- Protoplásma
Protoplásma (griech., »das zuerst Gebildete«, Plasma, Sarkode), die Substanz, die den Zellkörper bildet und an die das Leben gebunden ist, daher auch in jeder einzelnen Zelle, aus denen Tiere und Pflanzen zusammengesetzt sind, neben dem Zellkern der wesentliche, ihnen allen gemeinsame Inhalt (im Gegensatz zu den mehr zufälligen und auch nicht jeder Zelle zukommenden Teilen, wie Stärkekörner, Fettkügelchen etc., s. Zelle). Das P. zeigt unter Umständen eine recht komplizierte Struktur. Sein Bau ist ungefähr in jeder Zellform ein andrer und vielfach selbst in ein und derselben Zelle an verschiedenen Stellen verschieden. Man spricht demgemäß z. B. von Hyaloplasma, wenn das P. durchsichtig und klar erscheint, von Spongioplasma, wenn es einen schwammigen Bau besitzt. In vielen Zellen (Amöben, Myxomyzeten) kann man ein hyalines Ektoplasma an der Peripherie von einem körnerreichen Endoplasma im Innern unterscheiden. Im allgemeinen finden sich in morphologischer Beziehung in jedem P. zwei verschiedene Bestandteile, die Grundsubstanz und die geformten Einlagerungen. Man hat der erstern eine äußerst seine fadenförmige, fibrilläre Struktur zugeschrieben (Filartheorie) oder glaubte an ihr eine netz- oder gerüstförmige Beschaffenheit zu beobachten (Gerüsttheorie), bis dann vor allem Bütschli zeigte, daß die scheinbare Netzstruktur nur der optische Ausdruck für einen sehr seinschaumigen, bienenwabenartigen Bau des Protoplasmas ist, von dem man bei sehr starken Vergrößerungen nur die optischen Querschnitte der Wabenwände als scheinbare Maschen zu sehen vermag. Die Wabenwände bestehen danach aus einer dickflüssigern, der Wabeninhalt aus einer dünnflüssigern Substanz, was experimentell durch Herstellung künstlicher Schäume von gleicher Feinheit aus Öl erläutert wurde, deren Struktur unter dem Mikroskop selbst bei stärksten Vergrößerungen von der Struktur der Protoplasmagrundsubstanz kaum zu unterscheiden war (Wabentheorie). Nach der von Altmann vertretenen Theorie bestände das P. aus seinen Granulis, welche die eigentlichen Elementarorganismen (Bioblasten) vorstellen (Granulatheorie). Wie erwähnt, kann das P. in verschiedenen Zellen und sogar in einzelnen Partien ein und derselben Zelle einen recht verschiedenen Bau zeigen und so können die einander gegenüberstehenden Annahmen vom Bau des Protoplasmas das richtige treffen, ohne daß sie für alle Zellen verallgemeinert zu werden brauchten. In den meisten Zellen finden sich spezifisch charakteristische Einlagerungen, soz. B. im P. der Pflanzenzellen die Chlorophyllkörper und Stärkekörner, die den Charakter der Pflanzenzelle bestimmen, in den Radiolarienzellen zahllose Flüssigkeitstropfen (Vakuolen), die dem P. ein grobes, schaumiges Aussehen verleihen (nicht zu verwechseln mit der seinen Wabenstruktur der Grundsubstanz), in den Pigmentzellen braune, rote, gelbe Pigmentkörnchen, in den Unterhaut-Bindegewebszellen und Leberzellen Fetttröpfchen in amöboiden Zellen aufgenommene Nahrungspartikel (Bakterien, Algen etc.), in tierischen Eizellen und pflanzlichen Samenzellen zahllose Körnchen von Reservenahrungsmaterial für die weitere Entwickelung, in manchen freilebenden einzelligen Organismen endlich parasitär lebende Algenzellen (Zooxanthellen und Zoochlorellen).
Unter den physikalischen Eigenschaften des Protoplasmas sind die Konsistenzverhältnisse von besonderer Wichtigkeit für die Mechanik der Lebenserscheinungen. Die Kugel- und Tropfenform nackter Protoplasmamassen, die Kugelgestalt von Flüssigkeitstropfen im Innern des Protoplasmas, das Strömen und Fließen des Protoplasmas im Innern der Zellen, die Tatsache des Stoffwechselchemismus erweisen die flüssige Konsistenz. Dazu kommt der hohe Prozentgehalt des Protoplasmas an Wasser, der in Zellen, die keine Flüssigkeitsvakuolen besitzen (Leber, Nieren, Muskeln), 70–80 Proz., in vakuolenreichen Zellen pelagischer Tiere (Ktenophoren) 95–98 Proz. der Körpermasse beträgt. Trotzdem besteht in vielen Fällen zweifellos eine molekulare Struktur des Protoplasmas, aber sie ist nicht fest und starr. Im lebendigen P. müssen vielmehr die Teilchen gegeneinander verschiebbar sein und sich tatsächlich fortwährend verschieben, sonst wäre der Stoffwechselchemismus der Zelle unmöglich. Im allgemeinen kann man das P. als eine dicke Flüssigkeit bezeichnen, in die geformte Elemente von verschiedener Konsistenz eingelagert sind.
