- Hochwasser
Hochwasser, das zeitweilige Anschwellen der Flüsse infolge eines außergewöhnlichen Zuflusses von Regen- oder Schneewasser. Solche Anschwellungen gleichen langgestreckten Wellen, die auf dem Spiegel des Mittelwassers hinabgleiten. Ist die Anschwellung so stark, daß der Flußschlauch sie nicht mehr zu fassen vermag, so entstehen Ausuferungen, Überschwemmungen. Hochwässer pflegen die Flußsohle anzugreifen und dadurch die Ufer zu gefährden nebst allem, was mit den Ufern zusammenhängt. Ein großer Übelstand ist es, wenn die Wirksamkeit städtischer Abzugskanäle vom H. des Flusses beeinflußt wird, in den sie münden. Gewaltige Angriffe übt das H. auf den Grundbau von Brückenpfeilern. Die Hochwässer der Nebenflüsse machen sich im Hauptfluß bemerkbar. Allein selbst ein bedeutendes H. eines Nebenflusses wird im Hauptfluß keinen hohen Wasserstand herbeiführen, wenn die von einem andern Nebenfluß gebildete Flutwelle schon im Abnehmen begriffen ist. Die Anschwellung des Hauptflusses wird aber die größtmögliche Höhe erreichen, wenn die durch die größten Hochwässer der Nebenflüsse gebildeten Flutwellen im Hauptfluß zusammentreffen. Diese Erscheinung wird um so seltener eintreten, je größer die Anzahl der Nebenflüsse ist, denn die meteorologischen Vorgänge betreffen nicht das ganze Stromgebiet gleichzeitig, und die Gestaltung des Gewässernetzes läßt nicht zu, daß die größten Nebenflußwellen sich im Hauptfluß vereinigen. Die Gefahr einer wenigstens teilweisen Vereinigung ist bei den flachern und massigern Flutwellen des Frühjahrs gewöhnlich größer als bei den spitzern Sommerflutwellen. Der im Hochgebirge entspringende Rhein besitzt selbstverständlich eine andre Natur als die im Mittelgebirge entspringenden Ströme Weser, Elbe, Oder, Weichsel. Aber auch diese ähneln einander weniger, als man vermuten würde. Das liegt an der verschiedenen geographischen Lage und Bodengestalt, obwohl die vier Stromgebiete unmittelbar aufeinanderfolgen. Die Bodengestalt wirkt durch ihr mittleres Gefälle und durch klimatische Erscheinungen auf die Abflußverhältnisse ein. Von wesentlichem Einfluß aber ist die Gliederung des Gewässernetzes, d. h. die Art und Reihenfolge, in der die Nebenflüsse ihren Anteil des Tagewassers liefern. Beim Verlauf der Hochwässer tritt ein wesentlicher Unterschied zwischen Gebirgs- und Flachlandflüssen zutage. Flachlandflüsse haben ihre größten Hochfluten im Frühjahr, während der Schneeschmelze. Sommerhochfluten kommen vornehmlich in Gebirgsflüssen vor. Obschon die Niederschläge im Winter am geringsten sind, hängt doch von ihnen die Wasserführung der Flüsse großenteils ab, da sie am vollständigsten abfließen, während im Sommer zwar die meisten Niederschläge fallen, aber großenteils versickern und verdunsten. Nur wenn vorübergehend im Sommer bei langandauernden Regengüssen der Boden auf eine gewisse Tiefe mit Wasser gesättigt und undurchlässig geworden, die Luftwärme vermindert ist und auch die Verdunstung stockt, erreicht der Abfluß der Niederschläge, auch im Flachland, eine ähnliche Größe wie zur Zeit der Schneeschmelze. Hauptsächlich aber finden sich solche außergewöhnliche Niederschläge von größerer Ausdehnung im Gebirge. Das starke Gefälle begünstigt hier überdies den raschen Zusammenfluß der Wassermassen in die Gebirgsflüsse. Zur Zeit der Schneeschmelze verhalten sich Gebirgs- und Flachlandflüsse umgekehrt. In den Gebirgen nimmt mit zunehmender Höhenlage die Luftwärme ab. Nachtfröste unterbrechen das Tauwetter. Dies und etwa noch die schützende Einwirkung des Waldes verzögert das schnelle Abschmelzen. Der Schnee ist aus Tälern und Vorbergen gewöhnlich bereits verschwunden, wenn das Schmelzwasser aus den höhern Lagen herabkommt. Im Flachland greift, wegen der geringen Höhenunterschiede, das Tauwetter rasch um sich, Versickerung und Verdunstung sind minder wirksam als im Sommer, und das Schmelzwasser fließt daher vollständiger ab als das Regenwasser. Am bedeutendsten werden die Schneewasserfluten, wenn nach anhaltendem Frost das Tauwetter plötzlich eintritt und sich rasch über das ganze Stromgebiet verbreitet.
Die Frage, welche Maßnahmen getroffen werden können, um den Hochwassergefahren und Überschwemmungsschäden soweit als möglich vorzubeugen, sollte für jedes Stromgebiet besonders beantwortet werden unter eingehender Berücksichtigung seiner Wasserverhältnisse, die vorher durch hydrographische und wasserwirtschaftliche Untersuchungen klarzustellen sind. Die technischen Maßregeln können verschieden sein, je nachdem sie sich auf die Quellgebiete der Gebirgsflüsse oder auf die Flüsse des Hügel- und Flachlandes beziehen.
