Hofnarren

Hofnarren

Hofnarren, die schon in den alten Zeiten beliebten Lustigmacher, deren historische Rolle erst durch die modern französische Hofsitte aufgehoben wurde. Sie trugen ehemals die Kosten der Unterhaltung in müßigen Stunden, mochten sie nun mit angebornem Mutterwitz den Hofstaat zum Stichblatt ihrer Witze machen, oder wegen Dummheit, Mißgestalt oder Pedanterie als Zielscheibe des Spottes andrer dienen. Schon bei den Festen und Schmausereien der Alten waren Lustigmacher unentbehrlich, wie wir aus Xenophons »Gastmahl« sehen, und an lustigen Parasiten (Schmarotzern), witzigen Spottvögeln (scurrae) und zwerghaften, buckligen oder sonst mißgestalteten Dummköpfen (moriones) scheint niemals Mangel gewesen zu sein. Die eigentlichen H. jedoch, wie sie seit dem 15. Jahrh. zu einem vollständigen Hofstaat gehörten, traten erst nach den Kreuzzügen auf. Während aber z. B. die französischen H., wie Bruisquet und Angeli, seine Hofleute waren und sich durch bedeutendes Unterhaltungstalent auszeichneten, treten uns in den deutschen H. ganz andre Naturen entgegen. Die großen Herren in Deutschland hatten in ihrer Nähe am liebsten lustige Leute, um sich nach ernsten Geschäften an den komischen Einfällen und Späßen derselben zu ergötzen; doch sehen wir hier und da mit dem Scherz auch den Ernst gepaart, und der »lustige Rat«, der die Freiheit hatte, jedermann zu duzen und seinen Gevatter zu nennen, wurde zu einem oft sehr einflußreichen Hofbeamten. So hielt Kaiser Maximilian I. seinen treuen H. Kunz von der Rosen sehr hoch. Otto der Fröhliche, Herzog von Steiermark, trieb manche Kurzweil mit seinem Lustigmacher Wiegand von Theben, dem sogen. Pfaffen vom Kahlenberg, dessen nicht selten an Eulenspiegel erinnernden Schwänke auch gedruckt sind. Die Kurfürsten von Sachsen hatten ihren groben Klaus von Ranstädt, den sogen. Klaus Narren, und den witzigen F. Taubmann, deren Einfälle und Possen ebenfalls im Druck erschienen. Vielgenannt ist auch der Hofnarr des Kurfürsten Karl Philipp von der Pfalz, der Zwerg Perkeo, dessen hölzernes Standbild noch jetzt im Keller des Heidelberger Schlosses steht. Wie das Benehmen der H. von dem andrer Leute verschieden war, so wurde es nach und nach auch ihre Tracht. Die Narrenkappe oder Gugel (s. d.), die den beschornen Schädel bedeckte, war eine Kapuze, wie sie jetzt noch die Bergleute zu tragen pflegen. Da aber auch Gelehrte, Mönche und gemeine Leute die Gugel trugen, fügte man ihr schon im 15. Jahrh. Eselsohren an oder verzierte sie mit dem Hahnenkamm, einem ausgezackten Streifen roten Tuches, der von der Stirn bis in den Nacken lief. Zur Tracht der H. gehörte ferner der breite Halskragen, der dem deutschen Hanswurst verblieb, und die Schellen, die im Mittelalter von Reichen und Vornehmen, seit dem 15. Jahrh. aber nur von privilegierten Narren und zwar an Kappe, Eselsohren, an Brust, Gürtel, Ellbogen, Knieen und Schuhen getragen wurden. Soll nach dem Sprichworte der Narr einem König gleich sein, so darf ihm das Zepter nicht fehlen, und er führte es in der Gestalt des Narrenkolbens, der anfangs nichts weiter als der in Sümpfen wachsende Rohrkolben (Typha L., daher auch Narrenzepter genannt) gewesen zu sein scheint. Später erhielt er eine Art Keule, oft mit einem die Zunge hervorstreckenden Narrenkopf verziert, die er als Angriffs- und Verteidigungswaffe am Riemen trug. Schon gegen Ende des 15. Jahrh. artete das Wesen der H. besonders in Deutschland stark aus; da nämlich zuletzt fast jeder Edelmann seinen H. hielt und viele Gauner sich vom ersten besten Adligen das Narrenpatent ausstellen ließen, um unter dieser Firma Schelmen- und Schurkenstreiche ausüben zu können, so ward das Land mit solchem fahrenden Volk überfüllt. Auf den Reichstagen 1495–1575 wurden gegen diesen Unfug und namentlich gegen die Titularnarren strenge Beschlüsse gefaßt. Eine große Rolle haben die H. am Hofe König Philipps IV. von Spanien gespielt, so daß selbst Velazquez einige von ihnen porträtiert hat (Bildnisse im Pradomuseum zu Madrid). Die französische Etikette verdrängte zu Anfang des 18. Jahrh. endlich die H. von den europäischen Höfen. Der närrische Pedant J. P. Gundling (s. d.) am Hofe Friedrich Wilhelms I., der nur durch die unzähligen Possen, die man mit ihm trieb, berühmt geworden ist, war kein eigentlicher Hofnarr. Nur am russischen Hof begann um dieselbe Zeit noch eine Nachblüte der H., aber in neuer, durchaus origineller Art. Peter d. Gr. und die Kaiserin Anna benutzten das Institut der H. zur Zügelung und Züchtigung ihrer Umgebung, indem sie diejenigen, die irgend eine Torheit begangen hatten, dafür zu H. ernannten. Auf diese Weise wurden z. B. der Fürst Galizyn, der im Auslande die Religion gewechselt hatte, und der lustige Fürst Wolchonski zu H. ernannt, letzterer mit dem Titel eines Aufsehers über die Windhunde der Kaiserin. Bei Karnevals- und ähnlichen öffentlichen Aufzügen finden wir die Narren im alten Kostüm noch jetzt; es finden sich darunter stehende Figuren, wie der Prinz Karneval, das Geckenberntchen, der Bellgeck etc.; unsterblich geworden sind sie aber durch Shakespeare. Vgl. Flögel, Geschichte der H. (Leipz. 1789); Nick, Die Hof- und Volksnarren (Stuttg. 1861, 2 Tle.); Ebeling, Zur Geschichte der H. Friedrich Taubmann (3. Aufl., Leipz. 1884) und Die Kahlenberger (Berl. 1890).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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