Bruch [3]

Bruch [3]

Bruch (Eingeweidebruch, Hernie, Hernia), Lageveränderung eines Eingeweides, infolge deren letzteres aus seiner naturgemäßen Höhle herausgetreten, aber von der äußern Haut noch bedeckt ist. Beim Leistenbruch (Hernia inguinalis) tritt das Eingeweide durch den Leistenkanal, beim Schenkelbruch (H. femoralis s. cruralis) durch den Kanal hervor, durch den die Schenkelpulsader und der Schenkelnerv aus der Bauchhöhle an den Schenkel gehen, beim Nabelbruch (H. umbilicalis) durch den Nabelring. Weitere Austrittsstellen sind: Öffnungen der weißen Linie (B. der weißen Linie, H. lineae albae), die Incisura ischiadica (Hüstausschnittbruch, H. ischiadica), die Gefäßpforte der das eirunde Loch verschließenden Membran (B. des eirunden Loches, H. foraminis ovalis s. obturatoria), Spalten im Damm (Dammbruch, H. perinealis), Öffnungen der muskulösen Bauchwand infolge früherer Verletzungen (Bauchbruch). Beim Zwerchfellbruch (H. diaphragmatica) tritt das Eingeweide durch eine Öffnung in die Brusthöhle, beim Mastdarmbruch (H. rectalis) in einen sich nach außen ausstülpenden Teil des Mastdarmes, beim Scheidenbruch (H. vaginalis) in einen Scheidenvorfall. Da die innere Wand der Bauchdecken von dem Bauchfell ausgekleidet ist, so muß dieses von den aus der Bauchhöhle unter die äußern Bedeckungen heraustretenden Eingeweiden vorgedrängt werden. Man nennt diese beutelförmige Ausstülpung den Bruchsack, die Öffnung, durch die der B. hervortritt, die Bruchpforte, den hier liegenden dünnern Teil des Bruches den Bruchsackhals (collum). Je nach dem Eingeweide, das sich in dem B. befindet, unterscheidet man: Darmbruch (Enterocele), Netzbruch (Epiplocele), Darmnetzbruch (Enteroepiplocele), Magenbruch (Gastrocele), Blasenbruch (Cystocele), Gebärmutterbruch (Hysterocele) und Eierstocksbruch (Oophorocele). Beim Littréschen B. ist nicht eine ganze Darmschlinge, sondern nur eine Wand des Rohres vorgestülpt. Am häufigsten bilden Darm und Netz den Inhalt von Brüchen. Im Anfang handelt es sich gewöhnlich nur um eine Darmschlinge; bleibt aber der B. sich selbst überlassen, so folgen derselben allmählich mehrere Darmschlingen nach, so daß zuweilen fast der ganze Darm im B. liegt. Häufig kann der Bruchinhalt bei Rückenlage von selbst zurücktreten oder mehr oder weniger leicht zurückgebracht werden (beweglicher B., H. mobilis), oder er kann infolge von Verwachsungen der Eingeweide unter sich und mit dem Bruchsack (namentlich bei ältern und größern Brüchen) nicht zurückgebracht werden (unbeweglicher B., H. immobilis, irreponibilis). Endlich kann der B. in der Gegend der Austrittsöffnung von den umgebenden Teilen so eingeschnürt werden, daß dadurch die Bewegung des Inhalts des Eingeweides, wenn es ein Darmbruch ist, oder die Zirkulation des Blutes in den Gefäßen gehemmt wird: eingeklemmt er B. (H. incarcerata, strangulata).

Für die Entstehung von Brüchen ist eine gewisse, oft angeborne, oft auch erworbene (dehnbares Narbengewebe infolge Verletzungen) Schwäche der natürlichen Spalten der muskulösen Bauchwand bedeutungsvoll. Daneben wirken als Gelegenheitsursachen Vorgänge, welche die Bauchpresse in erhöhtem Maß in Anspruch nehmen und die Eingeweide mit Gewalt gegen die Bauchöffnungen drücken. Dahin gehören: Heben von Lasten, schweres Tragen, angestrengte Atembewegungen beim Ringen und Turnen, angestrengtes Spielen von Blasinstrumenten, Drängen bei der Stuhl- und Urinentleerung, Erbrechen, heftiges Husten, Schreien, plötzliche Erschütterungen des Unterleibes durch Stoß. Schlag, einen Fußtritt, Reiten und Springen etc. Selten entsteht ein B. plötzlich und auf einmal (wobei die betreffenden Individuen einen schmerzhaften Ruck wahrnehmen), meist war der B. schon vorher in der Entwickelung begriffen, ohne daß dies von dem Kranken bemerkt wurde. Brüche sind beim männlichen Geschlecht häufiger als beim weiblichen; Schenkelbrüche werden öfter bei Weibern angetroffen. Nicht selten finden sich mehrere Brüche bei einem Individuum. Die Erkennung eines Bruches ist in der Regel leicht. An irgend einer der genannten natürlichen Bruchpforten erscheint eine Hervorragung, eine Geschwulst, ohne Farbenveränderung der sie bedeckenden Haut. Diese Geschwulst tritt bei aufrechter Stellung beim Husten oder nach der Mahlzeit stärker hervor, während sie beim Liegen und bei erschlafften Bauchdecken kleiner wird und von selbst oder durch einen leichten, gleichmäßigen Druck verschwindet. Die Geschwulst ist an und für sich nicht schmerzhaft, mehr oder weniger elastisch. Beim Zurückbringen hört man einen eigentümlich gurrenden Laut. In der Regel leiden Bruchkranke an Verdauungsbeschwerden, an ziehenden Schmerzen nach der Geschwulst, an Blähungsbeschwerden, zuweilen an Übelkeit und Brechneigung.

