Wind [1]

Wind [1]

Wind, die in horizontaler oder nur wenig (in der Ebene selten über 5°) gegen die Erdoberfläche geneigter Richtung auftretende Luftbewegung. Als Richtung des Windes gilt die Weltgegend, aus der er weht, da er von dort charakteristische Eigenschaften mitbringt. Nach dieser Richtung wird er auch benannt. Sie kann entweder nach dem Gefühl, nach dem Rauch von Schornsteinen oder mittels besonderer Windfahnen (s. d.) festgestellt werden; in Gegenden sehr beständig wehender Winde (Küsten) kann man ihre häufigste Richtung an der schrägen Stellung der Bäume erkennen. Aus dem Zuge der Wolken kann man nur die Windrichtung in der Höhe bestimmen, nicht aber in der Nähe der Erdoberfläche, da beide Richtungen selten übereinstimmen. Mit zunehmender Höhe kommt der W., wenn man ihm entgegensieht, immer mehr von rechts her; z. B. von unten nach oben: SW., WSW., West, WNW., NW. Um Irrtümer bei der abgekürzten Bezeichnung der Richtung zu vermeiden, wird seit dem Wiener Meteorologenkongreß 1873 international Nord durch N, Ost durch E (East, Est), Süd durch S und West durch W bezeichnet (s. auch Windrose). Die Stärke des Windes wird entweder durch den auf eine Fläche ausgeübten Druck oder durch seine Geschwindigkeit gemessen. Die einfachste Form des Druckmessers ist die Wildsche Windfahne (s. Anemometer), aber sie gibt nur Schätzungswerte. Die Schwierigkeit der Winddruckmessung besteht darin, daß der Druck von der Größe und Form der dem W. ausgesetzten Platte und von dem Gegendruck (a) und der Saugwirkung (b) auf deren Rückseite abhängt (Fig. 1).

Fig. 1.
Fig. 1.

Die Saugwirkung des Windes hat Hagemann zur Messung der Stärke benutzt, indem er in die beiden nach oben gerichteten Schenkel eines Glasrohres Wasser goß und über den einen längern Schenkel den W. hinwegblasen ließ, während der W. in den kürzern hineinblies; da in ersterm Luftverdünnung ein trat, stieg das Wasser und gestattete einen Rückschluß auf die Windstärke. In der Regel berechnet man den Druck aus der Geschwindigkeit. Für Flächen bis höchstens 0,1 qm ist der Druck in Kilogrammen auf 1 qm = 1/8 v2, wo v die Geschwindigkeit in Metern pro Sekunde bedeutet, also

Tabelle

Mit zunehmender Fläche wird der Druck relativ kleiner. Den Berechnungen der Standfestigkeit der Bauten muß in Preußen ein Maximaldruck von 125 kg normal auf 1 qm zugrunde gelegt werden.

Die Geschwindigkeit wird mit Anemometern (s. d. und Meteorologische Registrierapparate) gemessen; doch begnügt man sich meist mit der Schätzung der Geschwindigkeit. Die dabei benutzten Skalen stimmen darin überein, daß sie mit 0 Windstille (auch C = Calme, Kalme) bezeichnen; als höchste Stufe wird meist 6,10 oder 12 genommen, so zwar, daß die Stufen der Skala 0–6 (Landskala) den geraden Stufen der Skala 0–12 entsprechen. Letztere Skala ist auf Grund der Segelführung seines Schiffes 1805 von dem englischen Admiral Beaufort eingeführt und wird nach ihm benannt. Sie wird jetzt am meisten benutzt; es bedeutet:


0 = vollkommene Windstille;

1 = leise, der Rauch steigt fast gerade empor;

2 = leicht, für das Gefühl eben bemerkbar;

3 = schwach, bewegt einen leichten Wimpel, auch die Blätter der Bäume;

4 = mäßig, streckt einen Wimpel, bewegt kleinere Zweige der Bäume;

5 = frisch, bewegt größere Zweige der Bäume, wird für das Gefühl schon unangenehm;

6 = stark, wird an Häusern etc. hörbar, bewegt große Zweige der Bäume;

7 = steif, bewegt schwächere Baumstämme, wirft auf stehendem Wasser überstürzende Wellen auf;

8 = stürmisch, bewegt ganze Bäume, erschwert das Gehen;

9 = Sturm, bringt Dachziegel etc. aus ihrer Lage;

10 = voller Sturm, wirft Bäume um;

11 = schwerer Sturm, zerstörende Wirkungen schwerer Art;

12 = Orkan, allgemeine Verwüstung.


