Tapēten

Tapēten

Tapēten (v. griech. tapes, lat. tapetam, franz. tapis, »Teppich, Decke«; hierzu Tafel »Moderne Tapeten«), Behang oder Bekleidung der Wände, ursprünglich verschiedenartige Wirkereien, Stickereien oder Webereien, die aus dem Orient stammten: zunächst als Wand und Dach der zeltartigen Behausung dortiger Nomadenvölker, dann als Behang der gemauerten Wände und als Vorhang, um in Tempeln und Palästen große Räume zu teilen, von wo aus, wie die Alabasterplatten von Babylon und Ninive beweisen, solche Wandbekleidungen in den Steinstil umgesetzt wurden. Griechen und Römer übernahmen diesen Textilschmuck von den Asiaten, in Byzanz und im Abendland erhielt er sich durch den Handelsverkehr mit den Arabern, immer wieder neu belebt für kirchliche und profane Zwecke. Die ersten T. bestanden im Altertum aus Wolle-, Seiden- und Goldfäden, die Muster waren gewirkt (s. Gobelins und die auf Tafel »Weberei« abgebildeten Muster in Fig. 10 u. 21), gestickt (s. Stickerei) oder auf Leinen mittels Wachsabdeckverfahrens (s. Batiken und Koptische Kunst), gedruckt oder gemalt, daneben kann man an orientalischen (s. Orientalische Kunstwebereien) und abendländischen Erzeugnissen (s. Weberei, Geschichtliches) verfolgen, daß die Webereien in Seide, Samt etc. gleichen Zwecken dienten. Für gemalte Seidentapeten wurde der Geschmack wieder allgemeiner, als man im 18. Jahrh. in Europa dergleichen chinesische Arbeiten kennen lernte; auch Federtapeten (s. d.) waren eine Zeitlang in der Mode. Ledertapeten (auch Cordovatapeten [Corduan] genannt) wurden im 12. Jahrh. zuerst in Spanien von den Mauren gemacht. Diese maurische Technik verbreitete sich im 16. Jahrh. von Spanien nach Italien, den Niederlanden, Frankreich, England und Deutschland, wo im 17. und 18. Jahrh. Augsburg als Fabrikationsort genannt wird. Mit der Aufnahme der Renaissanceformen kamen zur Mitte des 19. Jahrh. die Ledertapeten wieder in Gebrauch; aber vielfach begnügte man sich mit Nachahmungen in dicker Papiermasse, die zumeist nach alten Mustern hergestellt wurden. Der Charakter der Muster in ältern Ledertapeten beruht vollständig auf den Ornamenten der Gewebe (vgl. Weberei, Geschichtliches); es erhält sich diese Anlehnung bis zum Absterben der Kunst, das im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nachzuweisen ist, wo als Ersatz dafür schon die T. aus Leinen und Wachstuch (s. Flocktapeten), Baumwolle (bedruckter Kattun) und schließlich die Papiertapeten vorhanden sind, die schon im 17. Jahrh. anfangen und schließlich allein das Feld behaupten. Ihre Fabrikation und Verwendung im großen konnte jedoch erst seit 