- Küstenkrieg
Küstenkrieg, der Kampf einer die See beherrschenden Flotte gegen die feindliche Küste. Aufgaben des Angreifers sind: Sperrung des Schiffsverkehrs (s. Blockade), Niederkämpfung der Küstenbefestigungen, Einnahme der feindlichen Kriegshäfen. Brandschatzung der reichen Seehandelsstädte, zuweilen auch im Zusammenwirken mit dem Heere Landung von Truppen zum Vordringen in Feindesland. Aufgaben des Verteidigers: Verhinderung der Sperrung der Seewege (Blockadebruch), Verteidigung der Küstenwerke und Häfen, Abwehr von Landungen, überraschende Angriffe zur Beunruhigung und Schwächung des Angreifers. Mittel des Angreifers sind Geschwader oder Flotten, zusammengesetzt aus Linienschiffen (s. Panzerschiff), Panzerkreuzern und Schnellkreuzern (s. unter Kreuzer), Hochseetorpedobooten, Streuminendampfer und einem Troß von Kohlenschiffen, Munitionsschiffen, Werkstattschiffen (s. d.), Hospitalschiffen (s. d.), Pumpendampfern (s. d.) und, wenn nötig, einer Flotte von Truppenschiffen (Handelsdampfer, für den Transport von Landungstruppen eingerichtet). Mittel des Verteidigers sind ebenfalls Geschwader oder Flotten, zusammengesetzt aus Linienschiffen, Kreuzern und Torpedobooten, ferner aus Küstenpanzerschiffen, Panzerkanonenbooten und Unterseebooten, die aber beträchtlich schwächer als die des Angreifers sind und deshalb eine Seeschlacht entweder gar nicht oder nur unter günstigen Umständen wagen können, z. B. nur Nachtangriffe in den dem Verteidiger gut bekannten, für Fremde schwierigen Küstengewässern, oder überraschende Angriffe, wenn infolge schweren Sturmes die Seestreitkräfte des Angreifers Schutz suchend sich trennen mußten, oder wenn Nebel die Bewegungen des Verteidigers dem Angreifer verbirgt, oder schließlich, wenn es gilt, selbst unter Aufopferung der eignen Seestreitkräfte den Angreifer so viel zu schwächen, daß er unfähig wird, seinen Zweck, Eroberung des Hafens, zu erreichen. Außerdem verfügt der Verteidiger noch über besondere Mittel, die dem K. gewisse Ähnlichkeit mit dem Festungskrieg geben. In erster Reihe sind die örtlichen Befestigungen zu nennen, die nach der Seeseite als Küstenbefestigungen (Küstenwerke, Küstenforts, Seeforts, Hafenbefestigungen, Hafenforts) mit Geschützen allerschwersten Kalibers bewaffnet sein müssen, um auch den stärksten Schiffspanzer durchschlagen zu können. Die Küstenwerke werden neuerdings fast nur noch als Panzerforts gebaut, in denen die Geschütze meist einzeln oder zu zweien in drehbaren Panzerkuppeln, seltener in Kasematten mit Minimalscharten aufgestellt sind. Ältere Küstenwerke bestehen auch aus Erdwerken mit steinernen Kasematten oder aus massiven Steinbauten; einzelne, wie die Batterien von Gibraltar, sind in den gewachsenen Felsen hineingelegt. Die Landseite von wichtigen Küstenplätzen, namentlich von Seekriegshäfen (s. Flottenstützpunkte), ist wie jede Landfestung (s. Festung) verteidigt. Die Küstenbefestigungen werden so angelegt, daß sie die Reede (s. d.) und die Fahrwasser vor dem zu schützenden Hafen mit ihrem Feuer beherrschen; je weiter sie dabei vor den Hafen und dessen Werftanlagen vorgeschoben werden können, desto weniger wird der Hafen oder Küstenpunkt vom Feinde beschossen werden können, z. B. ist Brest ein gut geschützter Seekriegshafen, während Cherbourg dem feindlichen Feuer offen liegt. Zuweilen müssen deshalb Panzerforts auf Sandbänken mitten im Wasser erbaut werden, z. B. auf der Reede von Spithead vor Portsmouth. Die leichtern Küstengeschütze, besonders Schnellfeuergeschütze zur Abwehr von Torpedobooten und Streuminendampfern, werden auch in offenen Strandbatterien aufgestellt. Haubitzbatterien für indirektes Feuer werden für den Feind unsichtbar in guter Deckung angelegt. Sehr günstig und auch vielfach durchgeführt sind neuerdings versenkbare Geschützstände, wobei die Geschütze nur während der Schußabgabe dem feindlichen Feuer ausgesetzt sind. Große Sicherheit in der Feuerwirkung läßt sich für die Küstengeschütze durch zweckmäßig eingerichtete, an verschiedenen Küstenpunkten