Veredelungsverkehr

Veredelungsverkehr

Veredelungsverkehr (Vormerkverfahren) nennt man im Zollwesen denjenigen Warenverkehr mit dem Auslande, der zum Zweck der Be- oder Verarbeitung, zur Vervollkommnung oder zur Reparatur mit der Bestimmung der Rückkehr in entsprechend vervollkommtem, in »veredeltem« Zustand stattfindet, und zwar sowohl denjenigen Verkehr, durch den fremde Rohstoffe oder Halbfabrikate zur Veredelung ins Inland (aktiver V.), als denjenigen, durch den einheimische Halbfabrikate zur Veredelung ins Ausland gebracht werden (passiver V.), bez. wieder zurückgebracht werden. Solche Waren müßten nicht allein die Transportkosten, sondern auch den Eingangszoll des Rohstoffs oder Halbfabrikats im einen, dann den Zoll bei Wiedereinfuhr der fertigen Waren im andern Lande tragen. Da nun durch doppelte Zollzahlung ein solcher über die Grenze gehender V. meist geradezu unmöglich gemacht wird, so versteht man unter dem V. auch schlechthin die zollfreie Überführung jener Gegenstände über die Zollgrenze, bez. deren zeitweise zollfreie Zulassung. Der V. kann dem Lande von großem Vorteil sein, indem nicht allein die Verarbeitung fremder Rohstoffe direkten Gewinn bringt, sondern auch das Absatzgebiet der heimischen Industrie erweitern hilft. Schwierigkeiten bereitet der V. durch die im Interesse der Verhütung von Umgehungen erforderlichen amtlichen Kontrollen und Beschränkungen, die den Zweck haben, die Identität des Gegenstandes und dessen Ursprung sicherzustellen. Als Waren heimischen Ursprungs gelten, wenn nichts Besonderes bestimmt ist (z. B. bei Garnen und Geweben), meist diejenigen, bei deren Herstellung ausschließlich oder zum größten Teil heimische Arbeit in Anwendung kam. Die richtige Durchführung macht die Festsetzung einer Frist für den zollbegünstigten Wiedereintritt erforderlich (vgl. Acquit à caution). Mit Rücksicht auf seine Vorteile bildete der V. schon einen wesentlichen Bestandteil des merkantilistischen Protektionssystems. So wurde unter Colbert in Frankreich gestattet, daß gewisse Materialien auf bestimmte Zeit unter der Bedingung der Wiederausfuhr in verarbeiteter Form zollfrei eingehen durften. Auch die österreichische Zollordnung von 1774 gestattete, daß ausländische, nicht außer Handel gesetzte Waren zur Appretur oder auf Spekulation, nicht aber auf Losung, d. h. auf ungewissen Verkauf, eingeführt werden durften. 1853 wurde diese Bestimmung für den Verkehr mit dem Zollverein dahin erweitert, daß auch die zollfreie Aus- und Wiedereinfuhr gestattet wurde. Dieser Verkehr hatte große Bedeutung für die Textilindustrie (daher in Österreich auch Appreturverfahren oder -Verkehr genannt), wurde jedoch durch das österreichische Gesetz von 1881 aufgehoben. Die französische Gesetzgebung kennt zurzeit nur den aktiven V. unter dem bezeichnenden Titel »admission temporaire«. Deutschland läßt den aktiven wie den passiven V. zu auf Grund des § 115 des Vereinszollgesetzes; ebenso den Transitveredelungsverkehr. Hinsichtlich der Verarbeitung von ausländischem Getreide ist 1882 den Müllern für die Wiederausfuhr größere Freiheit gestattet worden. Seitdem durch Reichsgesetz vom 14. April 1894 der Identitätsnachweis (s. d.) für Getreide aufgehoben worden ist, ist auch den Mühlen und Mälzereien der Eingangszoll für eine der Ausfuhr entsprechende Menge des verarbeiteten fremden Getreides nachgelassen worden. Vgl. Lusensky, Der zollfreie V. (Berl. 1903); Etienne und Vosberg-Rekow, Zollrückvergütung (Berl. 1903); Tschierschky, Die Neuordnung des zollfreien Veredlungsverkehrs (Düsseld. 1904); M. v. Engel, Der V. des österreichisch-ungarischen Zollgebiets (Wien 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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