Harnsteine

Harnsteine

Harnsteine (Calculi urinosi, Urolithi), steinähnliche Körper, verschieden nach Gestalt, Größe und Farbe wie nach ihrer chemischen Konstitution, die in den Harnwegen, namentlich im Nierenbecken und in der Harnblase, entstehen. Im Nierenbecken entstandene H. können durch die Harnleiter in die Blase herabwandern und hier gefunden werden (Blasensteine). Die H. bestehen aus einer eiweißartigen organischen Grundsubstanz und aus Harnsalzen, die sich schichtenartig um den Kern herum ablagern. Der Kern besteht aus einem Klümpchen Schleim, Blut, Eiter, Parasiteneiern, aus einem Stückchen Metall, Bleikugeln, Knochensplittern u. dgl. H. kommen bald vereinzelt, bald zahlreich bei einem Menschen vor. Ihre Größe kann vom eben Sichtbaren bis Faustgröße variieren. Die kleinsten Steine sind meist in sehr großer Anzahl vorhanden und werden als Harngrieß (s. Harnsedimente) bezeichnet. Ihrer chemischen Natur nach sind vorzugsweise zu unterscheiden: 1) Steine aus Harnsäure und harnsauren Salzen (Uratsteine), sind gewöhnlich eiförmig oder rundlich, hart, gelbrot, mit glatter Oberfläche, bis gänseeigroß, auf dem Durchschnitt meist geschichtet. Reine Harnsäuresteine sind sehr hart. 2) Steine aus reinem harnsaurem Ammoniak sind den vorigen ähnlich, nur reich an organischer Grundsubstanz; sie sind selten. 3) Steine aus phosphorsauren Salzen (Phosphatsteine), namentlich Ammoniakmagnesia und Kalk, können sich nur in alkalischem Harn bilden, da saurer Harn sie auflöst. Sie sind meist rundlich, kreideähnlich und zeigen einen blätterigen Bruch. 4) Steine aus phosphorsaurem Kalk allein sind selten, den vorigen ähnlich. 5) Steine, die gleichzeitig aus Harnsäure oder harnsauren Salzen und aus phosphorsauren Salzen bestehen, bald in abwechselnden Schichten, bald so, daß die eine Substanz den Kern, die andre die Schale bildet, sind häufig, kommen auch mit kohlensaurem Kalk als Kern oder Schale vor. 6) Steine aus oxalsaurem Kalk (Oxalatsteine) kommen häufig, zumal bei jugendlichen Individuen vor. Sie sind außerordentlich hart und schwer. Die größern haben eine warzige, selbst stachelige Oberfläche (daher Maulbeersteine genannt) und geschichtete Schnittfläche, sind dunkelbraun gefärbt; die kleinern sind glatt und heller gefärbt (daher Hanfsamensteine). 7) Steine aus Cystin und Xanthin sind sehr selten, klein, rundlich. hellbraun, glatt und vollkommen verbrennlich.

Nierensteine schwanken außerordentlich in ihrer Größe; die größten bilden manchmal einen förmlichen Ausguß des Nierenbeckens und können mechanisch den Abfluß des Harns aus den Nieren verhindern, unter Umständen vollkommene Harnverhaltung, allmählich Schwund der Nierensubstanz und den Tod durch Urämie bedingen. Nicht selten geht die durch Steine bedingte, sehr schmerzhafte Entzündung des Nierenbeckens auf die Nieren selbst über und führt zur Nierenvereiterung mit tödlichem Ausgang, wenn dem nicht durch Operation vorgebeugt wird. Zuweilen wird der eine oder andre Harnleiter durch einen Harnstein verstopft. Dies führt zur Sackwassersucht der Nieren, indem sich zuerst das Nierenbecken, mit der Zeit aber die ganze Niere zu einem großen, wasserhaltigen Sack umbildet. Kleinere Steine können vom Nierenbecken durch die Harnleiter in die Blase transportiert werden. Dieser Transport ist in der Regel mit außerordentlich heftigen Schmerzen verbunden, die von dem Krampf der Harnleiter abhängen (Stein- oder Nierenkolik). Die Behandlung besteht in Anwendung schmerzstillender Mittel, namentlich Einspritzungen von Morphiumlösung, warmer Vollbäder, warmer Breiumschläge auf die Nierengegend u. dgl. Daneben ist einfache, reizlose Diät und reichlicher Wassergenuß zu empfehlen. Für Behandlung der Nierensteinkrankheit werden gerühmt Alkalien und alkalische Mineralwässer (Ems, Wildungen, Vichy etc.), besonders wenn es gilt, bei bestehender Disposition die Bildung von Steinen in der Niere und Blase zu verhüten oder aufzuhalten. Lassen die Beschwerden nicht nach, und hat man mittels der Cystoskopie, bez. Katheterisierung der Harnleiter (s. Beleuchtungsapparate) erkannt, daß es sich nur um eine Niere handelt, so versucht man die Steine aus der Niere herauszunehmen, indem man die Laparatomie ausführt, die Niere bloßlegt und die H. ausschneidet (Nephrotomie), oder man nimmt die ganze Niere fort, wenn sie entartet ist und wenn die andre normal funktioniert. Streng aseptisch ausgeführt, ist auch diese Operation (Nephrektomie) ungefährlich.

