Studentenverbindungen

Studentenverbindungen

Studentenverbindungen und -Vereine (studentische Korporationen; hierzu die Textbeilage »Studentenverbindungen und -Vereine«). Seit dem Bestehen von Universitäten haben sich auch die Studierenden zu Vereinigungen gesammelt. Wir begegnen schon 1222 in Paris der Einteilung in »Nationen«, die (sogar mit der seit 1249 feststehenden Vierzahl) 1348 auf Prag, von da 1409 auf Leipzig und ebenso auf die übrigen deutschen Universitäten des ausgehenden Mittelalters sich übertrug. Ähnlich an den ältern italienischen Universitäten. In Bologna unterschied man zwei große Sozietäten (auch universitates genannt): Citramontani (Italiener) und Ultramontani (Ausländer), die ihrerseits wieder aus kleinern Nationalitäten bestanden. Jede der vier Nationen wurde in Paris, Prag, Leipzig etc. von einem Senior (Procurator) geleitet, der in den Nationalkonventen den Vorsitz führte, wie im »Concilium nationale magnum«, dem Konvent aller vier Nationen, der Rektor. Die Landsleute aus kleinern Kreisen schlossen sich allmählich enger aneinander. So entstanden in den Nationen die Landsmannschaften, die seit Unterdrückung des sogen. Pennalismus (um 1660; s. d.), der in den Nationen seinen Hauptsitz gehabt hatte, selbständig hervortraten. Diese Vereine hielten streng an einem Rekrutierungsbezirk (Sprengelrecht) und führten die Farben ihrer Provinz als Schleife am Degen, als Quaste an der Pfeife oder als Feder und Kokarde am Hute (Stürmer). Um die Mitte des 18. Jahrh. tauchen sogen. Orden auf, eine Nachahmung der Freimaurerlogen und ihres Rituals, die bald in erbittertem Gegensatze zu den Landsmannschaften standen, da sie jeden Studenten ohne Unterschied seiner Herkunft aufnahmen. Es gab z. B. Mosellaner, Konstantisten, Konkordisten, Amicisten, Schwarze Brüder, den Mopsorden, den Faßbinderorden etc. Die Heimlichkeit der Orden machte sie von vornherein den akademischen Obrigkeiten verdächtig, die daher immer wieder gegen das Ordenswesen einschritten, wo Spuren davon entdeckt wurden. Das erste Verbot scheint 1748 in Göttingen erlassen zu sein; im Anfang des 19. Jahrh. verschwanden die Orden wieder. Doch findet man noch heute in den Traditionen älterer Verbindungen Anklänge an die Orden. Besonders ist der heute an Hochschulen allgemein verbreitete sogen. Zirkel ein Erbstück aus jener Zeit. Die vielfach verschlungenen Buchstaben V. C. F. bedeuteten damals »Vivat circulus fratrum«, hatten aber für Eingeweihte gleichzeitig noch oft einen geheimen Nebensinn, während für Fernerstehende man sie harmlos deutete als »Vivat, crescat, floreat N. N.« Die Burschenschaften verwandelten das C in E, um die Initialen als »Ehre, Freiheit, Vaterland« ansprechen zu können.

Die im Gegensatz zu den Nationen entstandenen Landsmannschaften legten den Grund zu den heutigen Formen studentischer Organisationen, die trotz aller mannigfaltigen Variationen etwas Einheitliches besitzen, etwas, das eben dem deutschen Studentenleben sein besonderes Gepräge gibt. Namentlich ist es der Komment (s. d.), sowohl der Bier- oder Trinkkomment wie der Fechtkomment, den die alten Landsmannschaften in seinen Grundzügen schufen. Durch den Bierkomment sollte das allzu regel- und darum meist maßlose Trinken, durch den Fechtkomment der Austrag von Streitereien und ernstern Ehrenhändeln in die ordnenden und erzieherischen Fesseln einer festen Sitte gezwungen werden. Und in der Tat wurde dadurch das nach heutigen Begriffen geradezu wüste Leben der damaligen Studenten allmählich in feinere Formen geleitet.

