Kirgisensteppe

Kirgisensteppe

Kirgisensteppe, das von den Kirgiskaisaken (s. Kirgisen) bewohnte Gebiet in Turan, im N. vom Quellgebiete des Uralflusses, der Festungslinie längs des Tobol und von dieser östlich bis Omsk am Irtisch, im NO. und O. vom Irtisch, vom westlichen Ufergebiete der Seen Saisan und Alakul, im S. vom Alatau, dann von den Flüssen Tschu und Sir Darja, dem Aralsee und dem Usturt, im W. vom Kaspischen Meer und Uralfluß begrenzt, 1,889,689 qkm, davon 48,486 qkm Seen, mit (1897) 2,461,278 Einw., zerfällt seit 1899 in ein Generalgouvernement der Steppe mit dem Sitz der Zentralbehörden in Omsk, gebildet aus den Provinzen Akmolinsk und Semipalatinsk, und in die Provinzen Uralsk und Turgai (s. diese Artikel).

Das ungeheure Gebiet trägt keineswegs das Gepräge einer einförmigen Ebene, wie die nördlich gelegenen Steppen. Felshöhenzüge treten auf, die im W. von N. nach S. streichen und sich als Ausläufer des Urals darstellen, wie insbes. die bis 600 m hohen Muchadjarberge, während vom SO. her das Altaisystem in mächtigen Gebirgszügen (Alatau, Tarbagatai) hereinragt und bis in das Herz der Steppe seine letzten Ausläufer entsendet. Die Flüsse versiegen im Sand oder enden in abflußlosen Salzseen, deren Areal je nach der Jahreszeit wächst oder abnimmt. Auch Aralsee und Balchaschsee (s. d.) führen salziges Wasser; nordöstlich vom erstern liegt der große Salzsumpf Tschalkar Dengis, nordwestlich von dem letztern der Bitterwassersee Dengis (s. d.). Der früher unbedeutende Bergbau findet jetzt, seitdem die Russen der Unsicherheit ein Ende machten, immer mehr Beachtung. Goldwäschen, Silber und Kupfer werden in geringem Maß ausgebeutet; eine gewisse Zukunft dürfte der Abbau der der Karbonformation zugehörigen Steinkohlen (Aikibas-Tus, Karagandin etc.) und der tertiären Braunkohlen haben. Die Gegensätze von Kälte und Wärme treten sehr scharf auf. Irgis hat eine mittlere Jahrestemperatur von 5°, kältester Monat Februar -16,2°, wärmster Juli 24,6°, mittlere Jahresextreme 38,1 und -34,1° (absolut 40,6 und -38,6°). Der Winter beginnt schon Ende August und dauert bis April; der Frühling geht rasch vorüber, der Sommer ist trocken und glühend heiß, der Herbst kurz. Regenmenge Irgis 18 cm, Turgai 12 cm. Winde (namentlich die Burane oder Schneewirbelwinde) treten mit furchtbarer Heftigkeit auf. Im SO. sind auch verheerende Gewitter und Erdbeben nicht selten. Die Steppenflora wird charakterisiert durch niedrigen Graswuchs. Gebüschartig wächst nur der Saxaul (Haloxylon Ammodendron). Wo der Boden durch Überschwemmung sumpfig wird, bedecken hohe Rohrgräser (Arundo Phragmites) große Räume. Auf dem tonhaltigen Erdreich herrschen Tritizeen vor. Der Charakter der Tierwelt der K., die zu der sibirischen Subregion der paläarktischen Region zählt, ist der einer echten Steppenfauna; ein Charaktertier ist die Saiga-Antilope (Antilope Saiga), sodann Murmeltiere, Pfeifhasen, Alaktaga; von Raubtieren Wölfe, Füchse. Unter den Insekten werden für die Herden die Bremsenschwärme oft lästig. Haustiere werden zahlreich gehalten. Die Bevölkerung besteht der großen Mehrzahl nach aus Kirgisen (s. d.). Eingesprengt unter sie und mit ihnen wandernd, leben Tataren als Händler, Kosaken und Russen in den Festungen. Russische Bauern umwohnen den ganzen Nordwesten der Steppe, haben aber auch schon in ihrem Innern Kolonien angelegt; insbes. am Ischim (von Albassar nördlich gegen Omsk zu), dann im SW. bei Kopal und Wernoje. Industrie fehlt, der Handel mit ihren Erzeugnissen ist deshalb sehr lebhaft. Hauptgegenstände der Ausfuhr aus Rußland nach der K. sind Baumwollwaren, Leder und Getreide, wogegen letztere Vieh und Häute liefert. Vgl. »Wegweiser auf der Großen Sibirischen Eisenbahn« (deutsch von Lütschg, Berl. 1901) und Karte »Zentralasien«.

Die Horde der Kirgiskaisaken (s. Kirgisen) unterwarf sich 1734 freiwillig der Zarin Anna; doch bald konnten sich die Russen nur durch Errichtung von Festungsreihen am Rande längs der Steppe der Raubzüge der neuen Untertanen erwehren. Die Verwaltung machte Mißgriffe; sie pflog den schriftlichen Verkehr in tatarischer Sprache, baute Moscheen, während der Glaube noch ein Schamanismus war, und leistete dadurch der Niederlassung von tatarischen mohammedanischen Priestern Vorschub. Seit 1820 legte man am Irtisch, seit 1835 auch in der Orenburger Steppe an Punkten, die sich zu Verkehrsmittelpunkten eigneten, Befestigungen an, worin Kosaken angesiedelt wurden. Auch diese Festungen konnten jedoch keine Ruhe in der K. herstellen, solange die Räuber in die unabhängigen Chanate im S. entweichen konnten. Diesem Zustand machten für den Osten die Eroberung von Tschemkent (1864) und die Errichtung des Generalgouvernements Turkistan (s. d.), für den Westen die Demütigung Chiwas (1873) und die Vermehrung russischen Gebiets um die transkaspischen Länder und den Amu Darja-Bezirk ein Ende. Die 1869 von Chiwa aus unter den Kirgisen zwischen dem Kaspischen Meer und Aralsee, dann längs der Orsk-Kasalinskischen Poststraße angestifteten Unruhen wurden schnell unterdrückt und ihre Wiederholung durch jährliche Expeditionen in die Grenzabschnitte unmöglich gemacht. 1882 fand die letzte Organisation des Gebietes (s. oben) statt. Vgl. Kirgisen.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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