kleinen Spiegeln und Jahresringen; es ist gut schneidbar, spaltet leicht, aber nicht eben, und glänzt etwas auf frischer Radialfläche. Trocken dauert es sehr lange aus, feucht geworden oder unter Wasser geht es bald zugrunde. Man benutzt es als Schnitz- und Tischlerholz, die Kohle zum Zeichnen; als Brennholz hat es geringen Wert. Die Lindenblüten gewähren den Bienen reichliche Nahrung und werden arzneilich als schweißtreibendes Mittel benutzt. Das durch Destillation mit Wasser daraus bereitete Lindenblütenwasser besitzt, wenn es aus frischen Blüten bereitet wurde, einen Geruch; Heilwert hat es nicht. Die Samen der L. enthalten 58 Proz. fettes Öl, das in Farbe und Geschmack dem besten Provenceröl gleicht, nicht ranzig wird und nicht trocknet; es erstarrt nicht bei -21°.

Die morgenländische, ungarische Silberlinde (T. argentea Desf., T. tomentosa Mnch.), aus Ungarn, der europäischen Türkei und Kleinasien, mit eirunder oder rundlicher Krone, auf der Oberseite matten, auf der Unterseite wie an den Blattstielen filzig weißbehaarten, scharf oder eingeschnitten gesägten Blättern von 10 cm Länge, Blüten mit Staminodien und ein- und zweisamiger, eirundspitzer, schwach fünfrippiger Frucht; die abendländische amerikanische Silberlinde (T. alba Ait.) aus Nordamerika, mit auf der Unterseite schwach (oft kaum) filzig behaarten, oft 13 cm breiten, scharf gezahnten Blättern, unbehaarten Blattstielen, mehrblütigen Trugdolden, Blüten mit Staminodien und fünfsamiger, tief fünffurchiger, schwach warziger Frucht. Die Schwarzlinde (T. americana L., T. glabra Vent.), aus dem nördlichen Nordamerika und Kanada, mit auf der Unterfläche meist unbehaarten, scharf gesägten Blättern, die in ihrer Form vielfach abändern, vielblütigen Blütenständen und rundlicher Frucht, wird wie die beiden vorigen Arten vielfach als Zierbaum angepflanzt. Die Linden sind sehr raschwüchsig und lassen sich selbst als große Bäume sehr gut verpflanzen. Sie ertragen auch das Zurückschneiden oder Kappen und treiben leicht aus dem allen Holz. Die Abarten vermehrt man durch Okulierung auf unsre einheimischen Linden. – Unsre Vorfahren hielten die L. heilig. Alle Dorfangelegenheiten wurden, wie es in einigen Gegenden noch jetzt geschieht, unter einer L. verhandelt. Hier tanzte und spielte die Jugend und ruhte das Alter aus; ja, es wurde sogar dafür gesorgt, daß die Begräbnisplätze von Linden beschattet waren. In neuerer Zeit schien die schnellwüchsige Pyramidenpappel die L. zu verdrängen, aber schon beginnt diese wieder in ihre alten Rechte eingesetzt zu werden. Wegen ihrer Dauerhaftigkeit und ihres Alters kann die L. auch als Merkmal und Grenzzeichen dienen sowie auch zur Befestigung der Festungswälle, wie in Holland.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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