Gottsched

Gottsched

Gottsched, 1) Johann Christoph, Schriftsteller, geb. 2. Febr. 1700 zu Judithenkirch (Juditten) bei Königsberg i. Pr. als Sohn eines Predigers, gest. 12. Dez. 1766 in Leipzig, bezog frühzeitig die Universität Königsberg, um Theologie zu studieren, widmete sich jedoch bald ausschließlich dem Studium der Philosophie und der schönen Wissenschaften. 1724 flüchtete er aus Furcht vor den preußischen Werbern, die ihn wegen seiner stattlichen Größe ins Auge gefaßt hatten, nach Leipzig, wo der berühmte Polyhistor J. B. Mencke ihn zum Privatlehrer seines ältesten Sohnes erwählte. Noch in demselben Jahre habilitierte sich G. mit einer im Geiste der Wolffschen Philosophie abgefaßten Abhandlung und eröffnete Vorlesungen über die schönen Wissenschaften. Mencke führte ihn tu die Görlitzer poetische Gesellschaft ein, aus der G., zum Senior erwählt, eine »Deutsche Gesellschaft« (1727) und eine bedeutende Pflegestätte der Poesie und Beredsamkeit machte; sie besteht noch jetzt. 1730 wurde er zum außerordentlichen Professor der Poesie und 1734 zum ordentlichen Professor der Logik und Metaphysik ernannt. G. begann seine umfassende literarische Wirksamkeit bereits ein Jahr nach seiner Ankunft in Leipzig mit den Zeitschriften »Die vernünftigen Tadlerinnen« (Halle u. Leipz. 1725–26, 2 Bde.) und »Der Biedermann« (das. 1727), deren Hauptinhalt belehrende und erbauliche Aufsätze nach Art der englischen moralischen Wochenschriften ausmachten. Hierauf folgte eine Reihe andrer Zeitschriften mit vorwiegend ästhetisch-literarhistorischem Inhalt: »Beiträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit« (Leipz. 1732); »Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freien Künste« (das. 1745–54); »Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit« (das. 1751–62). Durch diese Zeitschriften erwarb er sich ein unleugbares Verdienst um die Sprache, insofern er sie durch möglichste Verbannung der Fremdwörter, Deutlichkeit des Ausdrucks und künstlerische Durchbildung des Stiles zu vervollkommnen suchte. Neben seinen Zeitschriften sind seine Lehrbücher zu erwähnen: »Ausführliche Redekunst« (Hannov. 1728, 6. Aufl. 1759), »Grundlegung einer deutschen Sprachkunst« (Leipz. 1748) und vor allem der »Versuch einer kritischen Dichtkunst für die Deutschen« (das. 1730 u. ö.). Hier gibt er ein vollständiges System der Dichtgattungen, doch geht er nicht darauf aus, ihr inneres Wesen zu ergründen, sondern nur darauf, die Dichter zu äußerlicher Befolgung der überlieferten Regeln anzuhalten. Durch diese Tendenz seiner kritischen Dichtkunst geriet er mit den Schweizern Bodmer und Breitinger, welche die Theorie der Poesie tiefer auffaßten, in einen Gegensatz, aus dem sich seit 1740 eine heftige Polemik entwickelte. G. zog in dieser Polemik den kürzern, zumal nachdem die Schweizer 1748 in Klopstock einen Dichter gefunden hatten, der ihre Ideale zu verwirklichen schien, und G. sich dadurch lächerlich machte, daß er gegenüber der Messiade den »Hermann« von Schönaich (s. d.) als die höchste epische Leistung der Deutschen anpries. Unter den dichterischen Gattungen wendete er dem Drama die meiste Sorge und Aufmerksamkeit zu. Hier waren es vor allem die Haupt- und Staatsaktionen und die Opern, denen er den Krieg erklärte, in dem er auch Sieger blieb. Er hatte sich vorgesetzt, ein deutsches Theater nach dem Muster des französischen zu gründen, und diesen Zweck suchte er mit seiner Gattin durch zweckmäßige Übersetzungen wie durch originale Produktionen zu erreichen. Sein aus Addison und Deschamps zusammengestoppeltes Trauerspiel »Der sterbende Cato« (Leipz. 1732) war freilich eine sehr schwache Leistung, wurde aber gleichwohl von seinen Anhängern bewundert. 1727 war der Theaterprinzipal Neuber mit seiner Truppe nach Leipzig gekommen; seine Frau, die eigentliche Seele der Unternehmung, ging auf Gottscheds Pläne ein und bewirkte wertvolle Reformen des Theaters, insbesondere des Spielplans. Später gab G. in seiner »Deutschen Schaubühne, nach den Regeln der alten Griechen und Römer eingerichtet« (Leipz. 1740–1745, 6 Bde.) eine Sammlung von Dramen heraus, die als Musterschöpfungen gelten sollten und aus Originaldichtungen von G. selbst, von seiner Gattin, von J. E. Schlegel, Quistorp, Uhlich sowie aus Übersetzungen von Racine, Corneille, Voltaire, Destouches, Molière, Holberg etc. bestanden. Der poetische Gehalt der Sammlung ist, was die deutschen Dramen betrifft, außerordentlich mager, aber sie verdient doch vom geschichtlichen Standpunkt aus Beachtung und Anerkennung. G. hatte infolge seiner Einmengung in die Angelegenheiten des praktischen Bühnenwesens manche Unannehmlichkeiten zu erdulden; 1741 zerfiel er mit der Neuberin, die ihn in einem Vorspiel verspottete, ein Ereignis, das von Joh. Christ. Rost (s. d.) in einem komischen Epos besungen wurde; 1753 wurde er durch sein Auftreten gegen Weises Operette »Der Teufel ist los« in eine ähnliche Streitigkeit verwickelt. Von da an beschäftigte er sich nur noch als Literarhistoriker mit der Bühne; eine Frucht dieser Studien ist sein »Nötiger Vorrat zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst« (Leipz. 1757–65), worin ein Verzeichnis aller dramatischen Produkte aus den Jahren 1450–1760 gegeben werden sollte. Das Werk ist nicht vollständig, aber noch heute ein wichtiges Hilfsmittel für das Studium der Geschichte des deutschen Schauspiels. Außerdem schrieb G. noch eine Menge Abhandlungen literarhistorischen und kritischen Inhalts sowie größere und kleinere philosophische Werke im Sinne der Wolffschen Schule. Auch übersetzte er mehrere wichtige Erzeugnisse der französischen Aufklärungsliteratur, z. B. Fontenelles Schrift über die heidnischen Orakel (Leipz. 1830); von Bayles »Dictionnaire« erschien unter seiner Leitung eine deutsche Übersetzung (das. 1741–44). In den Jahren von 1729–40 übte G. eine Art von literarischer Alleinherrschaft in Deutschland aus; dann sank sein Ansehen immer mehr, und seine vielseitigen Verdienste, seine nationale Begeisterung für die Hebung des deutschen Schrifttums wurden auch von Männern wie Lessing stark unterschätzt. Vgl. Danzel, G. und seine Zeit (Leipz. 1848); Breitmaier, Die poetische Theorie Gottscheds und der Schweizer (Tübingen 1879); Reicke, Zu Gottscheds Lehrjahren (Königsb. 1892); Krause, G. und Flottwell, die Begründer der deutschen Gesellschaft in Königsberg (Leipz. 1894); E. Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben (Kiel 1895–97, 2 Bde.); am besten: Waniek, G. und die deutsche Literatur seiner Zeit (Leipz. 1897). Mit Nachdruck wirkte neuerdings E. Reichel für die Anerkennung Gottscheds in den Werken: »Ein Gottsched-Denkmal« (Berl. 1900), »Gottsched. Biographische Skizze« (das. 1900), »G., der Deutsche« (das. 1901) und »Kleines Gottsched-Wörterbuch« (das. 1902) sowie durch Begründung einer »Gottsched-Gesellschaft« in Berlin.

