- Zelle [1]
Zelle (Cellula; hierzu Tafel »Zelle« mit Text), die einfachste Form, in der lebende Wesen (Tiere oder Pflanzen) auftreten, und der Elementarbestandteil der mehrzelligen Tiere und Pflanzen. Über die Pflanzenzelle s. d. Meistens ist die Z. nur mikroskopisch sichtbar und besteht im wesentlichen aus zähflüssiger, eiweißartiger Substanz, die ziemlich kompliziert strukturiert und mit Leben begabt ist, d. h. sich bewegen kann, für äußere Reize empfänglich ist, durch Aufnahme von Nahrung sich vergrößert und unter gewissen Umständen sich vervielfältigt (fortpflanzt). Man nennt diese uns in ihrem innersten Wesen noch völlig rätselhafte Materie Plasma, Zytoplasma, Protoplasma (s. d.), auch wohl Sarkode. Chemisch stellt das Protoplasma ein Gemisch verschiedener Eiweißkörper dar, und morphologisch zeigt es bei den einzelnen Zellarten einen recht verschiedenartigen Bau, der sich zumeist auf ein von Flüssigkeit (Zellsaft) durchtränktes, äußerst zartes Maschenwerk zurückführen läßt (Fig. 3). Darin eingelagert finden sich in den meisten Zellen noch allerlei Substanzen, die durch die Tätigkeit der Zellen erzeugt werden, z. B. Fetttröpfchen, Pigmentkörner (Fig. 10 u. 12), mancherlei Kristalle, Drüsensekrete, Dotterkörner, Bläschen (Vakuolen) voll Flüssigkeit (Fig. 11–15). Manche Zellen, wie Fett-, Drüsen-, Eizellen können von diesen Stoffen so dicht erfüllt sein, daß man zunächst Plasma und Zellkern kaum wahrzunehmen vermag. Bei manchen, aber weit weniger bei den tierischen als bei den pflanzlichen Zellen umgibt sich das Zytoplasma zum Schutze gegen die Einwirkung der Außenwelt mit einer Haut (Membran, Zellmembran, Zellhaut, Zellwandung), die mit der heranwachsenden Z. wächst und durch nachträgliche Ein- und Auslagerung auch eine gleichmäßige oder partielle Dickenzunahme erfahren kann. Die Membran ist unter normalen Verhältnissen durch den im Zellinnern vorhandenen Saftdruck (Turgor) elastisch gespannt. Wird der Turgor durch Wasserentziehung herabgesetzt, so zieht sich die Zellwand bis zu völliger Entspannung zusammen. Schreitet die Wasserentziehung dann noch weiter fort, so tritt die Plasmolyse ein, d. h. der Protoplasmakörper zieht sich von der Zellwand, mit der er bis dahin in unmittelbarer Berührung stand, zurück. Durch erneute Wasserzufuhr kann die Plasmolyse wieder aufgehoben und der Turgor wiederhergestellt werden. Fast immer ist im Plasma ein meist runder Körper, der sogen. Zellkern oder schlechtweg Kern (s. unten), vorhanden. Man unterscheidet dementsprechend kernlose Zellen (Zytoden, Moneren), deren Existenz freilich auch in Abrede gestellt wird, sowie kernhaltige Zellen oder Zellen im engern Sinn. Anderseits gibt es auch vielkernige Zellen, die durch Teilung des einen Zellkerns oder als Syncitien durch Verschmelzung von Zellen zustande kommen. – Die Gestalt der Z. ist im einfachsten Falle, d. h. bei frei lebenden, ruhenden Zellen, kugelig, ändert sich aber bei jeder Bewegung. Überhaupt kann sich eine solche membranlose oder nackte Z. nur dadurch von der Stelle bewegen, daß sie nach einer Seite hin einen oder mehrere Fortsätze ausstreckt und mit ihrem ganzen Leib in dieselben gewissermaßen nachströmt (sogen. amöboide Bewegung, Fig. 1 u. 2). Ist sie dagegen von einer Membran umgeben, so streckt sie ihre alsdann gewöhnlich feinern, fadenförmigen Fortsätze durch besondere darin befindliche Öffnungen heraus, heftet sich damit an irgendeinen Gegenstand an und zieht sich nach. Auch ihre Nahrung erlangt sie, indem sie mit ihren Fortsätzen (Scheinfüßen, Pseudopodien, Fig. 1 u. 2), die sie beliebig ausstrecken und wieder in ihren Leib einziehen kann, die ihr zusagende Beute umspinnt und diese entweder ganz in ihr Inneres befördert oder an Ort und Stelle verzehrt. Unter Umständen aber ziehr sie die Pseudopodien ganz ein, rundet sich ab und umgibt sich auch wohl mit einer dickern, widerstandsfähigen Haut (Zyste). Manche Zellen sind an der ganzen oder einem Teil ihrer Oberfläche von zarten, beweglichen Fortsätzen ihres Protoplasmas, sogen. Zilien oder Wimperhaaren, bedeckt (Fig. 11, 12 u. 