Lieferungsgeschäft

Lieferungsgeschäft

Lieferungsgeschäft (Zeit-, Termingeschäft, Lieferungskauf, Zeitkauf, Kauf auf Lieferung, auf Bezug), im Gegensatz zum Tagesgeschäft oder Kontantgeschäft (Kassageschäft, Tageskauf) ein Geschäft, dessen Erfüllung nicht sofort nach Abschluß des Vertrags, sondern erst in einem spätern Termin (Erfüllungstag, Stichtag) erfolgen soll. Ist hierbei als ein wesentlicher Bestandteil der Leistung vereinbart, daß sie genau zu einer bestimmten Zeit oder innerhalb einer bestimmten Frist zu erfolgen habe, so liegt ein Fixgeschäft vor. Der Gegenstand der Lieferung braucht sich bei Abschluß des Vertrags noch nicht im Besitz des Verkäufers zu befinden; die Spekulation des Verkäufers ist dann darauf gerichtet, den Betrag zu gewinnen, um den er den Gegenstand der Lieferung später billiger einkauft, als er ihn bei Lieferungsübernahme verkauft hat. Der Verkäufer spekuliert also auf das Sinken der Preise (à la baisse), während umgekehrt der Käufer auf ein Steigen der Preise rechnet (à la hausse spekuliert). Spekulationsgeschäfte, die auf die durch den Zeitunterschied herbeigeführten Preisschwankungen gebaut sind, heißen Agiotagegeschäfte. Soll die Erfüllung eines Zeitgeschäfts von seiten des Verkäufers nicht durch Lieferung der Ware selbst geschehen, sondern durch Leistung des Unterschiedes zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem Markt- oder Börsenpreis der Ware zur Zeit der Erfüllung, so liegt ein Differenzgeschäft (s. d.) vor. Zum Schutze gegen die Nachteile einer verfehlten Spekulation kann bei Abschluß eines Lieferungsgeschäfts einem oder beiden Kontrahenten ein Wahlrecht (z. B. zwischen Erfüllung und Rücktritt) gegen Zahlung einer bestimmten Prämie eingeräumt werden. Solche im Börsenverkehr übliche Geschäfte heißen Prämiengeschäfte (s. d.). Im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich hat das L. keine ausdrückliche Regelung gefunden. Nach dem neuen deutschen Handelsgesetzbuch (§ 343) ist es nur dann Handelsgeschäft (s. d.), wenn mindestens einer der beiden Teile Kaufmann ist und dieser das Geschäft im Betrieb seines Handelsgewerbes abschließt. Im Gegensatz zum Kontantgeschäft (Tageskauf, Effektiv-, Kassageschäft), das auf der Zug um Zug erfolgenden Erfüllung beruht, setzt der Begriff des Lieferungsgeschäfts als wesentlichen Vertragsbestandteil die Vereinbarung eines Termins oder einer Frist voraus, an dem, bez. innerhalb der die Sache zu liefern ist. Termin und Frist können auch usancemäßig festgelegt sein. Das wirtschaftliche Moment, worauf es bei derartigen Geschäften ankommt, liegt meistens in der Bewegung des Preises für die gehandelte Sache während des zwischen dem Abschluß und der Erfüllung des Vertrags liegenden Zeitraums. Darauf beruhen die verschiedenen Unterarten des Lieferungsgeschäfts, wie Fixgeschäft, Differenzgeschäft, Report- oder Kostgeschäft etc. Man spricht hier auch von Agiotagegeschäften. Für das kaufmännische L. gelten die allgemeinen Vorschriften des Handelsgesetzbuches über Handelsgeschäfte (§ 343–372) und die besondern über den Handelskauf (§ 373 bis 382). Namentlich ist für das L. von Bedeutung § 376, wonach der Umstand, daß die Lieferung nicht rechtzeitig erfolgte, dem andern Teil ein Rücktrittsrecht gewährt. Beruht aber die Verspätung auf dem Verzug des Schuldners, so kann unter Abstand vom Rücktrittsrecht Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangt werden, über dessen Bemessung eingehende Vorschriften getroffen sind. Insbesondere kann bei markt- und börsengängigen Waren der Höhe des Schadenersatzes einfach der Unterschied zwischen dem vereinbarten Kaufpreise und dem Markt- oder Börsen preise zur Zeit und am Orte der geschuldeten Leistung zugrunde gelegt werden. Will der Gläubiger trotz der Verspätung auf Erfüllung bestehen, so muß er dies dem Schuldner unverzüglich mitteilen. Abgesehen von diesen besondern handelsrechtlichen Vorschriften ist auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 361) für gegenseitige Verträge überhaupt, bei denen die Leistung des einen Teils genau zu einer festbestimmten Zeit oder innerhalb einer festbestimmten Frist bewirkt werden soll, bei Verspätung der Leistung im Zweifel dem andern Teil ein Rücktrittsrecht gegeben, statt dessen er aber (im Falle des Verzugs des Leistungsschuldners) nach den allgemeinen Vorschriften (§ 326) auch Schadenersatz wegen Nichterfüllung fordern kann. – Eine besonders wichtige Rolle spielt das L. im Börsenverkehr. Das durch Börsenusance geregelte und an der Börse abgeschlossene L. heißt Termingeschäft im Gegensatz zum Abschluß von Kontor zu Kontor und zum handelsrechtlichen L.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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