aufgestellte Entfernungsmesser erzielen. Da die Küstenartillerie allein eine schnellfahrende Panzerschiffsflotte vom Eindringen in einen Hafen nicht abhalten kann, müssen durch Minensperren (s. Seeminen) noch besondere Annäherungshindernisse geschaffen werden. Je nach der Wichtigkeit des Hafens werden mehrere Minensperren hintereinander quer über das Fahrwasser ausgelegt; diese Sperren müssen da gelegt werden, wo das Feuer der Küstenbefestigungen größte Kraft hat. Zugleich bedürfen sie des Schutzes durch am Strand aufgestellte Scheinwerfer und leichte Strandbatterien zur Abwehr von Torpedobooten und andern Fahrzeugen, die nachts die Minensperre zerstören wollen. Die Ausfallücken für die eignen Schiffe in den Minensperren werden je nach der Örtlichkeit durch Torpedostrandbatterien, automobile Torpedos (s. d.), Unterseeboote oder auch große sogen. Beobachtungsminen verteidigt. Hat man nach der Beschaffenheit der Küste Landungen und überraschende Überfälle einzelner Küstenbefestigungen zu befürchten, dann muß auch ein Vorposten- und Wachtdienst im Vorgelände eingerichtet werden. Außerdem wird ein Küstensignaldienst an wichtigen Punkten mit zweckmäßigen Mitteln (Funkspruchstellen, Telegraph, Fernsprecher, Semaphor, Heliograph, Fesselballon, Scheinwerfer, Signalraketen, Sirenen, Nebelhörnern, Dampfpfeifen, Eisenbahn, Automobil, Fahrrad, Draisine etc.) eingerichtet, durch den die Bewegungen des Feindes genau beobachtet und dem Befehlshaber der Verteidigung gemeldet werden. Um dem Feinde die Fahrt an der Küste zu erschweren, werden alle Seezeichen (s. Tonnen, Baken) entfernt und nachts auch die Leuchtfeuer nicht angezündet.
Der K. wird sich ungefähr in folgender Weise abspielen (die Belagerung von Port Arthur, dem russischen Kriegshafen, bietet das beste Beispiel dafür). In mit Klippen und Bänken besetztem Küstenfahrwasser wird der Angreifer zunächst kleine Kreuzer oder Torpedoboote in der Morgendämmerung vorschicken, um das Fahrwasser auszuloten und die entfernten Seezeichen durch neue Spierentonnen zu ersetzen; gleichzeitig muß das Außenfahrwasser auf etwa vom Verteidiger ausgelegte Streuminen untersucht und nötigenfalls von solchen Minen gereinigt werden. Sind die Seestreitmittel des Verteidigers verhältnismäßig stark, wird der Angreifer versuchen, ihre Kraft lahmzulegen, indem er seinerseits ebenfalls das Fahrwasser nahe vor dem Hafen durch Streuminensperren ganz oder teilweise absperrt, welche Arbeit von Streuminendampfern und Torpedobooten nachts ausgeführt wird. Unter Umständen kann es dem Angreifer auch erwünscht sein, wie vor San Jago de Cuba und vor Port Arthur, die enge Hafeneinfahrt durch Versenken von Schiffen (z. B. von Dampfern, die Zement oder Steine geladen haben) wie durch einen Damm völlig für den Schiffsverkehr zu sperren, um das Entwischen der eingeschlossenen Seestreitkräfte zu verhüten. Beabsichtigt der Angreifer aber, selbst gewaltsam in den feindlichen Hafen einzudringen, dann muß er zunächst versuchen, in die Minensperren des Verteidigers Lücken zu machen; dies kann auf verschiedene Art ausgeführt werden, bleibt aber stets ein sehr schwieriges Unternehmen, wenn die Sperren gut von den Strandbatterien verteidigt werden. Man benutzt zum Brechen der Sperren ebenfalls Handelsdampfer, oder Torpedoboote, oder auch kleine Fahrzeuge, die, mit allerlei Schleppgerät versehen, über die Sperre fahren und durch Auslegen und Entzünden von sehr starken »Quetschminen« die kleinern Minen der Sperre zur Zündung bringen sollen. Man hat auf diesem Gebiete bisher noch wenig ernsthafte Erfahrungen gesammelt, so daß der künftige Seeminenkrieg noch mancherlei Überraschungen bringen wird. Zum Aufsuchen der Minensperren und Unterseeboote in klaren, durchsichtigen Gewässern kann der Fesselballon gute Dienste leisten, weil man aus der Höhe tief unter die Wasseroberfläche sehen kann. Durch Torpedobootsangriffe bei Nacht und durch kleine Kreuzer bei Tage wird der Verteidiger die Zerstörung seiner Minensperren zu hindern suchen. Auch wenn es gelingen sollte, die