Die Beziehung dieser 13 Stufen zur Geschwindigkeit ist noch nicht ganz einwandfrei festgestellt; am besten ist (nach Köppen) zu setzen:

Tabelle

Über die höhern, Sturm und Orkan umfassenden Stufen s. Artikel »Sturm«.

Auf dem Meere weht der W. stetiger und stärker als über dem Reibung bietenden Festland, und auf diesem wiederum in Ebenen stetiger und stärker als im hügeligen Lande; nur wird in letzterm Falle der W. in Engen und Schluchten heftiger sein, ebenso auf Straßen und Plätzen der Städte. Wo starke Winde häufig sind und aus bestimmter Richtung wehen, wie an Felsküsten, bei Föhn, Bora, Mistral etc., baut man gern krumme Straßen quer zur Windrichtung; die Schornsteine müssen zur Verhütung von Feuersbrünsten Sicherheitsköpfe gegen Windstöße haben. Mit der Höhe über dem Erdboden nimmt die Geschwindigkeit zu; so beträgt sie im Jahresmittel zu Berlin (34 m über dem Erdboden) 5,1 m und zu Potsdam (85 m) 5,5 m, in Straßburg i. E. auf dem Wasserturm (52 m) 4,2 m und auf der Münsterspitze (144 m) bereits 5,9 ni, ebenso in Paris (21 m hoch) 2,1 m und auf dem Eiffelturm (305 m) 8,6 m in der Sekunde. In Europa besitzt die größte mittlere Windgeschwindigkeit der Gipfel der Bjelašnica in Bosnien (2067 m) mit 9,4 m; größere Werte kennt man nur vom Mount Washington mit 15 m. Während des Tages tritt die größte Windgeschwindigkeit in den untersten Schichten der Atmosphäre mittags ein; wenig höher findet jedoch schon eine Umkehrung (Maximum nachts) statt, die im Winter schon in kaum 40 m, im Sommer in etwa 80 m Höhe über dem Erdboden beginnt. Während des Jahres fällt das Maximum an der Küste auf den Winter, im Binnenland auf den Frühling.

Die Ursache der Winde ist in Temperaturunterschieden und in der Erddrehung zu suchen. Wird eine Stelle der Erdoberfläche erwärmt, so entsteht dort ein aufsteigender Luftstrom, dem als Ersatz Luft an der Erde nachströmt. Gleichzeitig dehnen sich die Luftschichten über der erwärmten Stelle aus und heben sich hier, so daß nach außen hin ein Gefälle eintritt, dem die Luft in der Höhe folgt; auch hierbei muß unten Luft zum Ersatz nachfließen, und es entsteht so unten ein W. nach der wärmern Gegend hin, oben von ihr fort. Bei Erkaltung stellt sich umgekehrt ein absteigender Luftstrom und dementsprechend unten ausströmender W. ein. Durch Wärme und Kälte wird auch im Verein mit der Erdrotation und der Beschaffenheit der Erdoberfläche (Wasser, Land; Ebene, Gebirge) die Luftdruckverteilung bedingt; es entstehen Gradienten (s. d.) und damit Winde (s. Luftbewegung). Der W. weht nicht direkt von kalten nach warmen Gegenden, noch auch direkt von Gebieten hohen Luftdrucks nach solchen mit niedrigem Druck, sondern erfährt eine Ablenkung durch die Erdrotation (s. Hadleysches Prinzip). Bei der täglichen Drehung der Erde besitzt ein Punkt des Äquators eine Geschwindigkeit von 465 m in der Sekunde von Westen nach O., unter 30° Breite von 403 m. Wird also ein Luftteilchen vom Äquator nach dem 30. Breitengrad gebracht, so kommt es dort mit einem östlichen Geschwindigkeitsüberschuß von 62 m in der Sekunde an; besitzt es dabei in Richtung Äquator-Pol eine Eigengeschwindigkeit von 20 m in der Sekunde, so hat es bei der Ankunft am 30. Grad eine tatsächliche Geschwindigkeit von 65 m in der Sekunde, aber weder nach dem Pol, noch nach O. hin, sondern (Fig. 2) nach ONO.

Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.

