Arbeitsteilung

Arbeitsteilung

Arbeitsteilung, in der Naturwissenschaft (hier auch Differenzierung genannt) die Übernahme verschiedener Lebenstätigkeiten durch die meist aus gleichartiger Grundlage hervorgegangenen Organe oder (bei Tierstöcken, gesellig oder in Symbiose lebenden Tieren) durch die einzelnen Individuen. Alle Organismen entstehen aus einer einzelnen Zelle, die sich bei weiterer Entwickelung zunächst in gleichartige Zellen teilt, von denen schließt ich einzelne Gruppen sich in verschiedener Weise ausbilden und gewisse, zur Erhaltung des Organismus erforderliche Leistungen ausschließlich übernehmen, z. B. Hautzellen, Sinneszellen, Blutzellen etc. Durch diese Beschränkung können sie aber vermöge ihrer auf den besondern Zweck gerichteten Ausbildung ihre Aufgaben vollkommener ausführen und unter der Voraussetzung des geordneten Ineinandergreifens der Arbeiten sämtlicher Zellen den Organismus zu einer vollkommenern Lebensstufe erheben. Physiologische A. und morphologische Differenzierung (Divergenz des Charakters) bedingen einander, und was von den einzelnen Zellen gilt, gilt auch von den Organen und von den Individuen der Gesellschaftstiere oder zusammengesetzter Organismen. Die natürliche Anolese pflegt die höherdifferenzierten Lebewesen zu begünstigen, solange die damit ermöglichten Anpassungen nicht zu einseitig werden und den allgemeinen Lebensbedingungen entsprechen. Eigentümlich gestaltet sich die A. bei den Tierstöcken, bei denen eine Anzahl meist durch Sprossung aus einem Einzeltier hervorgegangener Individuen, auf gemeinsamem Stock vereinigt, z. T. sehr stark umgebildet, auf ganz bestimmte Funktionen angewiesen sind und sich wie Organe eines Ganzen verhalten, z. B. bei Schwimmpolypen oder Siphonophoren, bei denen besondere Fang-, Freß-, Tast-, Fortpflanzungs- und Bewegungspolypen (Lokomotiven) vorhanden sind (Polymorphismus). Ähnliche A. findet sich bei höhern gesellig lebenden Tieren, die z. T., wie Bienen, Ameisen und Termiten, Staaten bilden, in welchen den verschiedenen Individuen ganz bestimmte Aufgaben zugewiesen sind. Einen eigentümlichen Gegensatz zu diesem Vorgang liefert die Vereinigung verschiedenartiger Organismen zu gemeinsamem Haushalt (s. Symbiose). Vgl. Leuckart, Über den Polymorphismus der Individuen oder die Erscheinung der A. in der Natur (Gießen 1851); Haeckel, Über A. in Natur- und Menschenleben (in den »Gesammelten Vorträgen«, Bonn 1878); Espinas, Die tierischen Gesellschaften (Braunschw. 1879).

In der Volkswirtschaft versteht man unter A. sowohl die Spezialisierung der Berufsarten (gesellschaftliche A.) als die Zerlegung wirtschaftlicher Verrichtungen in verschiedenartige einfachere Operationen (technische A.). Die einfachste A. finden wir schon im Schoß der Familie ausgebildet, indem sich die Frau der Erziehung der Kinder und dem Haushalte, der Mann seiner Berufstätigkeit (dem Erwerb) widmet. Ist in unentwickelten Kulturepochen des Jäger- und Hirtenlebens oder auch der Agrikultur die Einzelwirtschaft insofern eine mehr selbständige, als sie ihren Lebensbedarf fast ganz durch eigne Tätigkeit deckt, so findet auf vorgeschrittenern Stufen eine Scheidung in der Art statt, daß der eine mit der Landwirtschaft, der andre mit dem Gewerbe, der dritte mit dem Handel sich ausschließlich befaßt. Die A. dehnt sich mit steigender Kultur immer weiter aus, indem die Erzeugung von Gütergattungen sich in die der einzelnen Arten spaltet. Schließlich entstehen selbst Gewerbe, die lediglich einzelne Teile eines ganzen Produkts darstellen. Diese letztere Art der A. kann am weitesten getrieben werden, wenn die Teiloperationen einheitlich und planmäßig in einer Anstalt (Fabrik) zusammengefaßt werden. Sobald der Verkehr sich über die einzelnen Länder hinaus erstreckt, bildet sich eine internationale A. aus, bei der an verschiedenen Orten ungleiche Güter erzeugt werden. Letztere ist bedingt durch örtliche Eigentümlichkeiten, ungleiche natürliche Verhältnisse (Bodenbeschaffenheit, Klima etc.) sowohl als auch durch Verschiedenheit aller durch Kultur- und Staatsleben geschaffenen Produktionsfaktoren, wie Arbeitstüchtigkeit, Moralität, Gesetzgebung und Verwaltung, Gewohnheit, geschichtlich entwickelte Kapitalkraft, Dichtigkeit der Bevölkerung etc. Durch die A. wird eine innige Interessenverkettung zwischen Personen und Ländern, eine Mehrung der produktiven Kräfte und eine Steigerung ihrer Wirkung hervorgerufen. Durch ausschließliche Beschäftigung mit einer Arbeitsart und spezielle Heranbildung für dieselbe wird die Leistungsfähigkeit erhöht, die verschiedenen Kräfte lassen sich zweckmäßig verwenden, die A, gestattet die Anwendung kostspieliger Werkzeuge und Maschinen etc. Hand in Hand mit der A., und diese hierdurch zu einer organischen Arbeitsgliederung gestaltend, muß eine richtige Arbeitsvereinigung gehen, d.h. die verschiedenen Produkte und Produktenteile müssen zu einander in richtigem Quantitätsverhältnis stehen, wenn Arbeits- und Kapitalvergeudungen vermieden werden sollen. In einem andern Sinne spricht man von Arbeitsvereinigung, wenn mehrere Kräfte gemeinschaftlich auf eine Operation sich konzentrieren, wenn mehrere Verrichtungen gleicher Art von einer Person ausgeführt werden oder gleiche Verrichtungen, die zeitlich nacheinander als kontinuierliche Teile eines Ganzen vorgenommen werden, verschiedenen Personen überwiesen sind. Wie die Arbeit zum Segen und zum Fluch werden kann, so auch die A. Wenn sie gewisse Grenzen überschreitet, kann sie Geist und Körper schädigen, durch Ermöglichung der Anwendung billiger Frauen- und Kinderarbeit Familienleben, Bildung und Moralität untergraben. durch Schwierigkeit vollständiger Anpassung und Eingliederung unter verschiedenen Verhältnissen Störungen, Krisen und damit Verluste an Kapital und Arbeit bewirken etc. Im allgemeinen würden die gegen diese Gefahren der A. anzuwendenden Mittel weniger gegen die letztere an und für sich als vielmehr gegen ihre schädlichen Wirkungen zu richten sein (Beschränkung der Arbeitszeit, Verwendung der Ruhepausen für Erholung, Bildung und Familie etc.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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