Bezüglich der chemischen Zusammensetzung des Protoplasmas ist daran festzuhalten, daß das P. keine chemisch einheitliche Substanz, sondern ein Gemisch von verschiedenen chemischen Verbindungen ist. Der Begriff P. ist kein chemischer, sondern ein morphologischer. Unter den organischen Verbindungen des Protoplasmas nehmen die Eiweißkörper den ersten Platz ein. Mit ihren Verbindungen und Zersetzungsprodukten fehlen sie in keinem P. und bilden von allen organischen Verbindungen die Hauptmasse. Daneben sind mehr oder weniger weitverbreitet im P. tierischer wie pflanzlicher Zellen Kohlehydrate und Fette, die namentlich als Reservematerial bisweilen in größern Mengen als geformte Massen (Stärkekörnchen, Glykogenschollen, Fett- und Öltröpfchen etc.) im P. angehäuft liegen. Die Gesamtheit der nicht aus P. bestehenden Substanzen im tierischen Ei, die bei der Bildung des Embryos keine tätige Rolle zu spielen, sondern nur als Material zu seinem Aufbau zu dienen scheinen, bezeichnet man wohl auch als Deutoplasma oder Paraplasma, obwohl es günstiger ist, in diesen Fällen von nicht protoplasmatischen Zelleinschlüssen zu sprechen. Unter den anorganischen Bestandteilen spielen Wasser sowie die Chlorverbindungen und phosphorsauren, kohlensauren, schwefelsauren Salze der Alkalien und alkalischen Erden (Natrium. Kalium, Magnesium, Calcium etc.) die Hauptrolle. Von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis des Lebensprozesses, der mit dem P. untrennbar verknüpft ist, erscheint die Frage, ob im lebendigen P. neben den aufgeführten chemischen Verbindungen des toten Protoplasmas, das allein der direkten chemischen Untersuchung zugänglich ist, noch andre Bestandteile vorhanden sind, die mit dem Tode zerfallen. Ein Vergleich der vom lebendigen P. spontan ausgeschiedenen Zersetzungsprodukte der Eiweißkörper mit den Zersetzungsprodukten des toten Eiweißes, wie man sie durch künstliche Spaltung des letztern erhält, drängt in der Tat zur Annahme sehr labiler Eiweißverbindungen im lebendigen P. (lebendiges Eiweiß, Biogen), die sich schon im Leben fortwährend von selbst zersetzen und neu bilden und mit ihrem Stoffwechsel die wesentlichsten Glieder des Lebensprozesses ausmachen.
Die Lebenserscheinungen des Protoplasmas, die sich in seinem Stoffwechsel, seinen Formveränderungen und seinem Energieumsatz äußern, sind untrennbar an die Integrität der ganzen Zelle gebunden. Ihre Grundlage bildet der Chemismus des Stoffwechsels, der sich zwischen P., umgebendem Medium und Zellkern abspielt. Der Stoffwechsel besteht darin, daß sich die lebendige Substanz der Zelle fortwährend von selbst zersetzt und auf Kosten der aufgenommenen Nahrungsstoffe immer wieder neu bildet (Assimilation). Aufnahme und Abgabe von Stoffen ist der äußere Ausdruck des Stoffwechsels. Es ist ein ungeheuer kompliziertes Getriebe von chemischen Umsetzungen, das durch den fortwährenden Stoffaustausch zwischen Medium, P. und Zellkern unterhalten wird, obwohl freilich über diese Vorgänge, die den Lebensprozeß der Zelle und damit alles Leben überhaupt repräsentieren, leider noch äußerst wenig bekannt ist. Durch mikro-vivisektorische Versuche an einzelligen Organismen wurde erwiesen, daß sowohl nach Exstirpation des Zellkerns als auch nach Entziehung der vom Medium aus zugeführten Stoffe (Sauerstoff, Nahrung) sich an den Lebensäußerungen des Protoplasmas Ausfallserscheinungen bemerkbar machen. So hört z. B. nach Ausschaltung des Zellkerns am P. allmählich die Verdauungsfähigkeit und Sekretion auf, und so werden nach Abschluß von Sauerstoff die Lebenserscheinungen des Protoplasmas allmählich sistiert. Dabei können in manchen Fällen auch an kernlosen Protoplasmamassen oder auch nach Abschluß von Sauerstoff und Nahrung einzelne Lebenserscheinungen des Protoplasmas noch ziemlich lange bestehen, aber nur so lange, bis die Störung des gesamten Stoffwechselgetriebes zum unvermeidlichen Tode führt.
