- Juristische Person
Juristische Person, früher auch fingierte, mystische, moralische Person genannt, ist kein wirkliches Lebewesen, sondern ein nur vorgestelltes, künstlich durch Gedankenoperation geschaffenes Personengebilde, das der Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Dem ältern römischen Recht war der Begriff j. P. unbekannt, erst zu Ende der Republik tauchte die erste j. P. in der Gestalt des Fiskus, d. h. der kaiserlichen Kasse, auf, die Folgezeit schuf dann eine Reihe von juristischen Personen, so insbes. den Staat, die Gemeinde, Anstalten, d. h. öffentliche Einrichtungen und Stiftungen, d. h. nützlichen Zwecken gewidmete Vermögen. Während aber bei den Römern die j. P. nur Rechtssubjekt, nicht aber Willenssubjekt, also handlungsunfähig war, gewährte das gemeine Recht mehr und mehr den juristischen Personen auch die Handlungsfähigkeit und das Bürgerliche Gesetzbuch kennt überhaupt nur noch handlungsfähige juristische Personen. Wir können daher die j. P. des heute geltenden bürgerlichen Rechtes definieren als Organisationen, die als Rechts- und Willenssubjekte anerkannt sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat die Rechtsverhältnisse der juristischen Personen in § 21 bis 103 geordnet und kennt zwei Arten: 1) die privatrechtlichen juristischen Personen, die in a) die Vereine (s. d.), b) die Stiftungen (s. d.) zerfallen, 2) die juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Unter den letztgenannten versteht das Bürgerliche Gesetzbuch Organisationen, deren Verfassung im öffentlichen Interesse durch Rechtsvorschrift geregelt ist, während die Verfassung der privatrechtlichen juristischen Person auf privater Satzung oder privatem Stiftungsgeschäft beruhen. Zu den öffentlichen juristischen Personen gehören vor allem der Staat, die Gemeinden, Kreise, Provinzen, Schul-, Armen- und Wegeverbände, Universitäten, Schulen, Innungen, Krankenkassen, Unfallversicherungs-Berufsgenossenschaften, die großen christlichen Religionsgesellschaften, die Reichsbank etc. sowie eine Reihe von Anstalten und Verbänden, deren Regelung im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch den Landesgesetzen vorbehalten wurde. Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person kann sich selbstredend nur auf dem Gebiete des Vermögensrechts, nicht auf dem eine wirkliche Person voraussetzenden Familienrecht geltend machen. Sie kann Eigentum, Besitz haben, die Trägerin von Forderungen und Schulden sein, sie ist also vermögensfähig. Was das Erbrecht anlangt, so kann eine j. P. zwar als Erbin eingesetzt und bedacht werden, nicht aber selbst einen letzten Willen errichten. Ebenso bestimmt sich bei ihrer Auflösung das Schicksal ihres Vermögens nicht nach den Grundsätzen des Erbrechts, sondern nach Stiftungsurkunden oder sonstigen besondern Vorschriften. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat nur zwei besondere Sätze, die für alle juristischen Personen gelten. 1) Nach § 21 sind sie für den Schaden verantwortlich, den ihr Vorstand, ein Mitglied des Vorstandes oder ein andrer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadenersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt (§ 86 u. 891). 2) Bei Überschuldung ist die Eröffnung des Konkurses, soweit nicht öffentliches Recht den Konkurs der juristischen Person im einzelnen Fall überhaupt ausschließt, von dem Vorstand zu beantragen; verzögern Vorstandsmitglieder schuldhaft diesen Antrag, so haben sie den dadurch entstandenen Schaden den Gläubigern als Gesamtschuldner zu ersetzen (§ 41 ', 86,89/). Voraussetzung der juristischen Person sind entweder eine Mehrzahl von Menschen (z. B. bei Vereinen) oder eine Vermögensmasse (z. B. die Stiftungen) oder aber die Verbindung beider (z. B. der Staat, die Gemeinde). Das bürgerliche Sonderrecht der rechtsfähigen Verbände und Einrichtungen des öffentlichen Rechts, insbes. der des Staates, der Provinzen, Gemeinden, der öffentlichen selbständigen Stiftungen und Anstalten etc. ist durch die einschlägigen Landesgesetze, Verordnungen und Satzungen geregelt. In dieser Beziehung bestimmt Artikel 86 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, daß unberührt bleiben sollen die landesgesetzlichen Vorschriften, die den Erwerb von Rechten durch juristische Personen beschränken oder von staatlicher Genehmigung abhängig machen, soweit diese Vorschriften Gegenstände im Werte von mehr als 5000 Mk. betreffen. Demnach bedürfen z. B. in Preußen juristische Personen zur Annahme von Schenkungen oder Zuwendungen im Werte von mehr als 5000 Mk. der Genehmigung des Königs oder der von ihm bestellten Behörde. Der gleichen Genehmigung bedürfen ferner juristische Personen des Auslandes zum Erwerb eines jeden Grundstücks, juristische Personen außerpreußischer deutscher Staaten zum Erwerb eines Grundstücks von mehr als 5000 Mk. Wert und alle juristischen Personen zur Annahme einer Schenkung oder letztwilligen Zuwendung gleichen Betrags. Die juristischen Personen Preußens bedürfen zum sonstigen Erwerb eines Grundstücks von mehr als 5000 Mk. Wert nur der Genehmigung ihrer staatlichen Aufsichtsbehörde, und auch dieser nicht, wenn sie ihre Rechtsfähigkeit durch ein andres Reichsgesetz als das Bürgerliche Gesetzbuch erhalten haben oder nach dem öffentlichen Recht Grundeigentum selbständig erwerben dürfen (Preußisches Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Artikel 6 u. 7). In Bayern bedürfen mit Ausnahme der Englischen Fräulein, deutsche geistliche Gesellschaften nur dann der Genehmigung des Königs zur Annahme einer Schenkung oder letztwilligen Zuwendung, wenn dieselbe mehr als 10,000 Mk. beträgt, das gleiche gilt für den Erwerb von Liegenschaften im gleichen Wertbetrag, wobei jedoch Hypotheken und Grundrentenschulden unberücksichtigt bleiben. Ausländische juristische Personen dagegen, die religiöse oder wohltätige Zwecke oder Zwecke des Unterrichts oder der Erziehung verfolgen, bedürfen für jeden Liegenschaftserwerb wie zur Annahme von Schenkungen oder letztwilligen Zuwendungen über 5000 Mk. einer königlichen Genehmigung (Bayrisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Artikel 7–10). Ähnliche Beschränkungen bestehen in einer Reihe andrer Bundesstaaten für juristische Personen und insonderheit für religiöse und wohltätige Stiftungen oder Anstalten. Vgl. außer den Lehrbüchern und Kommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch sowie zu den Ausführungsgesetzen der einzelnen Bundesstaaten zum Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. 2: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffes (Berl. 1873); Riedel, Die Gestaltung der juristischen Personen des Bürgerlichen Gesetzbuches (das. 1897); Krüger, Die Haftung der juristischen Personen aus unerlaubten Handlungen nach gemeinem Recht und Bürgerlichem Gesetzbuch (das. 1901); Meurer, Die juristischen Personen nach deutschem Reichsrecht (Stuttgart 1901); Hafter, Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbände (Berl. 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.