Sperren aufzuräumen oder zu durchbrechen, wird die Linienschiffsflotte des Angreifers zunächst bei Tage in großem Abstand längs der Küste fahrend die Beschießung der Küstenwerke beginnen und erst zum Nahangriff vorgehen und die Einfahrt in den Hafen erzwingen, wenn die Küstenbefestigungen bereits stark gelitten haben und teilweise zerstört sind. Nachts wird der Angreifer nur kleine Kreuzer und Torpedoboote als Vorpostenkette vor dem feindlichen Hafen lassen, mit seiner Linienschiffsflotte aber weit in See dampfen, um vor überraschenden Torpedobootsangriffen des Verteidigers möglichst sicher zu sein. Der Verteidiger aber wird sich bemühen, nächtliche Ausfälle von verschiedenen Häfen her gleichzeitig gegen die feindlichen Linienschiffe zu machen, deren Erfolg von der Zahl und Tüchtigkeit seiner Boote, der Schulung von deren Führer und auch von der Witterung, vom Mond und vom Glück abhängt. Die Küstenpanzerschiffe und Panzerkanonenboote sollen an solchen Punkten, die nicht gut vom Land aus verteidigt werden können, die Tätigkeit der Küstenbefestigungen gegen die Flotte des Angreifers unterstützen. Im K. ist auch der sonderbare Fall denkbar, daß ein zu Lande sehr stark befestigter Seehafen, z. B. Antwerpen, der über keinerlei Seestreitkräfte verfügt, von ein paar schwachen Kriegsschiffen völlig blockiert werden kann, auch wenn diese Schiffe keinen Angriff auf den Hafen wagen dürfen. Vom Erfolg der Beschießung hängt auch heute noch der Haupterfolg im K. ab, trotzdem durch Minensperren, Torpedoboote und vielleicht auch künftig in dazu geeigneten stillen und tiefen Gewässern durch Unterseeboote (s. d.) der Flotte des Angreifers viel Schaden zugefügt werden kann, wenn er die Wirkung dieser Waffen unterschätzt und die gegen sie nötigen Schutzmaßnahmen vernachlässigt. Verfügt der Angreifer über Flottenstützpunkte in der Nähe der feindlichen Küste, oder gelingt es ihm, sich an einem wichtigen Platze dieser Küste festzusetzen und einen Flottenstützpunkt zu schaffen, dann werden ihm fernere Erfolge geringere Mühe kosten.
Zur Abwehr von Landungen werden die wichtigsten Küstenpunkte mit Truppen besetzt und Reservetruppen bereitgehalten, um dahin zu eilen, wo der Feind eine Ausschiffung versuchen sollte. Landungen des Angreifers werden von der Besatzung der Kriegsschiffe in deren Booten nur zur Zerstörung von Hafen- und Bahnbauten, Werftanlagen und Befestigungen, Überfall von Wachen, Signalstellen, Strandbatterien u. a. ausgeführt. Größere Truppenabteilungen können nur nach sorgfältigen Vorbereitungen und an solchen Stellen der Küste ausgeschifft werden, wo die Schlachtschiffe nahe genug an die Küste herangehen können, um die Landung durch ihr Feuer vorzubereiten und zu decken. Auch dann kann sich die Landungstruppe nicht ohne Gefahr weit von der Küste und von ihrer Flotte entfernen, auf die sie für Verpflegung und Rückzug angewiesen ist. Der Verteidiger wird durch seine Beobachtungsstellen längs der Küste rasch von der Landung benachrichtigt und wirft seine Truppen nach der Landungsstelle. Je ausgedehnter das Eisenbahnnetz an der Küste und nach dem Innern ist, um so weiter her kann er Verstärkungen zur Abwehr der Landung herbeiführen. Bei den heutigen Mitteln braucht ein Armeekorps von 30,000 Mann mit allen Trains zur Ausschiffung etwa einen Tag, ein Zeitraum, der meist genügt, überlegene Kräfte dem Angreifer gegenüber zu sammeln. Vgl. Scheliha, A treatise on coast defences (Lond. 1868); Grabe, Die Kriegführung an den Meeresküsten (Berl. 1865); Dislère, La guerre d'escadre et la guerre des côtes (2. Aufl., Par. 1883); Henning, Die Küstenverteidigung (Berl. 1892); Colomb, Essays on naval defence (Lond. 1893); Brialmont, La défense des côtes (Brüss. 1896); Grasset, La défense des côtes (Par. u. Nancy 1899), Toudouze, La défense des côtes de Dunkerque à Bayonne an XVII. siècle (Par. 1900); Mielichhofer, Der Kampf um Küstenbefestigungen (Wien 1897) und Der Küstenkrieg (das. 1903); »Marine-Rundschau« (Berl.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.