Grey [2]

Grey [2]

Grey (spr. grē), anglonormann. Adelsfamilie, die im 11. Jahrh. in Oxfordshire und seit dem 13. auch in Northumberland ansässig war. Aus ihr sind seit dem 18. Jahrh. mehrere namhafte Staatsmänner hervorgegangen, die fast sämtlich der liberalen Partei angehörten. Zu erwähnen sind:

1) Sir Charles, erster Graf G., geb. 1729, gest. 14. Nov. 1807, trat früh in Militärdienste, zeichnete sich als Adjutant des Prinzen Ferdinand von Braunschweig im Siebenjährigen Kriege aus, diente dann in Amerika und ward 1782 Generalleutnant. 1794 eroberte er mit dem Admiral Jervis einen großen Teil der französischen Besitzungen in den Antillen, konnte sich dann aber gegen die republikanischen Streitkräfte nicht behaupten. Er wurde zurückberufen, vor ein Kriegsgericht gestellt, aber freigesprochen. 1801 wurde er zum Lord G. von Howick, 1806 zum Grafen G. erhoben.

2) Charles, Graf, ältester Sohn des vorigen, geb. 13. März 1764, gest. 17. Juli 1845, studierte in Cambridge, bereiste sodann Frankreich, Italien und Deutschland und ward 1786 ins Parlament gewählt. Er war anfangs mit dem Prinzen von Wales (später Georg IV.) näher befreundet, bald aber entstand zwischen beiden eine Spannung, weil G. es ablehnte, zu gunsten des Prinzen eine Handlung von zweifelhafter Ehrenhaftigkeit zu begehen. Seitdem war sein Verhältnis zu dem Prinzen ein kaltes; trotzdem aber verteidigte er dessen Rechte, als 1788 bei der Krankheit des Königs eine Regentschaft ernannt werden sollte. 1792 begann G. den Kampf für eine Parlamentsreform, indem er eine Petition der von ihm mitgestifteten Gesellschaft der Volksfreunde überreichte, die um die Beseitigung der Mißbräuche im englischen Wahlsystem sowie um Wiederherstellung dreijähriger Parlamente bat; sein Antrag auf Niedersetzung eines Untersuchungsausschusses darüber wurde 1793 verworfen. Nachdem 1806 Greys Vater in den Grafenstand erhoben war, führte G. den Titel Lord Howick, ward nach Pitts Tod erster Lord der Admiralität und nach Fox' wenige Monate später erfolgtem Hinscheiden Staatssekretär des Auswärtigen. Nach Entlassung dieses Whigministeriums saß G., der im November 1807 durch den Tod seines Vaters ins Oberhaus berufen war, 23 Jahre lang in der Opposition und wirkte namentlich mit zur Unterdrückung des Sklavenhandels. Zweimal, 1809 und 1812, wurde mit ihm wegen der Übernahme eines Ministerpostens unterhandelt; doch scheiterten die Verhandlungen: 1809, weil er nicht hoffen konnte, die Genehmigung des Königs zur Katholikenemanzipation zu erlangen, 1812, weil seine Forderung, die ersten Hofämter neu zu besetzen, um den Einfluß der Kamarilla zu brechen, abgeschlagen wurde. Während des Prozesses gegen die Königin Karoline, Gemahlin Georgs IV., verteidigte G. die unglückliche Fürstin. Nachdem sich das Ministerium Wellington 1830 aufgelöst hatte, trat G. an die Spitze eines neuen, das sich zu »Parlamentsreform, Verminderung der Staatslasten und Nichteinmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten« verpflichtete. Die von ihm eingebrachte Reformbill wurde 1832 vom Unterhaus angenommen, von den Lords aber abgelehnt. Darauf nahm G. 9. Mai seine Entlassung, trat aber nach wenigen Tagen wieder ins Ministerium, nachdem Wellington seinen Widerstand gegen die Bill aufgegeben hatte, worauf dieselbe im Juni 1832 zum Gesetz erhoben wurde. Weniger entsprach G. seinem Programm hinsichtlich der Verminderung der Staatsausgaben, und durch sein Armengesetz und seine Maßregeln gegen Irland zog er sich sogar so heftigen Tadel zu, daß er 9. Juli 1834 seine Entlassung nahm. Zu den hervorragendsten Maßregeln seiner Verwaltung gehören noch die Aufhebung des Monopols der Ostindischen Gesellschaft und die Aufhebung der Sklaverei in den britischen Kolonien. Noch etwa zwei Jahre lang nach seinem Rücktritt besuchte Lord G. gelegentlich das Oberhaus; gegen Ende 1836 zog er sich ganz von der Politik zurück. Greys Briefwechsel mit Wilhelm IV. wurde in London 1867 veröffentlicht. Vgl. Charles Grey (s. unten 5), Life and opinions of the second Earl G. (Lond. 1861).