1835 betrieben werden, nachdem an Stelle der kleinen Blätter, die aneinander zu kleben waren, das Rollenpapier getreten war. Eine weitere Vervollkommnung trat dann 1852 durch die Erfindung der Maschine für den Tapetendruck ein. Hinsichtlich der Muster begnügte man sich lange Zeit, ältere Gewebe nachzuahmen oder der jeweiligen Mode des Tages zu folgen, je nachdem diese die Blumenmuster, den Orient, das Mittelalter oder französische Seidenmuster der Renaissance bevorzugte. Die ersten Versuche, den Geschmack des Publikums zu reformieren, sind von William Morris (s. d. 3) gemacht worden, der aber auch hier an das von ihm am höchsten geschätzte gotische Mittelalter anknüpfte; hierzu wählte er für die Muster seiner T. (Tafel, Fig. 1) ausschließlich Vorbilder aus der Pflanzenwelt. Er stellte aber zuerst den noch heute gültigen Grundsatz auf, daß ein Tapetenmuster nur Flachornament sein, daß das Muster sich von einem ruhigen Grund abheben müsse und nicht etwa ein Ersatz für Bilder durch Anstreben von perspektivischen Bildwirkungen sein dürfe, sondern sich vielmehr den an der Wand aufgehängten Bildern und den Möbeln unterzuordnen habe: ein Stilgesetz, dem sich die Mehrzahl der englischen Tapetenzeichner mit Walter Crane und C. F. A. Voysey an der Spitze anschloß. Diese Künstler beschränkten sich nicht bloß auf die Pflanzenwelt, sondern belebten ihre Blumen- und Rankengewinde auch mit Tieren und menschlichen Figuren, nach denen die einzelnen Muster benannt wurden, wie z. B. die Jagdtapete (Tafel, Fig. 2) und die Kakadu- und die Granatapfeltapete (Fig. 3) von Walter Crane. Daneben kamen durch Voysey pflanzliche Motive in freier ornamentaler Gestaltung zur Anwendung (Fig. 4). Nachdem die englischen T. jahrzehntelang den ganzen europäischen Markt, insbes. auch den deutschen, beherrscht hatten, wurde zuerst in Deutschland durch den Maler und Zeichner Otto Eckmann der Versuch gemacht, durch Entwürfe zu neuen, ganz eigenartigen T. (die 1898 von H. Engelhard in Mannheim ausgeführt wurden) den Geschmack des Publikums von den englischen Mustern abzubringen: er hatte sich für die Zeichnung wie für die Farben seiner Muster eine eigne Ästhetik gebildet, deren Grundlage zunächst auf einer stärkern Heranziehung farbiger Wirkungen beruht; die Mehrzahl der von ihm entworfenen und herausgegebenen T. zeigen vegetabilische Motive und zwar meist solche aus der heimischen Pflanzenwelt (Tafel, Fig. 5 u. 6). Die Ausführung der Eckmannschen T. ist gedacht sowohl in Maschinen als in Handdruck. Letzterer wird bei den kostbaren T. in Seide- und Veloursausführung (Fig. 5) ausschließlich angewendet.

