- Häring [3]
Häring, 1) Georg Wilhelm Heinrich, unter dem Pseudonym Willibald Alexis bekannter Romandichter, geb. 29. Juni 1798 in Breslau, gest. 16. Dez. 1871 in Arnstadt, entstammte einer französischen Refugiésfamilie aus der Bretagne, die ihren französischen Familiennamen Hareng ins Deutsche übersetzt hatte, besuchte das Werdersche Gymnasium in Berlin, machte als Freiwilliger den Feldzug von 1815 mit, widmete sich hierauf in Berlin und Breslau juristischen Studien und wurde Auskultator und Kammergerichtsreferendar in Berlin. Bald entsagte er jedoch der juristischen Laufbahn und widmete sich ausschließlich der schriftstellerischen Tätigkeit, wobei er mitten im Gewirr publizistischer Vielgeschäftigkeit große poetische Pläne festhielt und künstlerisch gestaltete. 1856 hatte H. das Unglück, bald nach seiner Übersiedelung nach Arnstadt in Thüringen, wo er sich ein anmutiges Heim gegründet, von einem Gehirnschlag getroffen zu werden, von dem er sich nie wieder vollständig erholte. Seine eigentliche literarische Tätigkeit begann H. mit einem idyllischen Epos in Hexametern: »Die Treibjagd« (Berl. 1820), dem zwei Novellen: »Die Schlacht bei Torgau und der Schatz der Tempelherren« (das. 1822), folgten. Aus einer Wette im Freundeskreis ging ein dreibändiger Roman: »Walladmor« (Berl. 1823–24, 3 Bde.), hervor, eine kecke Mystifikation, indem der Verfasser das Werk für eine Schöpfung Walter Scotts ausgab und damit überall Glauben fand. Der Roman wurde ins Englische und mehrere andre Sprachen übersetzt. Unter derselben Maske erschien auch der Roman »Schloß Avalon« (Leipz. 1827, 3 Bde.), dem die »Geächteten« (Berl. 1825) vorausgegangen waren. Bald aber trat H. mit selbständigern Produkten auf, in denen sich Anklänge an Scott und Tieck mit seinen eignen, von der jungdeutschen Bewegung beeinflußten Reflexionen mischten, ohne daß der Objektivität der Darstellung dadurch Eintrag geschah. Unter seinen »Gesammelten Novellen« (Berl. 1830–31, 4 Bde.) und »Neuen Novellen« (das. 1836, 2 Bde.) sind einzelne, wie »Venus in Rom« und »Acerbi«, vortrefflich in Ausführung und Darstellung. Sein eigenstes Gebiet, das der historischen Romandichtung mit dem Hintergrund märkisch-preußischer Geschichte, betrat H. zuerst in seinem umfangreichsten Werke: »Cabanis« (Berl. 1832, 6 Bde.; 7. Aufl. 1893), einem charakteristischen Bild aus der Zeit Friedrichs d. Gr. Aber bereits mit dem Roman »Das Haus Düsterweg« (Leipz. 1835) schien H. wieder in andre Bahnen einzulenken. Als Reiseschriftsteller trat er in seiner »Herbstreise durch Skandinavien« (Berl. 1828, 2 Bde.), den »Wanderungen im Süden« (das. 1828) und den »Wiener Bildern« (Leipz. 1833) auf, welch letztere in Preußen verboten, während umgekehrt seine »Schattenrisse aus Süddeutschland« (Berl. 1834) von den Liberalen angefeindet wurden. Seine »Zwölf Nächte« (Berl. 1838, 3 Bde.) leiden an einer gewissen Nüchternheit und Breite des Räsonnements, die der sonst trefflichen Darstellung Eintrag tun. Sein »Urban Grandier« (Berl. 1843, 2 Bde.) war als Nachtgemälde des Fanatismus von Interesse. Zwischen der Folge seiner historischen Romane erschienen noch: »Der Zauberer Virgilius« (Berl. 1851), »Märchen aus der Gegenwart« (das. 1852) und das Bruchstück eines unvollendet gebliebenen Zeitromans, das Idyll »Ja, in Neapel« (das. 1860). Für die Bühne schrieb H. in früherer Zeit die Lustspiele: »Der Prinz von Pisa« und »Die Sonette« (1828), das Drama »Ännchen von Tharau« (1829) und den Fastnachtsschwank »Der verschwundene Schneidergesell« (1841). Auch gab er »Balladen« (Berl. 1836) und mit E. Ferrand und A. Müller »Babiolen« (Leipz. 