3) Sir George, Baronet, Neffe von G. 2), geb. 11. Mai 1799 in Gibraltar, wo sein Vater Marinekommissar war, gest. 9. Sept. 1882, studierte in Oxford und wurde 1826 Rechtsanwalt. 1832 ins Parlament gewählt, erhielt er im Juli 1834 das Amt eines Unterstaatssekretärsfür die Kolonien, das er im April 1835 zum zweitenmal übernahm. Im Februar 1839 ward er Judge Advocate-General (Generalauditeur) und im Juni 1841 Kanzler des Herzogtums Lancaster und Kabinettsmitglied, legte aber dies Amt schon im August beim Rücktritt der Whigs nieder. Unter Russell war er vom Juli 1846 bis zum Februar 1852 Staatssekretär des Innern, in welcher Stellung er namentlich 1848 alle Parteien zufriedenstellte. Im Juni 1854 trat er als Kolonialminister in das Ministerium Aberdeen ein. Im ersten Kabinett Palmerstons (1855–58) wurde G. wieder Minister des Innern; im zweiten Ministerium desselben übernahm er 1859 wegen Kränklichkeit die Sinekure eines Kanzlers des Herzogtums Lancaster, vertauschte diese aber 1862 wieder mit dem Portefeuille des Innern. In gleicher Eigenschaft befand er sich auch in dem Kabinett Lord Russells bis zu dessen Rücktritt 1866. Später trat er nicht wieder in die Regierung ein, blieb aber ein einflußreiches und geschätztes Mitglied der liberalen Partei des Unterhauses, bis er sich bei den Neuwahlen 1874 ganz vom politischen Leben zurückzog. Vgl. Creighton, Memoir of Sir George G. (Lond. 1884, Neudruck 1901).

4) Henry, Graf, engl. Staatsmann, Sohn von G. 2), geb. 28. Dez. 1802 zu Howick House in Northumberland, gest. das. 9. Okt. 1894, studierte in Cambridge und trat 1826 als Lord Howick ins Unterhaus. Im Ministerium seines Vaters war er 1830 bis 1833 Unterstaatssekretär der Kolonien und darauf bis zur Entlassung des Ministeriums Melbourne 1834 Unterstaatssekretär des Innern. Beim Wiedereintritt der Whigs 1835 übernahm er das Kriegsministerium, trat aber 1839 wegen Zerwürfnisse mit seinen Kollegen zurück. 1845 folgte er seinem Vater in der Peerswürde und wurde im Juli 1846 Minister der Kolonien unter Russell. Seine Politik gegenüber der Kapkolonie und die unglückliche Führung des Kaffernkriegs trugen nebst den Fehlern Palmerstons in der auswärtigen Politik wesentlich zu dem Sturz des Ministeriums Russell im Februar 1852 bei. Noch in demselben Jahr veröffentlichte er eine Rechtfertigung seiner Verwaltung u. d. T.: »Colonial policy of Lord J. Russell's administration«. Das ihm 1855 von Lord Palmerston angebotene Portefeuille des Krieges schlug er aus, weil er den Krieg gegen Rußland nicht für gerecht hielt. Er blieb seitdem ein einflußreiches Mitglied des Oberhauses, seinen Grundsätzen nach ein alter Whig, aber ein Gegner vieler Maßregeln der folgenden liberalen Ministerien; er bekämpfte namentlich die Einführung der geheimen schriftlichen Abstimmung bei den Parlamentswahlen und sagte sich wegen der irischen Politik der Regierung 19. Jan. 1882 öffentlich von der liberalen Partei los. Seine politischen Prinzipien ergeben sich aus seiner Schrift »Essay on parliamentary government« (Lond. 1858, 2 Bde.; 2. Aufl. 1867; deutsch vom Grafen Leo Thun, Prag 1863).

