- Getreide
Getreide (Zerealien, Halm-, Mehl-, Körnerfrüchte), Kulturpflanzen, besonders Gräser, die ihrer mehlreichen Früchte halber gebaut werden. Die Früchte der Getreidearten enthalten außer Stärkemehl (und geringen Mengen andrer Kohlehydrate) verschiedene eiweißartige Stoffe, von denen die in Wasser unlöslichen den Kleber bilden, der bei den verschiedenen Getreidearten abweichende Eigenschaften besitzt, ferner sehr wenig Fett und Mineralstoffe, unter denen Phosphate der alkalischen Erden und Alkalien vorherrschen, es findet sich mehr Kali als Natron und mehr Magnesia als Kalk. Das Getreidekorn ist eine einsamige Schließfrucht, deren hautartige Frucht- und Samenschale einen großen Endospermkörper umschließen, dem der Keimling einseitig angelagert ist. Fig. 1 (S. 758) zeigt in schematisierter Darstellung ein Weizenkorn im Längsschnitt. Einen Querschnitt durch Frucht- und Samenschale f und durch die äußern Schichten des Endosperms ed gibt die Fig. 2 in stärkerer Vergrößerung. Die Zellen der Frucht- und Samenschale sind beim Heranreifen des Korns ihres Inhalts beraubt und z. T. fast bis zur Unkenntlichkeit zusammengedrückt. Man unterscheidet verschiedene Schichten: 1) Die Oberhaut (Epidermis ep), die aus langgestreckten tafelförmigen Zellen mit getüpfelten Seitenwänden besteht. An der Spitze des Korns sind die Oberflächenzellen kaum länger als breit und zu langen, einzelligen, dickwandigen Haaren h ausgewachsen. 2) Die Mittelschicht m, die aus einer oder zwei Lagen von ebenfalls tafelförmigen, in der Längsrichtung des Korns gestreckten Zellen besteht.
3) Die Querzellenschicht qu, deren starkgetüpfelte Zellen ihre größte Ausdehnung senkrecht zur Längsrichtung des Korns besitzen. 4) Unter dieser Schicht bilden vereinzelte Gruppen locker verbundener Schlauchzellen s die innersten Elemente der Fruchtschale. 5) Die sich anschließende, der Samenschale angehörende braune Schicht b besteht aus zwei Lagen von gestreckten, gänzlich zusammengedrückten, in ihrer Längsrichtung unter spitzem Winkel gekreuzter Zellen. 6) Die unter ihr folgende hyaline Schicht h ist durch die Dicke ihrer ungefärbten Zellwände auffällig, während die völlig zusammengepreßten Zellhohlräume nur schwer sichtbar zu machen sind. 7) Unter der Samenschale liegt als äußerste Schicht des Endospermkörpers eine einfache Lage von Kleberzellen k, die in der Flächenansicht polygonal, im Querschnitt fast quadratisch erscheinen und ganz mit feinkörnigem, eiweißreichem Inhalt erfüllt sind.
Im übrigen besteht der ganze Endospermkörper aus großen dünnwandigen Parenchymzellen ed, deren Inhalt der Hauptsache nach von Stärkemehl gebildet wird. Von den chemischen Bestandteilen des Korns enthält der Embryo (Fig. 1 k) das fette Ol, von dem sich etwas aber auch in der äußern Haut vorfindet. Die großen Zellen des Mehlkerns sind mit Stärkekörnern angefüllt. Zellstoff bildet die Wand der Zellen. Die Oberhaut besteht aus Korkstoff. Von den stickstoffhaltigen Körpern (Proteinkörpern) findet sich ein in Wasser löslicher Eiweißkörper neben dem Stärkemehl in den großen Zellen des Mehlkerns; die Hauptmasse der stickstoffhaltigen Körper aber ist in der Kleberschicht und im Keim, also vornehmlich in denjenigen Teilen des Getreides enthalten, die beim Mahlen die Kleie bilden.