Blasensteine schwanken von Erbsengröße bis zu der eines Hühnereies, ja bis zu Faustgröße und darüber. Sie liegen frei beweglich in der Blase, oder sie bilden sich in Ausstülpungen der Blase. Gewöhnlich ist nur ein Stein in der Harnblase vorhanden; öfters aber hat man mehrere, in seltenen Fällen hunderte gefunden Die Blasenschleimhaut ist gewöhnlich entzündet, um so mehr, je größer der Stein und je rauher seine Oberfläche ist. Die Blasenentzündung ruft Abgang eines trüben, schleim- und eiterhaltigen, oft auch bluthaltigen Harns hervor und verbreitet sich bei längerer Dauer auf die Harnleiter, das Nierenbecken und die Nieren. Steinkranke gehen, wenn der Stein nicht rechtzeitig entfernt wird, in der Regel an den Folgen der Blasenentzündung und der Nierenvereiterung zugrunde. Die häufigste Erscheinung bei der Steinkrankheit sind Schmerzen, die durch starke Bewegungen, z. B. beim Reiten, Gehen, gesteigert werden. Sie treten auf am Blasenhals, in der Harnröhre, bei kleinern Steinen auch in der Spitze des Gliedes, strahlen oft in die Schenkel und Hoden aus und verursachen krampfhafte Zusammenziehungen der Blase und des Mastdarms. Die Harnentleerung ist fast immer gestört, namentlich wenn sich frei bewegliche Steine vor die Mündung der Harnröhre legen und sie verstopfen, so daß der Urinabgang plötzlich unterbrochen wird und nur durch Veränderung der Lage wiederhergestellt werden kann. Das sicherste Zeichen zur Feststellung der Anwesenheit eines Steines in der Blase ist die Untersuchung der Blase mittels einer metallenen Sonde (Steinsonde). Diese gibt einen hellen Klang bei Berührung des Steines. Der nachgewiesene Stein muß durch Eröffnung der Blase von außen her (Steinschnitt, Lithotomie) oder durch mechanische Zertrümmerung des Steines innerhalb der Blase und Ausspülen, resp. Ausziehen der Fragmente durch die Harnröhre (Steinzertrümmerung, Lithotripsie) entfernt werden. Auflösung oder Verkleinerung ausgebildeter Steine durch Anwendung von Arzneimitteln innerlich oder äußerlich (Einspritzungen chemischer Stoffe in die Blase) ist bisher nicht erreicht worden. Vgl. Ebstein, Die Natur und Behandlung der H. (Wiesb. 1884) und die Literatur beim Artikel »Harnblase« (S. 821).

H. bei Haustieren kommen sowohl in der Harnblase als in der Harnröhre und bei männlichen wie weiblichen Tieren ziemlich häufig vor. Meist bilden sie Harngrieß, oft aber finden sie sich vereinzelt und in beträchtlicher Größe (in der Harnblase bei Pferden 400–500 g schwer). Die in der Harnröhre sitzenden Steine sind meist in der Blase entstanden, fortgeschwemmt und in der Harnröhre stecken geblieben, was am häufigsten ist beim Ochsen (doppelte Krümmung der engen Harnröhre), dann beim Hund, selten beim männlichen Pferd (überall weite Harnröhre) und am seltensten bei weiblichen Tieren (weil die Harnröhre kurz und weit ist). Die H. müssen durch Operation beseitigt werden, die mit meist glücklichem Erfolg ausgeführt werden kann.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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