- Aderlaß
Aderlaß (Phlebotomie, Venaesectio), die kunstgemäße Eröffnung einer Vene, meist der Vena mediana in der Armbeuge, um schnell dem Körper eine größere Quantität Blut zu entziehen. Man läßt den Patienten sich legen oder setzen, umschnürt den entblößten Oberarm mit einer Binde, bis die Venen stark anschwellen, und öffnet dann die Vene durch einen kleinen Schnitt mit der Lanzette. Um das Ausfließen des Blutes zu befördern, läßt man den Kranken einen Stock abwechselnd fest erfassen, drehen, die Finger schließen und offnen, damit durch die sich zusammenziehenden Muskeln das Blut mehr in die oberflächlichen Hautvenen getrieben werde. Sind 100–150 ccm Blut abgelassen, so löst man die Binde, verschiebt die Haut etwas, reinigt den Arm und befestigt eine aseptische Kompresse mit einigen Bindentouren. Der Arm muß dann etwa 24 Stunden ruhig gehalten werden, und der Verband wird erst nach drei Tagen entfernt. Der A. stand schon bei den alten indischen Ärzten in ausgedehntem Gebrauch, und Hippokrates, Celsus, Galen übten ihn, in Bibel und Talmud ist er erwähnt, bis vor 50 Jahren wurde fast jeder Mensch mehrmals im Jahre zur Ader gelassen. Für die Heilung akuter Entzündungen, besonders des Gehirns, sowie für lebensgefährliche Blutstauungen (bei Lungenentzündung, Herzfehler) blieb der A. auch bis in die neuere Zeit eine sehr beliebte Ableitung. Der Gebrauch des Aderlasses ist aber gegen früher eingeschränkt worden, insofern man nur Kranke, aber nicht mehr Gesunde zur Ader läßt. Vgl. Bauer, Geschichte der Aderlässe (Münch. 1871); Gumprecht, Technik der speziellen Therapie (2. Aufl., Jena 1900).
Aderlaß bei Haustieren. Bei Pferden und Rindvieh läßt sich am besten die große Halsvene (Drosselvene) öffnen. Um ihre Lage sichtbar zu machen, schert man am untern Ende des obern Halsdrittels oberhalb der Luftröhre die Haare (nicht unbedingt nötig) und bringt die Ader dadurch zum Anschwellen, daß man um den Hals eine Schnur fest anzieht, oder daß man die Finger gegen die Vene andrückt. Bei Rindern wird bisweilen noch an den Milchadern (die vom Euter am Bauche nach vorn ziehenden Venen) zur Ader gelassen, bei Schafen auch unter dem Auge, am Schwanz, an der Kinnlade. Bei Schweinen wird ein Stück vom Schwanz weggenommen oder man schneidet quer über den Rücken der Ohrmuschel ein; beim Hund wird die Halsader benutzt. Den Pferden läßt man höchstens 3–4, gewöhnlich nur 1,5–2,5 kg Blut ab; dem Rindvieh bei einem starken A. 2,5 kg (gewöhnlich nur halb soviel und lieber wiederholt); kleinen Haustieren 70–250 g. Das Nachbluten wird dadurch verhindert, daß man eine Stecknadel durch beide Wundränder sticht und um dieselbe einen Faden oder Schweifhaare wickelt. Der A. wird auch bei Tieren jetzt seltener angewendet als früher.
Aderlaß an Bäumen nennt man das Aufritzen der harten Rinde von der Krone bis zur Wurzel, um dem durch sie eingeengten Stamm ein gedeihlicheres Wachstum zu verschaffen. Man wendet es bei dünn und spindelig gebliebenen Stämmen an, die am obern Teil eine Menge Holztriebe entwickeln, auch bei solchen, die im Verhältnis zu ihrem Alter zu wenig Fruchtholz machen. Wirksam ist weniger die geringe Saftentziehung als vielmehr der durch den Schnitt erzeugte örtliche Reiz, der eine reichlichere Stoffzufuhr an den betreffenden Stammstellen zur Folge hat.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.