Wird umgekehrt das Luftteilchen äquatorwärts gebracht, so bekommt es eine Richtung nach WSW. (Fig. 3). Im ersten Fall weht WSW.-Wind, im zweiten ONO.-Wind; die wahren Geschwindigkeiten sind freilich infolge der Reibung wesentlich geringer. Handelt es sich um tropische Gegenden, so hat man im ersten Fall den Antipassat, im zweiten den Passat (s. Passatwinde). Durch die Erdrotation wird der W. mithin abgelenkt, und zwar auf der nördlichen Halbkugel nach rechts, auf der südlichen nach links. Demzufolge strömt der W. den Gebieten niedrigen Luftdrucks nicht direkt, sondern spiralig zu (Figur 4); ebenso entströmt er den Hochdruckgebieten in spiraliger Bahn (Figur 5).

Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.

Hieraus und aus den Figuren geht sofort das barische Windgesetz oder die Buys-Ballotsche Regel (1857) hervor: steht ein Beobachter so, daß er den W. im Rücken hat, so liegt der niedrige Luftdruck auf der nördlichen Halbkugel links vorn, auf der südlichen rechts vorn. Ferner folgt auch daraus, daß, wenn ein Tiefdruckgebiet im N. des Beobachters vorüberzieht, der W. anfangs aus SO., dann aus S., SW., Westen und NW. weht, also mit der Sonne sich dreht (Doves Drehungsgesetz der Winde); auf der Nordseite des Tiefdruckgebiets geschieht die Drehung entgegengesetzt. Zu unterscheiden hiervon ist die tägliche Drehung der Windfahne an schönen Tagen, wonach der W. im allgemeinen etwas links von der Gegend, wo die Sonne steht, herkommt. Bei den kleinen Luftwirbeln von wenigen Metern Durchmesser wird der Drehungssinn meist durch Verhältnisse des Entstehungsortes bedingt.

Von den Winden sind lediglich auf Temperaturunterschiede zurückzuführen die Land- und Seewinde, Monsune, Berg- und Talwinde, zum Teil auch die Fallwinde (s. d.). Da sich das Land bei Besonnung stärker erwärmt als das Meer, so wird vormittags über dem Land ein aufsteigender Luftstrom entstehen. dem unten als Ersatz vom Meere her Luft nachströmt (Seewind); bei der abendlichen Abkühlung ziehen sich die Atmosphärenschichten über dem Lande wieder zusammen, es entsteht oben ein Gefälle und damit ein W. landwärts, der unten seewärts ausströmt (Landwind). Die Höhe der Seebrise beträgt meist weniger als 500 m. An der Küste von Senegambien bewirkt sie eine Abnahme der Temperatur um 6–12° und der Feuchtigkeit um 30–60 Proz., ist aber 5 km landeinwärts kaum noch zu spüren. Land- und Seewinde im großen sind die Monsune (s. d.). In Gebirgstälern, namentlich in solchen auf Ebenen ausmündenden, wehen abends und nachts kühle Winde abwärts (Bergwind) und tagsüber aufwärts (Talwind). Tagsüber werden die Hänge und die Luftschichten im Tale und über der Ebene erwärmt, wobei sich letztere so stark ausdehnen, daß ein Gefälle talaufwärts entsteht und der W. zum Hange weht; abends kehrt sich infolge Ausstrahlung und Abkühlung das Gefälle um, und es setzt der Bergwind ein, der für den Schlaf sehr erfrischend wirkt, aber das Weilen im Freien abends oft nicht gestattet.

Praktische Wichtigkeit hat die Kenntnis der Windverhältnisse für Windmühlen, Windmotoren, Schutzbauten gegen Schneeverwehungen und bei Städten für die Konzessionierung von raucherzeugenden Fabriken etc.; da in Europa der W. am häufigsten aus Westen kommt, liegen die bessern Stadtviertel an der Westseite (Zug nach Westen), die Fabrikviertel an der Ost- und Nordseite. Ebenso wichtig ist aber die Kenntnis der Winde für die Schiffahrt; gerade hier ist es gelungen, durch Ausnutzung der stetig wehenden Winde bedeutende Abkürzungen der Fahrten zu erzielen (s. Maritime Meteorologie). Vgl. die vollständig ausgeführte Literatur in Hann, Lehrbuch der Meteorologie (2. Aufl., Leipz. 1906); über die Namen der Winde s. die Aufsätze von Umlauft, Mohn, Kaßner in der »Meteorologischen Zeitschrift«, 1894; ferner die Literatur bei den Artikeln: Föhn, Hurrikan, Monsune, Passatwinde, Tornados; die älteste Windkarte von Halley (1688) enthält Nr. 8 der »Neudrucke von Schriften und Karten über Meteorologie« (Berl. 1897).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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