Für die Quellgebiete der Gebirgsflüsse handelt es sich hauptsächlich darum, die Ansammlung und den Abfluß des auf der Erdoberfläche sich fortbewegenden Teils der Niederschläge möglichst zu verzögern, die Verwitterung und Lockerung des Gebirges sowie die Fortschwemmung der Verwitterungserzeugnisse nach Kräften zu. verhindern (s. Wildbachverbauung). Ursachen von Überschwemmungen, die durch menschliches Zutun vermindert werden können, liegen in der fehlerhaften Bewirtschaftung der Flußgebiete, namentlich ihrer obern Teile, oder sie liegen in fehlerhaften Bauten in und an dem Flusse, in niedrigen Flußufern, zu großer Flußbreite, zu starken Krümmungen, ungünstigen Einmündungen. Flußstreckungen, namentlich Eindeichungen im obern Lauf, welche die Anschwellungen rascher in den Unterlauf befördern, als dieser sie zu bewältigen vermag, haben schon große Wassernot verursacht. Durch Waldausrodungen, Auslassung von Seen und Teichen sind häufig wirksame Ausgleicher der Wasserstände von Flüssen beseitigt worden. Waldbestand und Pflanzendecke hemmen den Abfluß der Niederschläge, obschon bei zu langer Dauer des Regens eine Sättigung eintritt und weiteres Zurückhalten aufhört. Bis dahin aber kann eine große Wassermenge aufgespeichert werden, die ohne Pflanzenwuchs rasch abgeflossen wäre und Schaden getan hätte. Wo die Berglehnen nackt sind, kann nach jedem Gewitter ein H. eintreten. In Waldgegenden geschieht das seltener. Dichter Wald mit Unterwuchs und Streudecke ist die wirksamste Form der Bodenbedeckung. Aufforstungen sollen daher erfolgen, wo immer sie möglich sind. Alle Maßnahmen müssen dahin zielen, die Schwankungen in der Wasserführung der Flüsse auszugleichen, die sekundlichen Niederwassermengen zu vermehren, die Hochwassermengen zu vermindern.
An eigentlichen baulichen Maßregeln können im Oberlauf in Betracht kommen: wagerechte Gräben, worin die Niederschläge sich sammeln und teilweise versitzen; Durchsenkungen oberer durchlässiger Schichten, um einen größern Teil des Wassers zum Versitzen zu bringen. Beiderlei Vorkehrungen können indessen Lehnenbrüche hervorrufen. Aufspeicherungswerke und Seitenteiche lassen sich nur bei besonders günstigen Geländeverhältnissen und mäßigen Wassermengen als Mittel zur Verzögerung des Hochwasserabflusses in Aussicht nehmen; sie werden möglicherweise sehr kostspielig, selbst gefährlich. Die sekundliche Hochwassermenge der Isar z. B. wird auf 1500 cbm geschätzt. Ein großes H. dauert, wenn auch mit wechselnden Wassermengen, 8–10 Tage. Die größte Flut währt etwa 4 Tage, und es fließen in dieser Zeit 518 Mill. cbm an München vorüber. Eine Fläche von der Größe des Bodensees (484 qkm) müßte, um diese Wassermenge zu fassen, mehr als 1 m hoch überstaut werden., Als Hauptmittel zum Schutze des Tieflandes vor Überschwemmungen dienen die Deiche (s. d.). Eine Ableitung des Hochwassers durch Seitenkanäle, die es behufs Bewässerung und Aufschlickung (Kolmation s. d.) nach geeigneten Flächen leiten, ist für die Bodenverbesserung von großer Bedeutung, doch werden die örtlichen Verhältnisse nur selten gestatten, hierdurch die Hochwassermengen größerer Flüsse merklich zu vermindern. Entlastungs- oder Umflutkanäle sind bei größern Flüssen meist durch Anlage hochwasserfreier Leitdämme gebildet. Die Grundfläche zwischen diesen Dämmen wird als Wiese oder Weide benutzt. Der Kanal ist oben durch ein bewegliches Wehr geschlossen und tritt bei Sommerhochfluten tunlichst nicht in Tätigkeit, damit nicht die Nutzung der Kanalfläche gestört werde. Seitenkanäle sind zur Entlastung enger Flußstrecken hauptsächlich in der Nähe größerer Städte, wo eine Erweiterung des Profils nicht tunlich ist, öfter ausgeführt worden (Magdeburg, Straßburg). Bei Flüssen mit schweren Eisgängen sind jedoch Spaltungen gefährlich und ist ein einheitlicher Hochwasserschlauch mit hohen, starken Deichen vorzuziehen. Um zu verhüten, daß die Fluten zwischen den Deichen zu hoch steigen, sind vielfach Überläufe eingerichtet, über die das Wasser bei hohen Winterfluten in die Marsch einströmt, ohne am Deiche Schaden anzustellen. Selbstverständlich muß das Wasser nach Ablauf der Anschwellung wieder in den Fluß abgelassen werden können. Vgl. Keller, Die Hochwassererscheinungen in den deutschen Strömen (Jena 1904); »Handbuch der Ingenieurwissenschaften«, 3. Bd.,. 2. Abt., 1. Hälfte (3. Aufl., Leipz. 1900, mit Literaturnachweisen).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.