1837, 2 Bde.) heraus. Die längere Zeit geführte Redaktion des »Berliner Konversationsblattes«, womit 1830 »Der Freimütige« verbunden wurde, gab er 1835 auf. Das von ihm mit Hitzig begonnene Werk »Der neue Pitaval« (Leipz. 1842–63, Bd. 1–33) behauptet unter allen für ein größeres Publikum bestimmten Sammlungen von Kriminalgeschichten den Vorrang. Seine eigentliche Bedeutung in der neuern deutschen Literatur errang aber Willibald Alexis lediglich mit den vortrefflichen historischen Romanen, zu denen »Cabanis« der Vorläufer gewesen war. Nacheinander erschienen: »Der Roland von Berlin« (Leipz. 1840, 3 Bde.; 6. Aufl. 1902), der die letzten Kämpfe des altmärkischen Bürgertums gegen den neuaufstrebenden Hohenzollernstamm im 15. Jahrh. zum historischen Hintergrund hat; »Der falsche Woldemar« (Berl. 1842, 3 Bde.; 5. Aufl. 1893), der die denkwürdigste Episode der mittelalterlichen Geschichte der Mark Brandenburg behandelt; der Doppelroman »Die Hosen des Herrn von Bredow« (das. 1846–48, 5 Bde.; 14. Aufl. 1900), in zwei Abteilungen: »Hans Jürgen und Hans Jochem« und »Der Werwolf« (in 3 Büchern, 7. Aufl. 1899), welche die Zeit des Kurfürsten Joachim I. und der Reformation zum Hintergrund haben; »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« (das. 1852, 5 Bde.; 5. Aufl. 1898), die traurigste Zeit Preußens vor der Katastrophe von Jena darstellend; »Isegrimm« (das. 1854, 3 Bde.; 5. Aufl. 1899), aus den Tagen der Erhebung und des Aufschwunges nach 1806, und endlich »Dorothe« (das. 1856, 3 Bde.; 4. Aufl. 1896), welcher Roman wiederum in die letzte Zeit des Großen Kurfürsten zurückgreift. Alle diese Romane, obschon nicht völlig von prosaischen Elementen frei, erheben sich doch in der Hauptsache durch die Fülle charakteristischer Gestalten sowie durch die Wiedergabe der Zeitstimmung und die Schilderung märkischer Landschaften, aus denen die Eigentümlichkeiten der Menschen erwachsen, zu wahrhaft poetischer Bedeutung. Härings »Gesammelte Werke« erschienen in 20 Bänden (Berl. 1374), die »Vaterländischen Romane« besonders in 8 Bänden (zuletzt das. 1884); seine »Erinnerungen« gab M. Ewert heraus (das. 1899). Vgl. Julian Schmidt, Neue Bilder aus dem geistigen Leben unsrer Zeit (Leipz. 1873); G. Freytag in den »Gesammelten Werken«, Bd. 16 u. 23; Ad. Stern, Zur Literatur der Gegenwart (das. 1879).
2) Theodor, protest. Theolog, geb. 22. April 1846 in Stuttgart, war 1873–76 Repetent am evangelisch-theologischen Stift in Tübingen, 1876–81 Diakonus in Kalw, 1881–86 in Stuttgart und wurde 1886 als ordentlicher Professor der systematischen Theologie nach Zürich berufen, von dort 1889 in gleicher Eigenschaft nach Göttingen. Seit 1895 ist er Professor und zweiter Frühprediger in Tübingen. Er schrieb: »Über das Bleibende im Glauben an Christus« (Stuttg. 1880); »Die Theologie und der Vorwurf der doppelten Wahrheit« (Zürich 1886); »Zu Ritschls Versöhnungslehre« (das. 1888); »Zur Versöhnungslehre« (Götting. 1893); »Unsre persönliche Stellung zum geistlichen Beruf« (das. 1893, 3. Aufl. 1899); »Die Lebensfrage der systematischen Theologie« (Tübing. 1895); »Das christliche Leben auf Grund des christlichen Glaubens. Christliche Sittenlehre« (Stuttg. 1902).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.