- Bremen [3]
Bremen, seit 1815 deutscher Freistaat mit dem amtlichen Titel »Freie Hansestadt B.«, ein Glied des Deutschen Reiches, dessen Gebiet (256,69 qkm) aus drei getrennt liegenden, an Größe sehr ungleichen Teilen besteht (s. die Karte bei S. 378). Der Hauptbestandteil mit der Stadt B. liegt zwischen 53°1'–53°10' nördl. Br. und 8°38'–8°59' östl. L. v. Gr. und zu beiden Seiten der untern Weser, 74 km vom Meer entfernt, und wird von der preußischen Provinz Hannover und von dem Herzogtum Oldenburg begrenzt. Dicht an der Nordgrenze des Gebietes, aber getrennt davon, liegt am rechten Ufer des Stromes die Stadt Vegesack (s.d.) und weiter nördlich, 55 km von der Stadt B., der dritte Landesteil von 292 Hektar Größe mit der Hafenstadt Bremerhaven (s.d.), am Einfluß der Geeste in die Weser. – Das Bremer Gebiet besteht auf beiden Seiten des Weserstromes aus Flachland, in das nur der Ausläufer einer Dünenkette (bis zu 10 m Höhe) am rechten Ufer eine geringe Abwechselung bringt. Die Weser durchzieht dasselbe bis an den Vegesacker Hafen etwa 25 km weit in vorwiegend nordwestlicher Richtung. Da fast die Hälfte des Gebietes noch unter den Nullpunkt des Bremer Pegels hinabsinkt, so sind die Weser und deren Nebenflüsse, Wümme und Ochtum, mit Deichen in einer Länge von etwa 100 km eingefaßt. Zur Entwässerung dient ein künstliches System von Gräben und Sielen und eine Dampfentwässerungsanlage. Der Boden ist teils sandige, arme Vorgeeft, teils fruchtbare lehmige Flußmarsch. Vom Gesamtflächenraum des Staatsgebiets (25,669 Hektar) kamen 1900: 6750 Hektar auf Acker- und Gartenland, 8303 Hektar auf Wiesen, 5979 Hektar auf Weiden, 48 Hektar auf Holzungen. Von dem ertragsfähigen Lande waren also 32,2 Proz. Fruchtland und 67,8 Proz. Grasland. Daher nimmt die Viehzucht, namentlich die Rindviehzucht, eine hervorragende Stelle im Landwirtschaftsbetrieb ein. Nach der Zählung von 1900 betrug der Viehstand: 6528 Pferde, 16,060 Stück Rindvieh, 679 Schafe, 16,062 Schweine, 4819 Ziegen, 783 Bienenstöcke. Das Klima ist mild, aber überwiegend feucht und regnerisch (jährl. Niederschlagsmenge 695 mm); die mittlere Jahrestemperatur beträgt 8,7°, die des Sommers 17,5°, die des Winters 0,1°.
Die Bevölkerung des Gebietes von B. betrug nach der Volkszählung vom 1. Dez. 1900: 224,882 Seelen (111,014 männlichen, 113,868 weiblichen Geschlechts) und hat seit 1895 um 28,476 (14,5 Proz.) zugenommen. Von jener Einwohnerzahl kamen 1900 auf die Stadt B. 163,297 (seit dem Anschluß einiger Landgemeinden 186,822), auf Vegesack 3943, auf Bremerhaven 20,315 und auf das Landgebiet 37,327. Auf 1000 Einw. kommen jährlich 33 Geburten und 17,7 Sterbefälle. Von der Bevölkerung, die zum niedersächsischen Stamm gehört und im Verkehr des täglichen Lebens noch viel die plattdeutsche Mundart spricht, sind etwa zwei Drittel Staatsangehörige, etwa ein Drittel aus andern deutschen Staaten (am meisten aus Hannover und Oldenburg) und 2,2 Proz. Reichsausländer. Nach dem Beruf gehörten 1895: 7,3 Proz. der Land- und Forstwirtschaft, 31,2 Proz. dem Handel und Verkehr, 50,6 Proz. der Industrie an. Dem religiösen Bekenntnis nach ist die Bevölkerung ausgeprägt evangelisch (92,9 Proz., und zwar 62 Proz. lutherisch, 28,25 Proz. reformiert, der Rest evangelisch); 5,9 Proz. (13,506) kommen auf die Katholiken und nur 0,63 Proz. (1409) auf die Israeliten. Sämtliche Kirchengemeinden haben Presbyterialverfassung. Die Rechte des summus episcopus ruhen beim Senat. Die katholische Kirche steht unter dem Bischof von Osnabrück als apostolischem Provikar der nordischen Mission.
