Jansenismus

Jansenismus

Jansenismus nennt man die theologische Denkweise, die in dem 1640 veröffentlichten Buche »Augustinus« von Cornelis Jansen (s. d.) vertreten und von dessen Anhängern, den Jansenisten. gegen die Angriffe der Jesuiten verteidigt worden ist. Auf Betrieb der letztern wurde jenes Buch 1642 vom Papst Urban VIII. durch die Bulle In eminenti verdammt, da es Glaubenssätze lehre, die schon zu den 1567 verurteilten Irrtümern des Bajus (s. d.) gehört hätten. Diese Bulle erfuhr aber von seiten der Bischöfe und Universitäten, namentlich der Universität Löwen, erheblichen Widerspruch. Noch anhaltender war der Widerstand in Frankreich; das Kloster Port-Royal-des-Champs unter der jansenistisch gesinnten Äbtissin Angelique Arnauld (geb. 1591, gest. 1661) ward der Hauptsitz des J., den nun berühmte Gelehrte wissenschaftlich ausbildeten. Zu diesen gehörte der Abt von St.-Cyran, Jean du Verger de Hauranne, der in Löwen während seiner Studienzeit in enger Verbindung mit Jansen gestanden hatte; seit 1635 Beichtvater in Port-Royal, wurde er 1638 von Richelieu eingesperrt und starb 1643 einige Monate nach seiner Freilassung. Sein Schüler war Antoine Arnauld (s. d. 2), dessen Buch »De la fréquente communion«, gegen die laxe Theorie der Jesuiten von der Buße gerichtet, Gegenstand neuer Händel wurde. Als Papst Innozenz X. fünf Sätze aus Jansens Buch im Mai 1653 als calvinistische Ketzerei verdammte, machte Arnauld geltend, daß diese Sätze in dem Sinn, in dem sie der Papst verdammt habe, vom Verfasser nicht geschrieben worden seien. Papst Alexander VII. aber erklärte 1656, daß jene Sätze allerdings in dem von Jansen beabsichtigten Sinne verdammt worden seien. Die Genossen von Port-Royal u. a. wendeten ein, daß dies eine reine historische Frage über eine Tatsache (question du fait) sei, worüber die Kirche nicht mit höherer Autorität entscheiden könne als die Wissenschaft; der Kirche stehe nur die Entscheidung der Rechtsfrage (question du droit) zu. Während so der Streit die Machtvollkommenheit des Papstes selbst berührte, kämpften die Schriftsteller von Port-Royal für die Augustinische Lehre mit gleichem Ernst wie zuvor und erhoben insbes. gegen die jesuitische Moral schwere Anklagen, allen voran Blaise Pascal (s. d.), dessen »Provinzialbriefe« (1656 und 1657) die laxe Moral und Kasuistik der Jesuiten mit ebensoviel Witz wie sittlichem Pathos geißelten. Im Interesse des Kirchen friedens kam 1668 unter des Papstes Clemens IX. Mitwirkung ein Vergleich zustande, wonach der Streit über die question du droit auf sich beruhen solle. Auf Veranlassung Ludwigs XIV. erließ jedoch Clemens XI. die Bulle Vineam domini, die sich wieder ganz auf den Standpunkt Alexanders VII. stellte; da die Nonnen von Port-Royal dieser Bulle ihre Zustimmung versagten, wurde das Kloster auf päpstliche Verordnung hin 1709 aufgehoben und 1710 völlig zerstört. Als neues Streitobjekt kam das Neue Testament des Oratorianers Paschasius Quesnel (s. d.) hinzu, das, 1687 erschienen, mit moralischen Betrachtungen ausgestattet, den J. im Volk verbreiten sollte. Die Jesuiten setzten nicht allein das Verbot des Buches und die Ausstoßung Quesnels aus dem Oratorium durch, sondern erwirkten auch 1713 vom Papst Clemens XI. die Konstitution Unigenitus, worin 101 Sätze des Quesnelschen Neuen Testaments, darunter Aussprüche der Bibel und der Kirchenväter, weil sie jansenistisch gedeutet werden konnten, verdammt wurden. Ein ansehnlicher Teil des Klerus, an seiner Spitze der Erzbischof von Paris, Kardinal Noailles (s. d. 3), verweigerte die Annahme der Konstitution, bis der Papst die nötigen Erläuterungen gegeben haben würde. Der Appellation dieser Antikonstitutionisten an ein allgemeines Konzil (daher Appellanten) setzte der Papst 1718 im Breve Pastoralis officii die Exkommunikation aller derer entgegen, die sich der Bulle nicht unterwerfen würden. Das Parlament wies dieses Breve zunächst zurück; aber der Herzog von Orléans als Regent, von seinem nach dem Kardinalshut strebenden Minister Dubois bestimmt, befahl 1720 die Annahme der Bulle, und das Parlament fügte sich unter Vorbehalt der Rechte der Krone und der Freiheiten der gallikanischen Kirche. In derselben Weise unterzeichnete auch Noailles die Bulle. Die seinem Beispiel Folgenden nannte man Akzeptanten; die Nicht akzeptierenden traf harte Strafe. 1728 unterwarf sich auch Noailles, dem Befehle Benedikts XIII. folgend, bedingungslos, und die Bulle Unigenitus ward 1730 als Reichsgesetz registriert. Schon vor seiner nunmehr erfolgenden gänzlichen Unterdrückung war der J. vielfach in Mystizismus umgeschlagen (s. Konvulsionäre). In gesunder Gestalt dagegen hat er sich fortgepflanzt in den Niederlanden, wohin sich 1679 Arnauld und Nicole geflüchtet hatten, als sogen. Kirche von Utrecht (s. Utrechter Kirche). Vgl. Leydecker, Historia Jansenismi (Utrecht 1695); Reuchlin, Geschichte von Port-Royal (Hamb. u. Gotha 1839–44, 2 Bde.); Schill, Die Konstitution Unigenitus (Freiburg 1876); Sainte-Beuve, Port-Royal (6. Aufl., Par. 1901, 6 Bde.); Fuzet, Les Jansénistes du XVII. siècle (das. 1877); Finot, Port-Royal et Magny; fondation de l'abbaye, etc. (das. 1888); Séché, Les derniers Jansénistes, 1718–1870 (das. 1891, 3 Bde.); Thuillier, Rome et la France. La seconde phase du jansénisme (das. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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