17), die den einzelligen sowie kleinern mehrzelligen Organismen zur Fortbewegung sowie zur Fortstrudelung von Fremdkörpern dienen. – Eine besondere Rolle im Leben der Z. spielt der Kern (Nucleus, Zytoblast). Er pflegt von einer besondern Haut (Kernmembran) umgeben zu sein, enthält häufig ein oder mehrere Kernkörperchen (Nukleolen), liegt gewöhnlich in der Mitte der Z. und ist oft während des Lebens nur schwer oder überhaupt nicht sichtbar. Seine Form pflegt kugelrund oder oval, seltener länglich, gestreckt, wurst-, band- oder rosenkranzförmig zu sein (Fig. 3,4,14–16). Ausnahmsweise ist er in Fortsätze ausgezogen oder verzweigt; auch kann er in der Z. seine Lage verändern. Ausnahmsweise besitzt die Z. mehrere oder sogar viele Kerne (Fig. 17). Der Kern ist jedenfalls bei allen Vorgängen in der Z., namentlich jedoch beim Stoffwechsel und der Fortpflanzung, von Bedeutung, obwohl man darüber im ganzen wenig Sicheres weiß. Der Kern besteht aus chromatischer und achromatischer Substanz, welch erstere für gewöhnlich, d. h. beim Ruhekern, als seines Maschenwerk im Hohlraum des Kernes (Fig. 3 k) ausgespannt ist, bei der Vorbereitung zur Teilung des Kernes (und auch der Z.) jedoch in Form eines oder mehrerer Kernfäden auftritt, die sich in Kernsegmente, sogen. Kernschleifen, zerfällen (Fig. 3–7), die sich aber auch zu Stäbchen und Kugeln verkürzen können. Die sogen. Chromosomen (Farbkörper) werden bei der Zerteilung meine sogen. Kernspindel einbezogen (Fig. 5–7). Diese besteht außerdem aus den achromatischen Spindelfasern, den an den beiden Polen der Spindel liegenden Zentrosomen (Zentralkörpern) und den davon ausgehenden Polstrahlungen (Fig. 6 u. 7) = (Fig. 6–8). Zustande kommt die Spindel dadurch, daß der neben dem Kern liegende Zentralkörper sich teilt (Fig. 3–5) = (Fig. 3 bis 5), die beiden Tochterzentrosomen auseinanderrücken und die Pole der Spindel einnehmen, worauf die Strahlungen und Spindelfasern entstehen, bez. ihre Lage einnehmen und die Chromosomen, die sogen. Äquatorialplatte inmitten der Spindel, bilden. Durch Spaltung der Chromosomen und Auseinanderrücken der Spalthälften kommen die beiden Tochterplatten zustande (Fig. 5 u. 6). In der Mitte der diese beiden letztern verbindenden seinen Fasern treten Verdickungen auf, und diese sogen. Zellplatte stellt die Teilungsgrenze zwischen den beiden neuentstandenen Zellen dar. Diese Art der Kernteilung (Karyokinese, Mitose, indirekte oder mitotische Teilung) ist die Regel; ihr steht die Kernzerschnürung oder direkte Teilung (Amitose) gegenüber, wobei einfach der Kern sich in die Länge zieht und in der Mitte durchreißt (Fig. 1). Welche Kräfte bei dem komplizierten Vorgang der Kernteilung tätig sind, welche Rolle dabei den Zentrosomen, Polfasern, Spindelfasern und Chromosomen zukommt, ist zwar viel erörtert, aber noch nicht genügend aufgeklärt worden. Die Zahl der Chromosomen ist eine für die einzelnen Tier- und Pflanzenspezies konstante und schwankt zwischen ganz wenigen (zwei) bis zu sehr vielen (mehr als 100). Die durch Teilung aus einander entstandenen Zellen können sich voneinander trennen, wie dies zumeist bei den einzelligen Organismen (Protisten, Protozoen) der Fall ist (Fig. 1), sie können aber auch miteinander verbunden bleiben, und dann kommt es zur Bildung von Kolonien einzelliger Organismen, bez. eines mehrzelligen Organismus, wie er bei der Furchung aus der Eizelle hervorgeht. Unter diesen Zellen pflegt bald eine Arbeitsteilung und damit eine Gestalt- und Strukturdifferenz einzutreten, d. h. manche Zellen sorgen ausschließlich für Nahrungsaufnahme und lassen die gewonnenen Säfte auch den übrigen Zellen zugute kommen, indes andre die Bewegung der ganzen Kolonie übernehmen, wieder andre ausschließlich sich fortpflanzen etc. Durch enges Zusammenrücken platten sich auch meist die Zellen aneinander ab und werden eckig (Fig. 9 u. 14), doch zeigen auch die einzelligen Organismen häufig eine von der Kugelgestalt weit abweichende Form u. sind mit Fortsätzen u. Anhängen des Körpers selbst oder der ihn umgebenden Hüllen ausgestattet.
