Böhmerwald

Böhmerwald

Böhmerwald (Böhmisch-bayrisches Waldgebirge), Grenzgebirge zwischen Bayern und Böhmen (s. die Karten dieser Länder), das sich vom Fichtelgebirge bis zum Donautal in Oberösterreich in südöstlicher Richtung etwa 230 km lang hinzieht und in seinem Kamm die Wasserscheide des Moldau- und Donaugebiets bildet. Der B. wird durch die Senke bei Neumark in Böhmen in einen nördlichen und einen südlichen Teil geschieden. Der nördliche B. (tschech. Český Les), auf der bayrischen Seite auch Oberpfälzer Wald genannt, erstreckt sich mit einer mittlern Höhe von 700 m vom Plateau von Waldsassen bis zu der Neumarker Einsenkung und bildet ein großwelliges Bergland mit gerundeten, dichtbewaldeten Kuppen. Über die mittlere Höhe von 700 m erheben sich insbes. im N. der Tutenberg (939 m), im mittlern Teile der Pfraumberg (841 m) und im S. der Ezerkow (1039 m). Der Steilabfall ist im nördlichen Teile des Böhmerwaldes der böhmischen Seite zugekehrt. Im S. der Neumarker Einsenkung (485 m) beginnt der hohe Teil des Gebirges, tschech. Šumava genannt. Hier erhebt sich zunächst auf bayrischer Seite der Bergrücken des Hohen Bogen (1072 m). Der Hauptkamm auf der böhmisch-bayrischen Grenze, hier Künisches Gebirge genannt, erreicht im Osser 1283, in der Seewand 1343 m. Weiterhin trägt der Gebirgskamm auf bayrischem Boden die höchsten Erhebungen des ganzen Böhmerwaldes: Arber (1457 m) und Rachel (1452 m), und an der Grenze den Lusen (1370 m). Der südlichste Teil des Kammes erhebt sich im Dreisesselberg zu 1330 und im Plöckelstein zu 1378 m und enthält hier wunderliche Felsformen. Ein breiter, einförmiger Rücken mit runden Kuppen, die sich nur wenig über die mittlere Höhe von 1100 m erheben, bildet nach S. den Abschluß. Von Außergefild bis Hohenfurt begleitet den Ostfuß des Böhmerwaldes das Längemal der Moldau, ein ununterbrochenes Torfmoor von 50 km Länge. Jenseit dieses Längentales ist eine zusammenhängende Gebirgskette nicht mehr erkennbar. Das großwellige, mit Wäldern und Mooren bedeckte Plateau von 600 bis 1000 m Höhe erhebt sich nur in der teilweise mit Urwald bewachsenen Berggruppe des Kubany (1362 m) zu bedeutender Höhe. Als selbständiges Gebirge tritt noch im S. der Blanskerwald (mit dem Schöninger, 1080 m) nördlich von Krumau hervor. Vorlagen des Böhmerwaldes im SO. bilden die bis zur Donau verlaufenden, durch das Aisttal getrennten Züge des Linzer- und des Greinerwaldes (1060 m), im S. der Passauer Wald (946 m), zwischen der Großen Mühl und der Ilz, und der Bayrische Wald, zwischen Ilz und Regen (Einödriegel 1126 m), beide gleichfalls südlich von der Donau begrenzt.

Die Passierbarkeit des Gebirges ist, wie sich aus der Gestaltung desselben ergibt, im mittlern Teil sehr beschränkt, dagegen im S. und N. fast ungehemmt. An Pässen sind zu nennen: der Paß von Taus nach Furth (500 m), den die Staatsbahnlinie Pilsen-Furth überschreitet; der Paß von Neugedein über Neumark gleichfalls nach Furth (485 m); der Paß zwischen Eisenstein und Zwiesel (922 m), über den die Staatsbahnlinie Pilsen-Eisenstein mittels des Spitzbergtunnels führt; der Paß von Winterberg über Kuschwarda und Freiung nach Passau (der ehemalige »goldene Steig«, 967 m) und der Paß von Kerschaum (685 m) mit der Staatsbahnlinie Budweis-St. Valentin.