5) Charles, Graf, Bruder des vorigen, geb. 15. März 1804, gest. 31. März 1870, trat in die Armee, wurde 1865 General und war von 1849–61 Privatsekretär des Prinzen Albert und dann bis zu seinem Tode Privatsekretär der Königin Viktoria. Er schrieb außer der erwähnten Biographie seines Vaters (s. oben 2). »Early years of His Royal Highness the Prince Consort« (Lond. 1867), welches unter Mitwirkung der Königin verfaßte Werk ins Deutsche (Gotha 1868), Französische und Italienische übersetzt wurde.

6) Sir George, brit. Staatsmann, geb. 14. April 1812, gest. 19. Sept. 1898 in London, besuchte das College in Sandhurst und trat 1830 als Fähnrich in die Armee. In den Jahren 1837–89 unternahm er wissenschaftliche Expeditionen nach dem westlichen und nordwestlichen Australien, deren Resultate er u. d. T.: »Journal of two expeditions of discovery in North-West and Western-Australia« (1841, 2 Bde.) veröffentlichte. Bald darauf arbeitete er eine Denkschrift über die Politik aus, nach der die britischen Besitzungen in der Südsee und in Südafrika zu verwalten seien, und die Befolgung seiner Vorschläge hat den gegenwärtigen blühenden Zustand jener Kolonien wesentlich begründen helfen. Als die Kolonie Adelaide in Südaustralien 1840 ihren Bankrott erklärte, ward G. 1841 als Statthalter dahin gesandt und ordnete binnen fünf Jahren die zerrütteten Verhältnisse. Mit gleichem Geschick legte er 1846–47 die in Neuseeland zwischen den Eingebornen, der Neuseelandkompanie und der Regierung ausgebrochenen Zerwürfnisse bei. 1854 zum Gouverneur der Kapkolonie ernannt, erwarb er sich durch Versöhnung det Buren und der Kaffern sowie durch die Organisation von Britisch-Kaffraria namhafte Verdienste. Im Sommer 1859 wurde G. von dem Ministerium Derby abberufen, erhielt aber schon im Oktober d. J. von Palmerston die Stelle als Gouverneur des Kaplandes und von Südafrika zurück. Der Bibliothek der Kapstadt schenkte er seine reiche Büchersammlung, deren Katalog Bleek herausgab (»Library of Sir Georgs G.«, Kapstadt 1858, 2 Bde.). Beim Ausbruch des Aufstandes der Maori in Neuseeland (1861) wurde G. wieder dorthin gesandt, und es gelang ihm, da Rebellen bis 1865 zu unterwerfen. 1867 legte G. sein Amt nieder, blieb aber in Neuseeland und wat mehrmals Premierminister der Kolonie. Seit 1894 lebte er in London. Von seinen Schriften ist noch die »Polynesian mythology« (1855) zu erwähnen. Vgl. Rees, Life and times of Sir George G. (3. Aufl., Lond. 1898); M. Roberts, The life of Sir George G. (das. 1899, 2 Bde.).

7) Sir Edward, Baronet, Enkel von G. 3), geb. 1862, studierte in Oxford, war Privatsekretär Sir E. Barings und 1884–85 Sekretär des Schatzkanzlers Childers, wurde 1885 ins Unterhaus gewählt und war vom August 1892 bis zum Juni 1895 in den Ministerien Gladstone und Rosebery Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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