Die Z., wie wir sie hier kennen lernten, ist als Einzelwesen (Protist, s. Protozoen) oder im engen Zusammenhang mit andern Zellen im mehrzelligen Organismus lebensfähig. Auf ihr beruht das tierische und pflanzliche Leben, und in ihr spielen sich die Vorgänge ab, die das Leben bedingen. Sie beruhen hauptsächlich auf dem in der Z. sich vollziehenden Stoffwechsel. Die Z. nimmt aus ihrer Umgebung ernährende Stoffe auf und gibt dafür andre ab, d. h. es gehen in ihrem Protoplasma chemische Umwandlungen vor sich. Die in flüssiger oder fester Form aufgenommene Nahrung wird zur Bildung von Zellsubstanz verbraucht; diese wieder zersetzt sich fortwährend und gibt ihre Zerfallsprodukte nach außen ab. Welcher Art die aufgenommene und abgegebene Substanz ist, hängt von der Verschiedenheit der Zellen selbst ab. Eine wichtige Lebensäußerung der Z. ist ihre Fähigkeit, Sauerstoff aufzunehmen und Kohlensäure abzugeben; es findet ein Oxydationsprozeß in ihr statt. Mit dem Stoffwechsel ist ein Energieumsatz verbunden. Die Z. erzeugt Wärme, sodann mechanische Energie in Form von Bewegung, die sich teils in Strömungen und Lage-, bez. Formveränderungen des Protoplasmas, teils in Ortsveränderungen äußert, sowie auch bei der Zellteilung (Fortpflanzung) deutlich hervortritt. Die Frage, welche Bedeutung dabei dem Zytoplasma oder dem Kern zukommt, muß dahin entschieden werden, daß weder dem einen, noch dem andern Bestandteil die Hauptaufgabe zukommt, sondern daß offenbar beide zusammenwirken, um die von der Z. zu leistenden Aufgaben zu erfüllen. Man kennt viele Arten von Zellen, von denen als die wesentlichsten im tierischen Körper vorkommen: 1) Hautzellen, Epithelzellen, meist platte, eckige Zellen (Fig. 9) zur Begrenzung des Körpers nach außen hin; ähnliche Epithelzellen begrenzen die innern Körperhöhlen, Darm-, Leibeshöhle etc. (Fig. 15 u. 16); 2) Drüsenzellen (Fig. 14) zur Absonderung bestimmter Säfte; 3) Bindegewebszellen, meist von spindelförmiger Gestalt; 4) Muskelzellen oder kontraktile Zellen (Fig. 13), in denen das Plasma ganz oder zum größten Teil sich zusammenziehen und ausdehnen kann; 5) Nervenzellen oder Ganglienzellen; 6) Sinneszellen, die auf ihrer freien Fläche Sinneshaare tragen; 7) Flimmerzellen (Fig. 16), bei denen auf der Oberfläche ein oder mehrere bewegliche Fäden von Plasmasubstanz stehen; 8) Fettzellen, Pigmentzellen (Fig. 10); 9) Knorpel-, Knochen- und Zahnzellen; 10) Blutzellen; 11) Samenzellen, meist bewegliche Zellen, die zur Befruchtung des Eies dienen; 12) Eizellen. Sie alle führen, freilich in sehr verschiedenem Grade, noch ein selbständiges Leben im Organismus, unternehmen sogar zum Teil in ihm Wanderungen (z. B. die weißen, besser farblosen Blutkörperchen, Leukozyten) und gehen auch durchaus nicht immer mit seinem Tode sogleich zugrunde. Es verdient übrigens noch ausdrücklich bemerkt zu werden, daß manche Zellen sich im Lauf ihres Lebens derart verändern, dah sie kaum noch als solche zu erkennen sind, sondern als Fasern, Stränge u. dgl. erscheinen. Ferner scheiden namentlich diejenigen des Bindegewebes, Knorpels etc. um sich herum eine außerordentlich dicke Hülle aus, die man als Interzellularsubstanz bezeichnet, weil sie zwischen den Zellen liegt; auch die Hautzellen vieler Tiere sondern nach außen eine Membran ab, die oft vielfach dicker ist als sie selbst (Hautpanzer der Krebse). Weiteres s. beifolgende Tafel. Vgl. Leydig, Z. und Gewebe (Bonn 1885); Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zellteilung (Leipz. 1882); Boveri, Zellenstudien (Jena 1887–97,6 Hefte); O. Hertwig, Allgemeine Biologie (das. 1906); Weismann, Das Keimplasma (das. 1892); Wiesner, Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanz (Wien 1891); Bütschli, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma (Leipz. 1892); Berthold, Studien über Protoplasmamechanik (das. 1886); Henneguy, Leçons sur la cellule (Par. 1896); E. B. Wilson, The cell in development and inheritance (2. Aufl., New York 1900); Delage, La structure du protoplasma et les théories sur l'hérédité et les grands problèmes de la biologie générale (Par. 1895); Verworn, Allgemeine Physiologie (4. Aufl., Jena 1903); Gurwitsch, Morphologie und Biologie der Z. (das. 1904); M. Heidenhain, Plasma und Z. (Bd. 1, das. 1907).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.