- Avignon [2]
Avignon (spr. awinjóng), Hauptstadt des franz. Departements Vaucluse, am linken Ufer der Rhone, unweit der Mündung der Durance, Knotenpunkt an der Eisenbahn Lyon-Marseille, liegt um einen 60 m hohen Kalkfelsen, der oben in eine Anlage (mit dem Denkmal dee Persers Althen, der hier den Krappbau einführte) verwandelt ist, und an dessen Abhang das mächtige Schloß der Päpste und die Kathedrale sich erheben. Aus dem 14. Jahrh. rühren die wohlerhaltenen Zinnenmauern und Türme her, welche die eiförmige Stadt mit dem Gewirr ihrer engen und krummen Straßen umschließen und von schönen Boulevards umgeben sind. Eine Kettenbrücke führt über die Insel Barthelasse zum rechten Stromufer nach Villeneuve lès-A. (s. d.) hinüber und ersetzt die 1177 erbaute, aber 1669 bis auf vier noch heute stehende Bogen vom Hochwasser zerstörte St.-Bénézetbrücke. Am Rhoneufer ziehen sich schone Kais hin. Noch heute ist A. reich an Kirchen und Klöstern; die größte unter erstern ist die Kathedrale Notre Dann: des Doins aus dem 11. Jahrh., mit prächtigem Mausoleum Papst Johannes' XXII.; andre nennenswerte sind St.-Pierre und St.-Didier. Von Profanbauten ragt vor allen hervor der Palast der Päpste (jetzt Archivgebäude) neben dem Dom, eine aus gewaltigen Steinblöcken aufgetürmte Festung aus dem 14. Jahrh., dann das Stadthaus mit einem gotischen Turm aus dem 14. Jahrh., davo das Standbild Crillons, des Feldherrn Heinrichs IV., das Theater und das Museum Calvet, nach seinem Stifter genannt, mit Bibliothek von 107,000 Bänden, 2800 Manuskripten, Gemälden, Münzen, Skulpturen, Altertümern etc. A. besitzt auch ein Denkmal Girards, des Erfinders der Flachsspinnmaschine, und zählt (1901) 40,212 (als Gemeinde 46,896) Einw. Die industrielle Tätigkeit derselben erstreckt sich vorzugsweise auf Seidenspinnerei und Weberei, ferner auf Fabrikation von Bijouteriewaren, Papier, Teigwaren, Seife, chemischen Produkten, Buchdruckerei, Maschinenbau und Handel mit Getreide, Öl, Wein und Seide. A. hat ein Lyzeum, Collège, Seminar, Normalschule, Gewerbe-, Ackerbauschule, einen botanischen Garten, ein Irrenhaus und ist der Sitz eines Erzbischofs und eines Handelsgerichts. Es in Geburtsort von Petrarcas Laura und des Malers I. Vernet. – A. hieß zur Zeit der Römer Avennio (A. Cavarum, Avenicorum civitas) und war die Stadt der Kavaren, eines gallischen Volkes; 48 v. Chr. gründeten die Römer hier eine Kolonie, der Cäsar lateinisches Recht verlieh. Nach dem Untergang des weströmischen Reiches kam es unter die Herrschaft der Burgunder, dann der Westgoten, endlich der Franken and ward 730 und 737 von den Sarazenen zerstört. Nach dem Zerfall des fränkischen Reiches gehörte A. mit seinem Gebiet zum Königreich Burgund und zur Grafschaft Venaissin, kam jedoch bald in den gemeinschaftlichen Besitz der Grafen von Toulouse und Provence und der Grafen von Forcalquier. Der letzte Graf von Forcalquier schenkte seinen Anteil der Stadt A., die dadurch fast selbständig wurde. In A. und Umgegend fand die Lehre der Albigenser Verbreitung. Deshalb ward es von Ludwig VIII. von Frankreich 1226 nach dreimonatiger Belagerung fast zerstört. Nach dem Tode des letzten Grafen von Toulouse (1249) brachte der Gemahl von dessen Tochter Johanna, Alfons, Graf von Poitiers, Bruder Ludwigs IX. von Frankreich, A. unter seine Oberhoheit. Nach Alfons' Tode fiel 1271 an Frankreich ein Teil der Grafschaft A., den König Philipp der Schöne jedoch 1290 an Karl von Anjou, König beider Sizilien und Grafen von Provence, abtrat. Darauf war A. 1309–1417 Sitz der Päpste, die schon die Grafschaft Venaissin besaßen und 1348 auch die Stadt A. durch Kauf von der Königin Johanna von Neapel für 80,000 Gulden erwarben. Diese Zeit des Papsttums heißt die babylonische Gefangenschaft der Kirche (vgl. Höfler, Die avignonesischen Päpste, ihre Machtfülle und ihr Untergang, Wien 1871). Seit der Wiederherstellung der Alleinherrschaft des römischen Papstes (1417) residierten in A. nur Legaten als päpstliche Statthalter. 1790 empörte sich die bon der Revolutionspartei aufgereizte Volksmenge gegen die päpstliche Herrschaft und bat die Konstituierende Versammlung um die Vereininung Avignons mit Frankreich, die am 14. Sept. 1791 ebenso wie die von Venaissin beschlossen wurde. A. wurde die Hauptstadt des neuen Departements Vaucluse. Infolge davon entbrannte in A. ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Papisten und Demokraten. Im Frieden von Tolentino (19. Febr. 1797) mußte der Papst A. und Venaissin an Frankreich förmlich abtreten. Mit der Restauration brach der alte Parteihaß wieder hervor, und in A. wütete besonders der »weiße Schrecken«. Hier ward der Marschall Brune (s. d.) 2. Aug. 1815 ermordet. In A. sind mehrere Kirchenversammlungen gehalten worden: 1209 wider die Albigenser, 1210 über die Exkommunikation der Toulouser und ihres Grafen wegen Weigerung der Ketzervertreibung, 1326 über kirchliche Sitte und Berfassung, 1327 über klerikale Zucht, 1328 wider den kaiserlichen Gegenpapst u. a. Vgl. S. F. Castruccio, Istoria della cittá d'Avignone e del contado Venesino (Vened. 1678, 2 Bde.); Pfeffel, Recherches historiques sur la ville et l'État d'A. (1768); Granget, Histoire du diocèse l'A. (Avignon 1862, 2 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.