Militärfahrrad

Militärfahrrad

Militärfahrrad, Fahrrad (s. d.) für militärische Zwecke. Nachdem eine Verwendung des Hochrades zum Ordonnanz- und Meldedienst schon 1870/71 auf französischer Seite im Festungskrieg um Belfort stattgefunden hatte, folgten Versuche in England, Schweden-Norwegen, Österreich, Deutschland, Belgien, der Schweiz, Italien, Spanien, Bulgarien, und heute wird das Fahrrad in allen Heeren verwendet. Der Wert des Militärradfahrers beruht in der Schnelligkeit und Lautlosigkeit seiner Bewegung, verbunden mit schneller Feuerbereitschaft. Unbestritten ist sein Wert für Relais-, Melde- und Ordonnanzdienst, auch als Patrouille im Feld- und Festungskrieg, während die Ausstellung selbständiger Radfahrertruppen noch vielfach skeptisch betrachtet wird. Fast stets aber erfolgt die Verwendung, sei es einzelner Patrouillen, sei es größerer Trupps, in Verbindung mit Kavallerie, zum schnellen Besetzen weit vorgeschobener Punkte, zum Herumgreifen um die Flügel des Gegners, zum Sperren von Engwegen beim Rückzug und zum Meldedienst aller Art. In Frankreich erheben sich Stimmen zur selbständigen Verwendung großer Radfahrerabteilungen (1 Bataillon im Armeekorps). Ein Ersatz des Pferdes durch das Rad wird aber stets ausgeschlossen sein, da gewisse Geländeabschnitte nur zu Pferde passierbar sind. – Das militärische Radfahren verlangt sehr große Gewandtheit in der Beherrschung des Rades, auch bei sehr schlechten Boden- und Witterungsverhältnissen, ferner die Fertigkeit des Kartenlesens und sicherer Geländebeurteilung, tüchtige Schießleistungen und absolute Zuverlässigkeit. Es müssen deshalb die Radfahrer sorgfältig ausgesuchte Leute von hoher Intelligenz und widerstandsfähigem Körper sein. Als Durchschnittsleistung rechnet man 3–4, bei längern Touren 4–5 Minuten auf 1 km. Organisation und Technik erfahren, je nach den verschiedenen Ansichten über Verwendung und Leistungsfähigkeit, in den verschiedenen Heeren verschiedene Behandlung. Für Deutschland enthält die Fahrradvorschrift von 1899 die Beschreibung und Behandlung (Instandsetzung) des Rades, Fahrvorschriften, Bekleidung und Ausrüstung der Radfahrer (Mütze, Litewka, Schnürschuhe, Gamaschen, Umhang mit Kapuze etc., Gewehr 91 oder Karabiner 88, bez. Revolver). Es gibt Kriegs- und Lernräder, unter Aussicht des Bataillons etc. Dauernd sind Radfahrertrupps in Deutschland nicht aufgestellt, ihre Verwendung jedoch besonders in Kaisermanövern vielfach erprobt und speziell für die Pionierabteilungen der Kavalleriedivisionen vorgesehen. Frankreich stellte z. B. 1901: 2 Kompanien zu 175 Mann und 2 Pionierabteilungen zu 35 Mann auf und hat 1905 in den großen Manövern ein Radfahrerbataillon zu 4 Kompanien in Tätigkeit gesetzt. Man beabsichtigt nunmehr die Ausstellung eines Radfahrerbataillons. In England, wo man von dem Zusammenwirken starker Radfahrerabteilungen mit Kavallerie und Maschinengewehrabteilungen viel zu erwarten scheint, soll 1901 eine Truppenmasse von 2000 Radfahrern operiert haben. Die Erfahrungen mit dem M. im südafrikanischen Kriege sind günstig gewesen; der Stand an Radfahrern soll auf 40 im Regiment kommen. Dänemark bildete für die Manöver 1903 und 1904 je eine Radfahrerkompanie, in der Schweiz wird vorgeschlagen, für eine Division eine Ordonnanzfahrer- und eine fechtende Radfahrerkompanie dauernd aufzustellen. Sonst erstrecken sich die in der Literatur gemachten Vorschläge auf die Zuteilung von Maschinengewehren auf Selbstfahrern an die Radfahrerkompanien, sowie von Pionieren zur Beseitigung und Herstellung von Hindernissen etc., auf Verwendung des Tandems, auf dem der hinten sitzende Mann, ohne aufs Rad achten zu müssen, während der Fahrt beobachten kann, auf Ausrüstung der Radfahrer mit Telegraphengerät (Kavalleriepatrouillenapparat) und Heliographen. – Deutschland benutzt ein starres Kettenrad mit Pneumatikreifen, desgleichen die Schweiz; Österreich hat auch kettenlose Übertragung. Zusammenlegbare (Falt-) Räder benutzen Frankreich (Gérard), Italien (Boselli, Carraro, Costa, Rossi-Melli, Tandem Bruno), Großbritannien (Dursley-Pedersen, Stahl, soll 7,5 kg wiegen und in 20 Sekunden zusammenlegbar sein), Rußland, Japan, Belgien. Das Faltrad wird, wenn es nicht zum Fahren benutzt wird, zusammengelegt auf dem Rücken getragen, hat aber außer größerer Empfindlichkeit der Konstruktion den Nachteil, daß der Träger schnell ermüdet. – Neuerdings werden auch Motorzweiräder verwendet, deren Vorteile gegenüber dem Fahrrad in mehr als doppelt so großer Geschwindigkeit, besserer Überwindung von Steigungen und schlechtem Weg und Frischerhaltung des Fahrers bestehen, während das hohe Gewicht, die bedeutendern Kosten, das laute Geräusch beim Fahren und die Notwendigkeit umfassenderer technischer Kenntnisse für den Fahrer Nachteile sind. Im Kaisermanöver 1904 wurden 35 Motorräder erprobt. Österreich, Frankreich, Großbritannien sind ebenfalls mit Versuchen vorgegangen. Vom russisch-japanischen Kriegsschauplatz sind Nachrichten über Leistungen der Radfahrer noch nicht vorhanden. Vgl. v. Loebells »Jahresberichte etc. im Militärwesen« (Berl.); Stavenhagen, Verkehrs-, Beobachtungs- und Nachrichtenmittel in militärischer Beleuchtung (2. Aufl., Leipz. u. Götting. 1905); Stadelmann, Das Zweirad bei den verschiedenen Militärstaaten Europas (das. 1891); Graf zu Rantzau, Zur Organisation des Militär-Radfahrwesens (das. 1894); v. Puttkamer, Das Radfahren (das. 1894) und Fahrschule für Militärradfahrer (Leipz. 1896); Smutny, Anleitung zur Behandlung des Fahrrades und dessen praktische Verwendung, insbesondere für militärische Zwecke (u. Aufl., Graz 1897); Burckart, Das Rad im Dienste der Wehrkraft (Münch. 1897) und Die Radfahrtruppe der Zukunft (Berl. 1899); Gérard, Infanterie cyclisteen campagne (Par. u. Nancy 1898); Henke, Leitfaden für Militärradfahrer (Wiener-Neustadt 1904); Immenheuser, Radfahrende Infanterie (Beilage zur »Schweizer Militärzeitung«, 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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