Unter den Formveränderungen, die das P. in der intakten Zelle zeigt, ist die einfachste das Wachstum, das durch Bildung neuer Protoplasmateilchen, und zwar nur unter Mithilfe schon vorhandener, zustande kommt. Nach genügendem Wachstum der Zelle tritt dann die Teilung ein, bei der die im P. verlaufenden Veränderungen sehr weitgehende sind (s. Zelle).
Die Bewegungserscheinungen des Protoplasmas, die zugleich Ausdruck des Energieumsatzes in der lebendigen Substanz sind, beruhen auf seiner Kontraktilität. Man versteht hierunter die Fähigkeit des Protoplasmas, durch Verschiebung seiner Teilchen und chemischen Umsetzung derselben die Größe der Oberfläche bei im wesentlichen gleichbleibenden Volumen zu verändern. Während das P. vieler Zellen unter normalen Verhältnissen seine Kontraktilität niemals zu äußern Gelegenheit hat, weil es von einer festen Zellmembran umschlossen ist, kommt die Kontraktilität bei andern Zellen, wie bei nackten Protoplasmamassen, deutlich zum Ausdruck und hat in gewissen Zellen durch Differenzierung bestimmter Bestandteile des Protoplasmas (Flimmerhaare, Muskelfibrillen) eine hohe Entwickelung erreicht. Unter Protoplasmabewegungim engern Sinne wird im Gegensatz zu der Flimmer- und Muskelbewegung nur die Bewegung undifferenzierter, nackter (Amöben, Rhizopoden etc.) oder in geräumige Zellwände eingeschlossener (Pflanzenzellen) Protoplasmamassen verstanden. Die Protoplasmabewegung besteht in einem langsamen Fließen und Strömen der ganzen Masse, wobei die körnigen Einlagerungen des Protoplasmas passiv von der aktiv sich bewegenden Grundmasse mitgerissen und durcheinander gemischt werden (Körnchenströmung, Protoplasmaströmung, Zirkulation und Rotation in Pflanzenzellen). Dabei verändert sich die Form nackter Protoplasmamassen fortwährend (amöboide Bewegung). Der nackte Protoplasmakörper kann sich an allen Stellen seiner Oberfläche vorbuchten und zu Ausläufern der verschiedensten Form und Länge (Pseudopodien) vorfließen.
Eine allgemeine Eigenschaft alles lebendigen Protoplasmas ist seine Reizbarkeit, d. h. die Fähigkeit, auf geringe äußere Einwirkungen (Reize) mit einer Veränderung seiner spezifischen Lebenserscheinungen zu reagieren. Diese Veränderung besteht fast ausnahmslos in einer Steigerung oder Herabsetzung der normalen Lebenserscheinungen (Erregung oder Lähmung). Das P. wurde zuerst in seinen wesentlichsten Eigenschaften 1835 von Dujardin erkannt, der es bei niedern Wesen als Sarkode beschrieb, aber als von dem P. der höhern Tiere und Pflanzen verschieden ansah. Der Name P. rührt von Purkinje (1840) her, der mit ihm die Bildungssubstanz tierischer Eier bezeichnete, während Mohl (1846) das Wort in allgemeinerm Sinn anwandte. Die heutigen Anschauungen stammen im wesentlichen von Max Schultze (1861) her, nur hat man in der jüngsten Zeit wiederholt den Versuch gemacht, die Bewegungen und andre Lebensvorgänge des Protoplasmas rein physikalisch-chemisch zu erklären. Vgl. M. Schultze, Das P. der Rhizopoden und der Pflanzenzellen (Leipz. 1863); Kühne, Untersuchungen über das P. und die Kontraktilität (das. 1864); Altmann, Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen zu den Zellen (2. Aufl., das. 1893); Wiesner, Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanz (Wien 1891); Weismann, Das Keimplasma (Jena 1892); Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zellteilung (Leipz. 1882); Frommann in der »Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft«, 1884; Berthold; Studien über Protoplasmamechanik (Leipz. 1886); Bütschli, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das P. (das. 1892); Verworn, Allgemeine Physiologie (4. Aufl., Jena 1903); O. Hertwig, Allgemeine Biologie (das. 1906); Wilson, The cell in development and inheritance (2. Aufl., New York 1900).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.