Larochefoucauld

Larochefoucauld

Larochefoucauld (spr. -rosch'fukō), berühmtes, vielverzweigtes franz. Geschlecht, dessen Stammsitz die kleine Stadt La Rochefoucauld unweit Angoulême ist, und das Foucauld de Laroche (um 1020) als seinen Stammvater betrachtet. Ein Nachkomme desselben, François de Laroche, Kammerherr Ludwigs XII., hob 1494 König Franz I. aus der Taufe, weswegen seitdem der älteste der Familie stets den Namen Franz führt, und erhielt 1515 die Grafenwürde; starb 1517. Sein Sohn François de Laroche führte zuerst den Titel eines Prinzen von Marsillac. In den Religionskriegen standen seine Nachkommen auf seiten der Protestanten. François V., Herzog von L., geb. 5. Sept. 1588, ward 1622 zum Herzog und Pair ernannt, starb 8. Febr. 1650. Von den Gliedern des Geschlechts, das jetzt in drei Linien: die ältere Linie L., die der Herzoge von Estissac und die der Herzoge von Doudeauville, zerfällt, sind folgende bemerkenswert:

1) François VI., Herzog von, franz. Schriftsteller, geb. 15. Sept. 1612 in Paris, gest. daselbst 17. März 1680, Sohn des genannten François V., bis zu dessen Tod er Prinz Marcillac hieß, trat früh in die Armee, wurde in die Intrigen gegen Richelieu und Mazarin verwickelt und war der Geliebte der schönen Herzogin von Longueville, die ihn nach Mazarins Tod mit dem Hof aussöhnte. Nun spielte er wegen seiner glänzenden Eigenschaften eine Hauptrolle in der seinen Gesellschaft und war der Liebling berühmter Frauen, der Frau v. Sablé, der Herzogin von Chevreuse, der Frau v. Sévigné und besonders der Frau v. Lafayette. Seine »Mémoires«, die ein interessantes Bild seiner Zeit geben (doch sind sie nicht ganz von ihm), erschienen zuerst Köln 1662 (am besten hrsg. von Renouard 1817 nach einem Originaltext). Am berühmtesten sind seine »Réflexions, ou Sentences et maximes morales«, bekannt unter dem Titel: »Maximes«. Diese oft paradoxen Sätze, reich an boshafter Satire und bitterm Realismus, sind ein Gesetzbuch des Egoismus und der Genußsucht, eine Verneinung jeder sittlichen Grundlage unter dem Mantel einer Scheinmoralität, alles in eleganter, geistreicher Sprache, in nüchternem, präzisem Stil; von den Franzosen mit Recht ein klassisches Werk genannt. Von L. selbst wurden die »Maximes« fünfmal herausgegeben, zuerst 1665, am vollständigsten 1678 (mit 504 Maximen); neu von Aimé Martin 1822, dann von Gilbert und Gourdault (1868–83, 4 Bde.), von Pauly 1883. Unter dem Titel: »Œuvres inédites de L.« hat Barthélemy 1863 eine Anzahl Maximen (259) veröffentlicht, die aber zum großen Teil nur Varianten sind. Vgl. Rahstede, Studien zu Larochefoucaulds Leben und Werken (Braunschw. 1888); Bourdeau, La Rochefoucauld (Par. 1895); Hémon, La Rochefoucauld (das. 1896).

2) François Joseph de L.-Bayers, geb. 1735 in Angoulême, gest. 2. Sept. 1792, wurde 1772 Bischof von Beauvais, vertrat als Mitglied der Generalstaaten und der Konstituierenden Versammlung lebhaft das Interesse des Klerus und des Hofes und ward deshalb samt seinem Bruder Pierre Louis (geb. 1744, seit 1782 Bischof von Saintes) von Chabot bei der Gesetzgebenden Versammlung als Verschwörer gegen die konstitutionelle Monarchie angeklagt und in Paris niedergemetzelt.

3) Louis Alexandre, Herzog von Larocheguyon und von L. d'Anville, geb. 11. Juli 1743, gest. 14. Sept. 1792, trat früh in die Armee und ward 1789 von dem Adel der Hauptstadt zur Versammlung der Generalstaaten gesandt, wo er sich sogleich mit dem dritten Stand vereinigte. Als er jedoch bei den Ereignissen vom 20. Juni 1792 seine Stimme gegen Pétion und Manuel erhob, mußte er aus Paris entfliehen, wurde aber in Forges verhaftet und starb an den Folgen eines Steinwurfs, den er beim Transport durch die Stadt Gisors von der wütenden Menge erhalten hatte.

4) François Alexandre Frédéric, Herzog von L.-Liancourt, Vetter des vorigen, geb. 11. Jan. 1747, gest. 27. März 1827, vertrat in den Generalstaaten den Adel von Clermont. Er war es, der nach dem Sturm auf die Bastille 14. Juli 1789 dem König die Lage der Hauptstadt enthüllte und, als Ludwig XVI. ausrief: »Also eine Revolte!« ernst erwiderte: »Nein, Sire, das ist eine Revolution!« In der Nationalversammlung zeichnete er sich besonders durch treue Berichterstattung über das Armenwesen und die Hospitalpflege aus. Nach der Katastrophe vom 10. Aug. 1792 floh er nach England. Die Resultate einer Reise nach Nordamerika legte er in der Schrift »Voyage dans les Etats-Unis d'Amérique fait en 1795–1797« (Par. 1798, 5 Bde., u. ö.) nieder, kehrte aber nach dem 18. Brumaire nach Frankreich zurück. In seiner 1800 erschienenen Schrift »Les prisons de Philadelphie« erörterte er wichtige Fragen des Gefängniswesens und trug auf Abschaffung der Todesstrafe an; auch wirkte er für die Kuhpockenimpfung. Napoleon I. gab ihm 1809 den Herzogstitel zurück, nach der Restauration erhielt er die Pairswürde. Als Präsident der Gesellschaft für christliche Moral, als Mitglied der Generalkonseils für die Gefängnisse, für den Ackerbau, für die Manufakturen, für die Hospitäler etc. entwickelte er eine ungemeine Tätigkeit. Seine Opposition in der Pairskammer bewog jedoch das Ministerium, ihn seiner sämtlichen Ämter zu entsetzen, wogegen ihn die Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitglied erwählte. Er gründete in Frankreich die erste Sparkasse. 1861 wurde ihm in Liancourt eine Statue errichtet. Sein Sohn Frédéric Gaëtan de L. (geb. 1779, gest. 1863) gab 1825 des Vaters »Œuvres complètes« heraus und beschrieb sein Leben (1827). Vgl. Ferdinand Dreyfus, Un philantrope d'autrefois, L.-Liancourt 1747–1827 (Par. 1903).

5) Sosthène, Herzog von L.-Bisaccia, aus einem Seitenzweig, geb. 1. Sept. 1825, kam 8. Febr. 1871 in die Nationalversammlung, in der er an der Spitze der Legitimisten, des sogen. Klubs der Straße des Réservoirs, stand und eifrig am Sturz Thiers' und der Wiederherstellung der Monarchie arbeitete. Nach der Abdankung Thiers' 24. Mai 1873 übernahm er den Botschafterposten in London, legte ihn aber nach Errichtung des Septennats im November 1873 nieder, stellte noch im Juni 1874 einen Antrag auf Errichtung der Monarchie und wirkte für die klerikale Sache. 1876 wurde er Mitglied der Deputiertenkammer, wo er stets für die klerikale Partei wirkte. 1898 wurde er nicht wieder gewählt.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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