Die Verfassung des Staates ist republikanisch. Am 8. März 1849 publiziert, im März 1852 aber durch Einschreiten des Deutschen Bundes teilweise suspendiert, hat sie endlich 21. Febr. 1854, 17. Nov. 1875 und 1. Jan. 1894 durch Revision ihre gegenwärtige Gestalt erhalten. Nach derselben üben Senat und Bürgerschaft die Staatsgewalt gemeinschaftlich aus. Der von der Bürgerschaft unter gewissen Beschränkungen gewählte Senat besteht aus 16 lebenslänglichen Mitgliedern (Senatoren), von denen wenigstens 10 Rechtsgelehrte und 3 Kaufleute sein müssen; zwei Mitglieder desselben sind Bürgermeister, vom Senat auf vier Jahre gewählt; einer von ihnen führt im jährlichen Wechsel den Vorsitz im Senat. Jeder 30jährige Staatsbürger ist zum Senator wählbar. Der Senat hat die Leitung und Oberaufsicht in allen Staats. und Kirchenangelegenheiten, die vollziehende Gewalt überhaupt, die Vertretung des Staates gegen Dritte und nach außen, das Gnadenrecht und die Polizeiverwaltung. Die Bürgerschaft besteht aus 150 Vertretern der Staatsbürger, die auf 6 Jahre gewählt werden, und von denen alle 3 Jahre die Hälfte ausscheidet; davon sind 14 Vertreter des Gelehrtenstandes der Stadt B., 40 des Kaufmannskonvents, 20 des Gewerbekonvents, 48 der übrigen Staatsbürger in der Stadt B., 12 Vertreter der Städte Vegesack und Bremerhaven und 16 der Landbezirke. Hierzu wählbar und wahlfähig sind alle 25jährigen Staatsbürger. Ein Ausschuß der »Bürgerschaft«, das Bürgeramt, bestehend aus dem Geschäftsvorstand und 18 Vertretern, hat auf Aufrechterhaltung der Verfassung, Gesetze und Staatseinrichtungen zu achten, den verfassungsmäßigen Verkehr zwischen Bürgerschaft und Senat zu vermitteln, die Bürgerschaftversammlungen zu berufen und die Tagesordnung derselben zu bestimmen. Die Versammlungen der Bürgerschaft sind in der Regel öffentlich. Die einzelnen Verwaltungszweige werden teils von Senatskommissionen geleitet, teils von Deputationen, die aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft bestehen; die Rechnungsführung ist immer in den Händen eines Bürgerschaftsmitglieds. Neben den staatlichen Regierungsgeschäften versieht der Senat für die Stadt B. die Befugnisse eines Magistrats, wie die Bürgerschaft für städtische Angelegenheiten unter Ausschluß der Vertreter der Hafenorte und des Landgebietes als Stadtbürgerschaft fungiert. Das Landgebiet (seit 1. April 1902: 15 Gemeinden mit 10 Kirchdörfern) ist seit 1871 nach preußischem Muster als sich selbst verwaltender Kreis konstituiert, während die Hafenstädte Vegesack und Bremerhaven nach besondern städtischen Verfassungen ihre Angelegenheiten verwalten. Für die Rechtspflege bestehen im bremischen Staat zwei Amtsgerichte (zu B. und Bremerhaven) und ein Landgericht (zu B.); die höhere Instanz wird durch das hanseatische Oberlandesgericht zu Hamburg gebildet. Die Richter der bremischen Gerichte werden durch einen aus Senat, Bürgerschaft und Richterkollegium gebildeten Wahlausschuß gewählt. Sowohl in der Stadt B. wie in Bremerhaven befindet sich eine Kammer für Handelssachen. – Zur Förderung des Handels und des Verkehrs bestehen der Kaufmannskonvent und die Handelskammer, zusammengesetzt aus Mitgliedern der Bremer Börse, die Handels- und Schiffahrtsangelegenheiten zu beraten haben. Die Interessen des Gewerbewesens werden vertreten durch den Gewerbekonvent und die Gewerbekammer, aus Mitgliedern des Gewerbestandes gebildet, die der Landwirtschaft durch die Kammer für Landwirtschaft, aus dem Landherrn (einem Mitglied des Senats) und 20 praktischen Landwirten bestehend.