2) Luise Adelgunde Viktorie, geb. Kulmus, Gattin des vorigen, geb. 11. April 1713 in Danzig, gest. 26. Juni 1762 in Leipzig, lernte ihren spätern Gatten 1729 kennen, als dieser seine preußische Heimat bereiste, stand in den nächsten Jahren mit ihm in Briefwechsel und vermählte sich mit ihm 1735. Sie machte sich nicht nur mit mehreren neuern Sprachen vertraut, sondern erwarb sich auch wissenschaftliche Kenntnisse und bildete ihren Geschmack namentlich durch die Lektüre der englischen Dichter. In fruchtbarer und rastloser literarischer Tätigkeit ausgehend wie ihr Gatte, war sie vielfach über dessen Schwächen erhaben. In ihren »Briefen« (Dresd. 1771–72, 3 Bde.) zeigte sie seinen Sinn und Geschmack. Als dramatische Dichterin oder Bearbeiterin ausländischer Stücke wandte sie sich besonders eifrig dem Lustspiel zu. Sie übertrug in der »Deutschen Schaubühne« (vgl. oben, unter G. 1) mehrere französische Lustspiele nach Destouches und Moliere in Prosa, verlegte aber den Schauplatz nach Deutschland. In der »Pietisterei im Fischbeinrock« (Rostock 1736) bearbeitete sie, ohne ihren Namen zu nennen, ein gegen die Jansenisten gerichtetes französisches Lustspiel, in dem sie die Spitze gegen die deutschen Pietisten kehrte. Ihre Originallustspiele (gleichfalls in der »Deutschen Schaubühne«) sind unbedeutend. In der »Hausfranzösin« eifert sie gegen die französischen Gouvernanten. Am lustigsten ist der »Witzling«, der gegen die jüngere Poetengeneration gerichtet ist, die sich von der Diktatur ihres Mannes befreien wollte. Ihre »Gedichte« gab ihr Gatte mit ihrer Lebensbeschreibung (Leipz. 1763) heraus. Von ihren Übersetzungen heben wir hervor die des »Spectator« (Leipz. 1739–43, 9 Bde.) sowie die von Popes »The rape of the lock« (das. 1744, neue Aufl. 1772). Vgl. Schlenther, Frau G. und die bürgerliche Komödie (Berl. 1885).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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