Aus den alten Landsmannschaften sonderten sich im weitern Verlaufe der begonnenen Entwickelung die Korps aus. Die Einführung des neuen Namens »Korps«, der ursprünglich im gleichen Sinne wie Landsmannschaft gebraucht wurde, war nur die Folgerung des tatsächlich längst eingetretenen Zustandes, daß die Landsmannschaften sich durchaus nicht mehr nur aus Landsleuten, sondern mehr aus Gesinnungsgenossen, »Wahlverwandten«, zusammensetzten. Die Entwickelung der Korps erfuhr durch die Zeitumstände in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. eine besondere Begünstigung. Ein großer Teil der Studenten, welche die Freiheitskriege mitgemacht, die für Freiheit und Ehre des Vaterlandes auf manchem Schlachtfelde gekämpft hatten, fanden keine Befriedigung mehr in dem studentischen Getriebe, dem rein geselligen Leben, wie es die Landsmannschaften führten. Sie wollten ausgehen in der Sorge für das Vaterland, in dem geistigen Kampf für die Schaffung eines deutschen Reiches. Diese Gruppe von Studenten hatte, zunächst 1815 in Jena und dann in größerm Umfange 1817 durch das Wartburgfest (s. Burschenschaft), eine neue Art studentischer Organisation, die sogen. Burschenschaften, ins Leben gerufen. Ihrer nationalen Bestrebungen wegen, die damals als staatsgefährlich betrachtet wurden, wurden die Burschenschafter von den deutschen Regierungen streng verfolgt. Um so lebhafter blühten indessen die Korps empor, die jede Beschäftigung mit Politik grundsätzlich ausschlossen und, deshalb begünstigt durch die Regierungen, mehr und mehr den Mittelpunkt abgaben für die künftigen höhern Beamten, allmählich aber auch mit dem Wachsen an äußerm Ansehen in den besten Gesellschaftsklassen durch den ständigen Zustrom aus diesen an innerm Werte zunahmen.

Neben den Korps erhielt sich noch eine besondere Gruppe, die den alten Namen der Landsmannschaften nicht aufgab, im übrigen aber sich nur in unwesentlichen Dingen von ihnen unterschied, namentlich dadurch, daß sie infolge des geringern Maßes von behördlicher Begünstigung nicht die exklusive Haltung der Korps annahm und im Gegensatz zu diesen die Gleichberechtigung aller »honorigen« Studenten vertrat.

Die den Korps und Landsmannschaften gemeinsamen studentischen Formen haben später, wenn auch nicht in der strengen Ausgestaltung, auch die Burschenschaften und, mit immer größern Einschränkungen, alle neuern Verbindungsgruppen übernommen. Der traditionelle Unterschied zwischen den Ältern, den »Burschen«, und den eben erst »Eingesprungenen«, den »Füchsen«, ist wohl allgemein beibehalten. Stimmrecht haben fast überall nur die Burschen, nicht aber die Füchse oder »Renoncen«, und noch weniger die in loserer Form »aktiv« gewordenen »Konkneipanten« (Verkehrsgäste). Die »Couleur« (bestehend aus meist dreifarbigem seidenen Brustband und bunter Mütze oder »Cerevis« in den Farben des Bandes sowie aus dem als Uhranhängsel getragenen »Bierzipfel«, der zusammen mit dem Bande den letzten Rest des frühern Säbelbandeliers darstellt) wird zwar vielleicht nur noch von der Hälfte der Verbindungen getragen; ausnahmslos noch von Korps, Landsmannschaften, Burschenschaften, Turnerschaften und Sängerschaften. Dagegen wird der »Wichs«, die alte Tracht der Studenten, deren Sinnbild die Couleur ist, bei festlichen Gelegenheiten auch von den »Chargierten«, den Vorstandsbeamten, der »nicht farbentragenden« Verbindungen angelegt. Dieser Wichs besteht aus Pekesche (bunte Samt- oder Tuchjacke mit Husarenverschnürungen), weißen Hosen, Reiterstiefeln, Cerevis oder federgeschmücktem Barett und dem Schläger (auch Speer genannt). Den Schläger tragen übrigens auch solche Verbindungen, die grundsätzlich den Zweikampf verwerfen. Der Schläger, eine leichte Waffe mit gerader Klinge und dem »Korb« oder der »Glocke« als »Gefäß« (Handschutz über dem Griff der Waffe), dient hauptsächlich zur Austragung der Bestimmungsmensuren. Zur Austragung von »Kontrahagen« (Ehrenhändeln) dient dagegen meist der krumme Säbel. Pistolenduelle werden heute nur noch zugelassen, wenn einer der »Kontrahenten« körperlich völlig unfähig ist, eine »blanke« Waffe zu führen. Über die weitere Ausgestaltung des studentischen Verbindungswesens s. die Textbeilage. Vgl. Loen, Gesammelte kleine Schriften (Frankf. u. Leipz. 1752–53); Kindleben, Studentenlexikon (Halle 1781); Laukhard, Leben und Schicksale (das. 1792); »Der flotte Bursch« (von C. B. Rag... y u. a., Leipz. 1832); »Was sind und wollen die Korps« (Götting. 1869); Lindner, Die Korps der deutschen Hochschulen (Leipz. 1870); »Korps und Burschenschaften. Fort mit dem Verruf!« (das. 1888); »Geschichte des Koburger L. C.« (das. 1893); »Beiträge zur Geschichte der deutschen Studentenschaft« (Wien 1891); Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts (Jena 1891); Kufahl und Schmied-Kowarzik, Duellbuch (Leipz. 1896); Theobald Ziegler, Der deutsche Student am Ende des 19. Jahrhunderts (9. Aufl., das. 1904); Arnold Ruge, Kritische Betrachtung und Darstellung des deutschen Studentenlebens (Tübing. 1906). Über die Zeitschriften s. die Textbeilage. Weitere Literatur über das Studentenleben s. Universitäten.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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