Dem Beispiele von H. Engelhard folgten auch andre deutsche Tapetenfabriken, wie Adolf Burchardt Söhne in Berlin. die den Maler Walter Leistikow gewannen (Fig. 8), Ernst Schütz in Dessau, der zumeist Münchener Künstler beschäftigte (Fig. 7, Primelmuster), u. a. Der belgische Schmuckkünstler Henri van de Velde verleugnet seine Neigung für das streng lineare Ornament auch in seinen Tapetenmustern nicht (Fig. 9). In der Gegenwart herrschen im Tapetenmuster neben den naturalistischen Pflanzenformen die Stilarten der Louis Seize- und Empirezeit.

Heutigestags versteht man unter T. die zur Wandbekleidung angewendeten Papiertapeten, die in Stücken (Rollen) von etwa 0,5 m Breite und 10–11 m Länge oder als Borten von geringerer Breite oder auch in abgepaßten Größen (Plafond- und Füllungstapeten) mitunter einfarbig, gewöhnlich gemustert hergestellt werden. Zur Erzeugung derselben dient im Stoff gefärbtes oder einseitig mit Grundfarbe überzogenes (grundiertes) Papier. Man trägt zum Grundieren die mit Leimlösung gemischte Farbe mit Handbürsten oder der Grundier- (Foncier-) Maschine auf. Bei dieser Maschine wird die Farbe mittels Filzwalzen an das Papier gedrückt und durch drehende Bürstenwalzen verstrichen, während die Papierbahn von einer Walze abläuft. Nach dem Streichen gelangt das Papier zum Trocknen auf eine große geheizte Drehtrommel oder eine Hängemaschine, die es in langen Hängefalten aufhängt. Glanztapeten werden nachdem Grundieren satiniert, indem man sie mit Talkum abbürstet. Glätte erhalten sie mittels Kalander. So vorbereitet gelangen die Rollen zum Bedrucken, wobei, wie beim Kattundruck, Druckformen oder Tapetendruckmaschinen, die in der Stunde 800–900 m Papier bedrucken, zur Verwendung kommen. Diese Maschine besteht aus einer großen Trommel, um die das Papier geführt wird, und die von Druckwalzen aus Holz, Kupfer oder Letternmetall umgeben ist, die das Muster tragen und von Farbewalzen mit Farben versehen werden, die durch Drehung der großen Trommel sich auf das Papier abdrucken. Das bedruckte Papier gelangt zum Aufhängen und Trocknen. Auch die auf Maschinen gedruckten T. müssen nachher geglättet werden.

Besondere Arten von T. sind: Beloutierte T. (Velours-, Wolltapeten, Samt-, Castortapeten), auf denen der Grund oder das Muster mit gefärbten kurzen Wollhärchen (Scherwolle) oder auch sein zerriebenen Holzspänchen (Holzwolle) derart bedeckt ist, daß diese Stellen eine dichte und gleichmäßig wollige Oberfläche zeigen. Das Veloutieren wird nach dem Drucken dadurch vorgenommen, daß man die Stellen der T., die Wolle annehmen sollen, mittels hölzerner Formen mit einem sehr zähen Leinölfirnis bedruckt oder bestreicht, dann in einem langen Kasten mit einem Boden aus Kalbleder oder Pergament ausbreitet, Scherwolle aufstreut und den Deckel des Kastens schließt. Durch Trommeln auf dem Boden desselben mit Holzstäben werden die Wollstäubchen in die Höhe geworfen und verteilen sich herabfallend auf den T., wo sie an den noch nassen gefirnißten Stellen kleben bleiben und mit antrocknen. Vergoldete und versilberte T. stellt man durch Andrucken von Blattgold oder Blattsilber an mit Leinöl bedruckte Stellen oder durch direktes Bedrucken mit pulverförmigem Gold, Silber oder Bronze her. Gepreßte (gaufrierte) T. heißen solche, denen mittels eines besondern Walzwerkes (Gaufriermaschine) ein Reliefmuster ausgepreßt ist (Lederimitation). Gefirnißte T. sind durch den Firnis nicht nur glänzend geworden, sondern auch gegen Feuchtigkeit geschützt, so daß sie abgewaschen werden können. Man bedient sich dazu in der Regel des Kopalfirnisses, der mit Bürsten wie beim Grundieren aufgetragen wird. Namentlich werden die die Holzmaserung nachahmenden Holztapeten gefirnißt, um ihnen das Ansehen polierter Holzflächen zu geben. Bei Iristapeten gehen zwei oder mehrere nebeneinander aufgetragene Farben durch sanft verwaschene Mitteltöne ineinander über, woraus ein buntes, dem Farbenreichtum des Regenbogens zu vergleichendes Ansehen hervorgeht. Über Lincrusta-Walton s. Linoleum. Vgl. Exner, Die Tapeten- und Buntpapierindustrie (Weim. 1869); Bötticher, Originalkompositionen zu Flachmustern (Dresd. 1878–80); Hoyer, Fabrikation des Papiers, der Buntpapiere und T. (Braunschw. 1886); Seemann, Die Tapete (Wien 1882); M. Schubert, Papierverarbeitung, Bd. 2 (Berl. 1901); Fisch bach, Beitrag zur Geschichte der Tapetenindustrie (Darmst. 1889); Gurlitt, Die deutsche Musterzeichnerkunst und ihre Geschichte (das. 1890). S. auch die Literatur bei Tapezieren.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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