Brüche sind immer mehr oder weniger lästig, rufen öfters Schmerzen oder unangenehme Empfindungen hervor und können zu jeder Zeit gefährlich werden. Geringfügige Veranlassungen können eine Einklemmung hervorrufen, die nur durch allerumsichtigste Kunsthilfe beseitigt werden kann. Es muß deshalb jeder B. vor allen Dingen durch einen Arzt zurückgebracht (taxis, repositio) und dann auch durch ein Bruchband zurückgehalten (retentio) werden. Die sogen. Radikalheilung, für die sehr verschiedene Operationsmethoden angegeben sind, soll einem B., der nicht zurückgehalten werden kann, den Patienten aber stark belästigt, auf operativem Wege den Ausweg durch Verheilen oder Verödung des Bruchsackes verschließen.

Die unbeweglichen Brüche erreichen oft eine enorme Größe, und wenn Leistenbrüche in den Hodensack treten, wird dieser zuweilen bis zu der Größe eines Manneskopfes ausgedehnt. Hier gibt es dann außer operativen Eingriffen kein andres Mittel als Tragbeutel, die mit breiten Riemen um die Lenden befestigt werden. Obgleich wahre Einklemmungen bei diesen Brüchen selten beobachtet werden, so kann doch Anhäufung von Kotmassen kolikartige Schmerzen und Austreibung durch Blähungen herbeiführen. Der Versuch, solche Brüche zurückzubringen, ist zu jeder Zeit geboten, bedarf aber stets längerer Zeit, während welcher der Patient in ruhiger Lage verharren muß. Gelingt die Reposition, so ist der Darm durch ein Bruchband zurückzuhalten; im andern Fall müssen Bruchbänder mit hohlen Pelotten wenigstens das stärkere Vordringen des Darmes zu verhüten suchen.

Bei der Einklemmung (incarceratio, strangulatio) wird das ausgetretene Darmstück durch die Bruchöffnung derart umfaßt, daß der Darminhalt, namentlich aber das Blut, in seiner Fortbewegung behindert wird. Sobald sich der Darm eingeklemmt hat, ist die Bruchgeschwulst prall und schmerzhaft und die Zurückbringung für den Kranken unmöglich. Es stellen sich Kolikschmerzen, Aufstoßen, Brechneigung und Erbrechen ein. Gleichzeitig ist Verstopfung vorhanden. Der Kranke bekommt große Angst, seine Gesichtszüge entstellen sich, der Puls wird klein, außerordentlich beschleunigt, und der Unterleib treibt sich auf. Währt die Einklemmung fort, so dehnt sich die Bruchgeschwulst aus, wird immer härter und schmerzhafter, namentlich um die Bruchpforte herum, es werden gallig gefärbte, schleimige Massen erbrochen, die Kräfte des Kranken sinken zusehends; noch später hört dann das Erbrechen auf, statt dessen stellt sich Schluchzen ein, der Puls wird kaum fühlbar, kalte Schweiße treten auf, das Gesicht wird blaß und eingefallen, die Augen werden glanzlos, die Geschwulst wird blaurot, knistert unter dem Fingerdruck, auf der Haut erheben sich Blasen, mit übelriechender Flüssigkeit gefüllt (s. Brand, S. 312), und es entstehen Brandschorfe. Da die Schmerzen in diesem Stadium aufhören, der B. zuweilen sogar zurückgeht, so glaubt der Kranke, er befinde sich auf dem Wege der Besserung. Der Tod tritt aber dann oft überraschend schnell ein. Nur selten stößt sich der Brandschorf los, während im Innern Verwachsungen sich einleiten, so daß der Darm sich nicht mehr zurückziehen, seinen Inhalt nicht in die Bauchhöhle, sondern nur nach außen ergießen kann, und es bildet sich ein widernatürlicher After, der selten vollkommen heilt, immer aber längere Zeit eine Kotfistel zurückläßt. Sehr selten hebt sich die Einklemmung von selbst oder es gelingt, den B. rechtzeitig zu reponieren. Geschieht dies nicht, so ist die Bruchoperation (Bruchschnitt, Hermotomie) geboten. Diese besteht in Durchschneidung der Haut, Bloßlegung des Bruchsackes und Eröffnung desselben, Spaltung des einklemmenden Ringes und Zurückbringung der Eingeweide. War der Darm durch längere Einklemmung in seiner Ernährung schon erheblich gestört. oder gar schon brandig geworden, so muß der absterbende Darmabschnitt ausgeschnitten werden (Darmresektion), und es wird dann ein widernatürlicher After angelegt, oder es werden die gefunden Darmabschnitte miteinander vereinigt, so daß wieder ein zusammenhängendes, nur um die entfernte Darmschlinge verkürztes Darmrohr hergestellt wird. Nachdem die Wunde zur Heilung gebracht worden, ist es geraten, ein Bruchband zu tragen, da die Bruchpforte eine Nachgiebigkeit gegen die andringenden Eingeweide behält und deshalb der B. gern wiederkehrt. Der Patient muß außerdem noch einige Zeit lang in der Diät sehr vorsichtig sein, alle blähenden, schwerverdaulichen und den Darmkanal beschwerenden Speisen meiden und jede körperliche Anstrengung noch Wochen hindurch unterlassen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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