Entmündigung

Entmündigung

Entmündigung ist ein durch Richterspruch geschaffener Zustand geminderter Geschäftsfähigkeit einer Person, der so lange dauert, bis er wieder durch Richterspruch aufgehoben wird. Durch E. wird jemand einem Minderjährigen gleich in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt und, falls sie wegen Geisteskrankheit erfolgt, geschäftsunfähig (s. Geschäftsfähigkeit). Es kann entmündigt werden, wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, wer durch Verschwendung sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt, wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt oder die Sicherheit andrer gefährdet. In der deutschen Zivilprozeßordnung ist das »Verfahren in Entmündigungssachen« in den § 645–687 geregelt worden. Während früher bloß die E. wegen Geisteskrankheit und wegen Verschwendung vorgesehen war, wurde durch die sogen. Novelle zur Zivilprozeßordnung (s. d.) das Verfahren den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches angepaßt, das auch eine E. wegen Geistesschwäche und wegen Trunksucht kennt. Außerdem wurde die Beseitigung verschiedener in der Praxis hervorgetretener Mißstände erstrebt. Die E. erfolgt durch das Amtsgericht und setzt stets einen Antrag voraus. Der Beschluß des Amtsgerichts unterliegt der Anfechtung durch eine vor dem Landgericht zu erhebende Klage. Die Wiederaufhebung der E. (wegen Beseitigung des Zustandes, der sie veranlaßt hat) ist bei dem Amtsgericht durch Erhebung der Aufhebungsklage nachzusuchen; für den Fall der Ablehnung des Antrags darf sie mittels Klage beantragt werden. Die Kosten des Entmündigungsverfahrens sind in dem wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche eingeleiteten Verfahren, wenn die E. erfolgt, vom Entmündigten, andernfalls von der Staatskasse zu tragen, die auch einzutreten hat, wenn der Staatsanwalt eine Klage erhoben hat oder im Prozeß unterlegen ist. Im Entmündigungsverfahren wegen Verschwendung oder Trunksucht sind die Kosten des Verfahrens vom Entmündigten oder vom Antragsteller zu tragen. Das Entmündigungsverfahren bezüglich der E. wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche ist (in den § 645–679 der deutschen Zivilprozeßordnung) eingehend geregelt worden. Diese Vorschriften finden nach § 680 in verschiedenen Richtungen auch auf das Entmündigungsverfahren wegen Verschwendung oder Trunksucht entsprechende Anwendung. Weil das Verfahren verschieden geregelt ist, darf nicht gleichzeitig das Entmündigungsverfahren wegen Geisteskrankheit (oder wegen Geistesschwäche) und dasjenige wegen Verschwendung oder Trunksucht beantragt werden. Der Antragsteller muß sich vielmehr zunächst auf einen Entmündigungsgrund beschränken.

1) E. wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche (§ 645–679). Antragsberechtigt sind der Ehegatte, der gesetzliche Vertreter, dem die Sorge für die Person zusteht (z. B. Vater oder Mutter als Inhaber der elterlichen Gewalt) und unter bestimmten Voraussetzungen auch Verwandte, außerdem stets der Staatsanwalt (§ 646). Für die Einleitung des Verfahrens ist das Amtsgericht zuständig, bei dem der zu Entmündigende seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 648). Vor der Einleitung kann das Gericht die Beibringung eines ärztlichen Zeugnisses anordnen (§ 649). Nachher darf es, wenn es den zu Entmündigenden nicht bereits vernommen hat, die Entscheidung dem Amtsgericht des Aufenthaltsortes überweisen (§ 650 f.); der Richter, der die persönliche Vernehmung vorgenommen hat, soll womöglich auch die Entscheidung treffen. Das Gericht hat die erforderlichen Ermittelungen zu veranstalten und die erheblichen Beweise aufzunehmen, auch dem zu Entmündigenden Gelegenheit zur Bezeichnung von Beweismitteln zu bieten (§ 653). Die Gründe, aus denen die persönliche Vernehmung unterbleiben kann, sind eingeschränkt, die Vorführung und einstweilige Unterbringung des zu Entmündigenden in einer Heilanstalt zum Zwecke der Beobachtung für statthaft erklärt worden (§ 654, 656). Die E. wegen Geisteskrankheit tritt, wenn der Entmündigte unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft steht, mit Zustellung des Beschlusses an den (mit der Sorge für die Person betrauten) gesetzlichen Vertreter, andernfalls mit der Bestellung des Vormundes in Wirksamkeit; die E. wegen Geistesschwäche hingegen mit Zustellung an den (immer noch beschränkt geschäftsfähigen) Entmündigten selbst (§ 660, 661). Der Abweisungsbeschluß ist von Am ts wegen auch demjenigen zuzustellen, dessen E. beantragt war (§ 662). Die Anfechtung des Entmündigungsbeschlusses durch Klage und die Wiederaufhebung der E. ist durch eingehende, dem Bürgerlichen Gesetzbuch angepaßte Vorschriften (§ 664–679) geregelt. Die Anfechtungsklage, mit der eine andre Klage nicht verbunden werden darf, darf vom Entmündigten und von den Personen erhoben werden, die zum Entmündigungsantrag berechtigt sind. Sie ist gegen den Staatsanwalt und, wenn dieser die Klage erhebt, gegen den gesetzlichen Vertreter zu richten. Ähnliche Grundsätze gelten bezüglich der Wiederaufhebungsklage.

2) E. wegen Verschwendung und Trunksucht (§ 680–687). Für dieses Verfahren gelten im allgemeinen die nämlichen Vorschriften; jedoch findet eine Mitwirkung dee Staatsanwaltschaft nicht statt und sind im einzelnen Abweichungen vorgesehen. Im § 680 wurde durch Verweisung auf § 657 die Statthaftigkeit der Einleitung einer vorläufigen Vormundschaft ausdrücklich anerkannt. Ferner wird durch § 680 im Interesse der Armenpflege die landesgesetzlich (z. B. in Bayern) einem Gemeinde- oder Armenverbande zustehende Antragsberechtigung aufrechterhalten. Die Beschlußfassung über die E. eines Trunksüchtigen kann, wenn dieser eine Besserung erhoffen läßt, nach § 681 ausgesetzt werden. Die Frage der Entlassung aus der Irrenanstalt, der Ablehnung und Wiederaufhebung der E. ist besonders im Anschluß an das seit 1. Jan. 1900 geltende Recht von den Psychiatern lebhaft erörtert worden und hat zu den am 3. Febr. 1902 vom Reichstag angenommenen Antrag Lenzmann auf reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens geführt. Vgl. Daude, Das Entmündigungsverfahren (2. Aufl., Berl. 1899); Göring, Das Recht der Minderjährigen und Entmündigten (Leipz. 1899); Kornfeld, Die E. Geistesgestörter (Stuttg. 1901); Levis, Die E. Geisteskranker (Leipz. 1901); v. Krafft-Ebing, Die zweifelhaften Geisteszustände vor dem Zivilrichter (2. Aufl., Stuttg. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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