Der geognostischen Bildung nach besteht der B. vorherrschend aus kristallinischen Schiefern, die im allgemeinen bei nordwestlichem Streichen nordöstliches Einfallen besitzen. Die ältesten Schiefer sind rote und bunte Gneise der bojischen Stufe, dann folgen vorherrschend graue Gneise der hercynischen Gneisformation, darauf Glimmerschiefer der hercynischen Stufe und Schiefer der Phyllitformation. An diese kristallinischen Gesteine, die vielfach von Granit in Stöcken und Gängen durchsetzt werden, lagern sich sedimentäre Bildungen an: in Böhmen kambrische und silurische Grauwacken, Steinkohlenformation, Rotliegendes, Quadersandstein mit Pläner, Braunkohle; in Bayern Karbon, Rotliegendes, Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper, ferner Jura und Kreide. Merkwürdig ist der sogen. Pfahl, ein mächtiger Quarzgang, der westlich von Viechtach beginnt und, 20–300 m breit, bis 40 m hoch, als nackter Felskamm mit bizarren Auszackungen, sich in nordwestlicher Richtung 72 km weit bis in die bayrische Oberpfalz erstreckt (Abbildung s. Laurentische Formation). Seltene Mineralien (Rosenquarz, Tantalit, Niobit, Triphylin, Triplit, Uranglimmer, Beryll, Turmalin, Andalusit etc.) finden sich besonders in den gangförmig auftretenden Schriftgraniten von Zwiesel, Rabenstein, Bodenmais etc. Im Gneisgebiet werden ausgebeutet der Quarz von Rabenstein für Glasfabrikation, die Magnet- und Schwefelkieslager von Bodenmais, die Schmirgellager von Erbendorf sowie der Graphit und die Porzellanerde bei Passau. Das Klima des Böhmerwaldes charakterisiert sich durch reichen Niederschlag und subalpine Temperaturverhältnisse. Die mittlere Temperatur des Jahres schwankt zwischen 5 und 7°; die Regenmenge dürfte 150 cm im Jahre nicht übersteigen. Die bayrische Seite, die gegen die Nordwinde geschützt ist, hat milderes Klima als die böhmischen Abhänge. Die Flora ist eintönig und verhältnismäßig arm an Arten. Blütenpflanzen kommen nur über 1300 vor. Verhältnismäßig reich ist die Flora an Farnen, Moosen, Pilzen. Charakteristisch für den B. sind die ausgedehnten Hochmoore (Filz). Stellenweise kommt noch Urwald vor, so am Kubany und am Lusen. Der Waldbestand setzt sich aus Tannen, Fichten, Buchen, seltener aus Ahorn zusammen. In den Filzen wächst die Legföhre (Latschen). In den Holzschlägen wachsen ungeheure Mengen von Heidel-, Preißel- und Himbeeren. In den Filzen gedeiht die Sumpfheidelbeere und die Moosbeere. Arnika, Nieswurz und andre Arzneipflanzen finden sich in bedeutender Menge. Von Giftpflanzen kommen der Eisenhut und der gelbe Fingerhut besonders häufig vor.

Die wichtigsten Wasserläufe, die vom B. ihren Ausgang nehmen, sind auf der böhmischen Seite (Elbgebiet) die Moldau mit der Wotawa und den bei ihrer Vereinigung die Beraun bildenden Flüssen Mies, Radbusa und Angel; auf der bayrischen Seite (Donaugebiet) die Waldnab mit der Pfreimt und Schwarzach, der Regen mit der Cham und die Ilz. Im B. finden sich auch mehrere Seen, die zwar nicht von großer Ausdehnung sind, aber sich durch ihre Tiefe und ihre schöne Lage auszeichnen. Der bedeutendste ist der Schwarze See, 1185 m ü. M., 19 Hektar groß. 90 m tief. Ein 57,8 km langer Holzschwemmkanal, den Fürst Schwarzenberg 1789 anlegen ließ, beginnt nördlich vom Dreisesselberg in 918 m Höhe, durchfließt einen 419 m langen Tunnel, überschreitet die Wasserscheide in 772 m Höhe und ergießt sich bei Haslach in den Mühlfluß. Im Walde herrschen Fichten und Tannen, die im Urwald ein Alter bis zu 500 Jahren erreichen, vor. Doch gesellen sich auch Buchen und andre Laubbäume (bis zu 1150 m ü. M.) hinzu. Selbst in den höchsten Lagen wird Ackerbau betrieben, der außer Kartoffeln Hafer, Roggen und Flachs liefert. Der Reichtum von Holz wird in die Donau oder ins innere Böhmen verstößt, aber auch im B. selbst von den zahlreichen Glas- und Spiegelfabriken verwertet und zu verschiedenen Holzwaren verarbeitet. Die Bevölkerung ist ziemlich dünn, aber der Menschenschlag kräftig, einfach und gutherzig, dabei beharrlich an den althergebrachten Sitten hängend, die, wie z. B. die Hochzeitsgebräuche, viel Eigentümliches haben. Die Sprache der Wäldter ist vorherrschend deutsch; die Sprachgrenze zwischen Deutschen (im W.) und Tschechen (im O.) verläuft über Prachatitz, Winterberg, Bergreichenstein, Schüttenhofen, Neuern und Neugedein bis nahe zur bayrischen Grenze, um sich dann über Klentsch nordöstlich zu wenden. Der 1884 gegründete Deutsche Böhmerwald-Bund (mit der Bundesleitung in Budweis, 302 Bundesgruppen und 24,000 Mitgliedern) hat sich zur Aufgabe gesetzt, die wirtschaftlichen und nationalen Bestrebungen der Deutschen im B. zu unterstützen. Zur Förderung der tschechischen Bevölkerung dagegen besteht in Prag der Tschechische Böhmerwald-Bund (Národní jednota pošumavská). Vgl. Hochstetter im »Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt«, Bd. 6. u. 7 (Wien 1855–56); Gümbel, Geognostische Beschreibung des ostbayrischen Grenzgebirges (Gotha 1868); M. Schmidt, Kulturbild aus dem Bayerischen Wald (Bresl. 1885); v. Reinhardtstöttner, Land und Leute im bayerischen Wald (Bamb. 1891); Zeithammer, Land und Leute des Böhmerwaldes (Wien 1896); Peter, Charakter- und Sittenbilder aus dem deutschen B. (Graz 1896); Bernau, Der B. (Prachtwerk, Prag 1890); Bayberger, Geographisch-geologische Studien aus dem B. (Ergänzungsheft 81 zu »Petermanns Mitteilungen«, 1886); Reisehandbücher von M. Willkomm (Prag 1878) und vom Deutschen Böhmerwald-Bund (2. Aufl., Budw. 1894), für den Bayrischen Wald von Mayenberg (10. Aufl., Passau 1899) u. a.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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