Hilfsschulen

Hilfsschulen

Hilfsschulen für schwachbegabte Kinder wurden schon im Anfang des 19. Jahrh. öfter als Bedürfnis bezeichnet (F. H. C. Schwarz [s. d.] in Heidelberg). Auch die allmählich aufkommenden Idiotenanstalten (s. Idiotie) halfen dem Bedürfnis nicht ab, da es sich nicht immer um geradezu blöd- oder schwachsinnige Kinder handelt, deren ganze Pflege besondern Anstalten anvertraut werden müßte, sondern auch um solche, die nur gewisser körperlicher und psychischer Mängel wegen mit normal begabten Kindern nicht Schritt halten können. Mit einem festen Plane trat 1864 zuerst der Taubstummenlehrer in Leipzig (später Direktor in Dresden) Stötzner hervor und gewann dafür in ärztlichen und in Lehrerkreisen durch einen Vortrag in Hannover (1865) vielen Beifall. Auf seine und des Lehrers F. W. Treu Anregung wurde 1867 in Dresden die erste Hilfsklasse an einer städtischen Schule errichtet; 1874 folgte Gera, bald darauf Kopenhagen, 1879 Elberfeld. Der preußische Minister v. Goßler empfahl 1885 die neue Schulart besonders allen größern Städten. Diese verbreitete sich von da an rasch, da der Nutzen sowohl für die Schüler der H. selbst wie für die durch deren Aussonderung entlasteten Volksschulen überall bald zu spüren war. Man zählte 1893 in Deutschland 32 H. mit 110 Klassen und 2300 Kindern; 1898: 52 H. mit 202 Klassen und 4281 Schülern; 1903: in 147 deutschen Städten 174 H. mit etwa 500 Klassen und rund 16,000 Schülern. Dabei sind (1903) die 91 Nebenklassen, die man statt wohl abgestufter, selbständiger H. in Berlin einstweilen eingerichtet hat, nur als eine Schule gezählt. Seit 1898 besteht unter Leitung des Stadtschulrates Wehrhan (Hannover) ein Verband der deutschen H., dessen jährliche Versammlungen das Interesse an der guten Sache in immer weitere Kreise tragen. Auch ins Ausland hat die Bewegung sich verbreitet und z. B. in England und Nordamerika bereits eine größere Anzahl von H. ins Leben gerufen. Eine beachtenswerte Erweiterung gab neuerdings der Idee der H. der Stadtschulrat Sickinger in Mannheim, indem nach seinem Plane Nebenklassen an den dortigen Volksschulen eingerichtet wurden schon für solche Kinder, die mehrfach nicht versetzt werden konnten und daher bei Verbleib in der Hauptanstalt die oberste Klasse nicht mehr erreichen könnten. Sickinger vertrat diese, in Mannheim bereits erprobte Einrichtung auf dem internationalen Kongreß für Schulgesundheitspflege in Nürnberg (April 1904) mit großem Erfolg. Auch in die eigentlichen H. werden die Kinder meist nicht von vornherein, sondern erst nach mindestens einjährigem Versuch in der Volksschule aufgenommen. Arzt und Schulmänner (Vorsteher der Volksschulen und der H.) müssen dabei zusammenwirken. Die Mittätigkeit von Schulärzten ist überhaupt für die H. geradezu unentbehrlich. Vgl. die Literatur unter »Heilpädagogik«, dazu die Berichte des Verbandes und die Zeitschrift »Jugendfürsorge« (hrsg. p on Pagel; Berl., seit 1900), für Berlin besonders, aber zur Beurteilung überhaupt wertvoll: v. Gizycki, Der Unterricht für schwachsinnige Kinder (Sonntagsbeilage 40–43 zur »Vossischen Zeitung«, das. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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