Welche Veränderungen im Korn von der Ausbildung bis zur vollendeten Reise vorgehen, zeigen folgende Analysen von Roggen in verschiedenen Reifungsperioden. Es enthalten 100 Teile Körner:
Die Pflanze nimmt bis zur vollen Reise Stoffe aus dem Boden auf. Bei zu früher Ernte bleibt die Ausbildung der Körner hinter den normalen Entwickelungszuständen zurück. Das Nachreifen scheint nur die Keimkraft der Körner zu erhöhen. Die Beschaffenheit der stickstoffhaltigen Körper im G. ist sehr vom Klima abhängig. Der Weizen der wärmern Gegenden enthält mehr Kleber als der in kältern Ländern gewonnene. Aus dem Süden stammender Weizen ist reicher an Fett, aromatischen Stoffen und Asche als der aus nördlichen Ländern. Das Mehl des Sommergetreides ist reicher an Kleber als das des Wintergetreides, und Weizen aus mittelmäßig trocknen Jahren enthält weniger Kleber als solcher aus sehr trocknen Jahren. Stickstoffreicher Dünger vermehrt die Menge der eiweißartigen Stoffe im G. bedeutend. Bei ungünstiger Witterung erreichen die Getreidekörner nicht normale Größe; sie liefern dann weniger und schlechteres Mehl, aber mehr Kleie. Das gleiche Maß Weizen, das in guten Jahren 260 kg wiegt, 200 kg Mehl und 40–50 kg Kleie gibt, wiegt leicht in schlechten Jahren nur 160 kg, gibt 60–80 kg Mehl und 80–100 kg Kleie. Ferner erhält man 1 kg Brot aus 0,6 kg gutem, aber erst aus 0,75–0,87 kg schlechtem Mehl. Die schlechten Körner haben geringeres spezifisches Gewicht als die guten, mehlreichen; wenn man aber G. wägt, so treten diese Differenzen weniger hervor als beim Messen, weil dann in derselben Gewichtsmenge mehr Körner enthalten sind. Durch Feuchtigkeit wird das Volumen des Getreides stärker verändert als das Gewicht. Befeuchtet man guten, lufttrocknen Weizen von 12,2 Proz., Roggen von 9,4 Proz., Gerste von 9,1 Proz. und Hafer von 9,9 Proz. Wassergehalt mit 5 Proz. ihres Gewichts Wasser, so beträgt nach 24 Stunden, wenn das Wasser vollständig aufgesogen ist, die Raumvergrößerung beim Weizen 15, beim Roggen 13 und bei Gerste und Hafer 10 Proz., während doch die Gewichtszunahme nur 5 Proz. ausmachte. Ein neuer Zusatz von 5 Proz. Wasser bewirkt nach 24 Stunden beim Weizen eine Raumvergrößerung von 25 Proz., beim Roggen ebenfalls 25 Proz., beim Hafer 22 Proz. und bei der Gerste 18 Proz. Nach abermaligem Zusatz von 5 Proz. Wasser ist das Volumen des Weizens im ganzen um 35,5, des Roggens um 33 Proz., der Gerste um 32, des Hafers um 35 Proz. gestiegen, während die Gewichtszunahme doch nur 15 Proz. betrug. Trocknet man feuchtes G., so wird es zwar runzelig, behält aber immer noch ein größeres Volumen als nicht feucht gewesenes. Dauert die Einwirkung der Nässe auf G. fort, so keimt es und beginnt auszuwachsen oder geht in Gärung über. Hierbei verwandelt sich die Stärke zum Teil in Dextrin und Zucker, letzterer wird zersetzt, und auch der Kleber erleidet eine Umwandlung. Hat sich das G. durch wenig Nässe erhitzt, so rötet es sich, schimmelt dann leicht und wird moderig.
Bei der Beurteilung des Getreides kommt sein Volumgewicht bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Trockenheit zunächst in Betracht. Man muß daher von verschiedenen Sorten gleiche Raummaße bei derselben Temperatur und in derselben Zeit trocknen und wägen (vgl. Kornwage). Betrügerische Kornhändler netzen das G. am Abend vor dem Markttag, um das Volumen zu vermehren. Ergreift man eine Handvoll G. im Sack, drückt fest zusammen und öffnet dann schnell die Hand, so bleiben die Körner, wenn sie genetzt worden waren, zusammengeballt, selbst wenn keine Feuchtigkeit durch das Gefühl wahrnehmbar ist. Im Verdachtsfall schließt man eine Probe des Getreides luftdicht ein und-läßt den normal 13–15 Proz. betragenden Wassergehalt an einer Samenprüfungsanstalt feststellen. G. darf anderseits nicht zu stark ausgetrocknet sein, da sonst die Kleie sich nicht hiureichend ausmahlt und das Mehl gelblich wird. Das G. soll vollkommen reif, aber nicht zu alt sein, denn bei dauernder Lagerung verliert der Kleber an Elastizität, das Fett wird ranzig, die Farbe dunkler. Um den Körnern Glanz und Frische zu erteilen und das Volumgewicht zu erhöhen, wird das G. geölt. Bei 1000 kg Weizen erzielt man mit 0,5–1 kg Rüböl wegen der größern Glätte der Körner eine Zunahme des Volumgewichts bis 4 Proz. Das Öl beeinträchtigt aber das vollständige Ausmahlen und die Haltbarkeit des Mehls. Zur Erkennung des Ölens drückt man die Körner zwischen Papier, wobei es gelbe Ölflecke erzeugt. Schüttet man auf ganz reines Wasser eine geringe Menge Kampferpulver (das so wenig wie das Innere des Gefäßes mit dem Finger berührt werden darf), so geraten die Partikelchen in Rotation, die sofort aufhört, wenn geöltes G. in das Wasser geschüttet wird. Zur Beurteilung der Beschaffenheit des Mehlkörpers benutzt man Kornprüfer (Farinatome von Grobecker, Printz u. a.), mit denen man 50–100 Körner auf einmal durchschneidet, um dann den Durchschnitt mit der Lupe zu untersuchen. Die Glasigkeit ermittelt man durch Untersuchung der Körner im durchfallenden Licht mittels eines Diaphanoskops. Bei Braugerste kommt auch noch die Keimfähigkeit in Betracht.
Über Produktion des Getreides s. Getreidehandel. Über die Verarbeitung des Getreides s. Brot, Kleie, Mehl etc. G. dient auch zur Fabrikation von Stärke, Kleber, Teigwaren (Nudeln etc.), Bier, Spiritus, Preßhefe, das Stroh benutzt man in der Landwirtschaft, als Packmaterial, zu Seilen, Flechtarbeiten, zum Dachdecken, zur Papierfabrikation, als Brennmaterial etc. Vgl. Bibra, Die Getreidearten und das Brot (Nürnb. 1860); Jessen, Deutschlands Gräser und Getreidearten (Leipz. 1863); Körnicke und Werner, Handbuch des Getreidebaues (Bonn 1885, 2 Bde.); Giesenhagen, Unsre wichtigsten Kulturpflanzen (Leipz. 1899); Maurizio, Getreide, Mehl und Brot. Ihre botanischen, chemischen und physikalischen Eigenschaften etc. (Berl. 1902).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.