Der bremische Staat bildete früher ein Freihafengebiet. Vom 1. Okt. 1888 ab ist der ganze bremische Staat mit Ausnahme zweier kleiner Freibezirke (in Bremen und Bremerhaven) in das deutsche Zollgebiet aufgenommen; das Deutsche Reich leistete zu den dieserhalb erforderlichen Anlagen einen Beitrag von 12 Mill. Mk. Der Staatshaushalt stellte sich nach dem Voranschlag für 1901/1902 an Einnahmen auf 24,171,463 Mk.; darunter an ordentlichen Einnahmen: 1) von Eigentum und Rechten 5,485,305; 2) direkte Steuern 9,328,500; 3) indirekte Steuern 2,941,950; 4) Gebühren und Geldstrafen 845,470; 5) vermischte Einnahmen 1,913,327; 6) Einnahmen vom Reich 2,144,930; an außerordentlichen Einnahmen 970,570 Mk. Die Ausgaben betrugen gleichfalls 24,171,463 Mk.; darunter: 1) Senat und Bürgerschaft 477,960; 2) Rechtspflege 1,074,336; 3) Polizei 3,227,098; 4) Finanzen 7,570,084; 5) Unterricht 2,982,045; 6) Bauwesen 2,042,107; 7) Eisenbahnen und Hafenanstalten 1,527,950; 8) vermischte Ausgaben 1,877,567; 9) Reich u. Auswärtiges 2,181,600; Abzug für voraussichtliche Minderausgaben 616,815; außerordentliche Ausgaben 1,677,531; für Nachbewilligungen 150,000 Mk. Die Staatsschuld belief sich 1. April 1902 auf 194,76 Mill. Mk. Was die Militärverhältnisse des Freistaates betrifft, so hat B. durch die Konvention vom 27. Juni 1867 die Stellung eines eignen Kontingents aufgegeben; die Wehrpflichtigen werden in der Regel in das 1. Bataillon (»Bremen«) des hanseatischen Infanterieregiments Nr. 75 eingereiht, das einen Bestandteil des preußischen Heeres (des 9. Armeekorps) bildet. Die Landesfarben sind Rot und Weiß (hanseatisch). Das Wappen (s. die Abbildung unten, auch Tafel »Wappen I«, Fig. 15) ist ein silberner, schrägrechts liegender Schlüssel mit aufwärts und links gekehrtem Schließblatt im roten Felde. Die Flagge (s. Tafel »Deutsche Flaggen« bei Art. »Deutschland«) ist rot und weiß, achtmal horizontal gestreift, längs des Flaggenstockes mit zwei Reihen abwechselnd rot und weißer Quadrate gesäumt. – Als Glied des Deutschen Reiches hat B. im Bundesrat eine Stimme, im Reichstag einen Abgeordneten. Literatur s. S. 382.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.