Bergsturz

Bergsturz

Bergsturz (Rüfenen, v. ital. rovina, »etwas Zusammengestürztes«), das Loslösen und Herabstürzen großer Fels- und Erdmassen von Gebirgen, veranlaßt durch Frostwirkung, Erdbeben, Erosion durch Regen, Unterspülung durch die Bäche, Auflösung unterlagernden Materials, wohl auch Unvorsichtigkeit im Abbau technisch wichtiger Gesteine oder in der Anlage von Eisenbahn- und Straßeneinschnitten und Abholzung an Bergabhängen, an denen die Neigung der Schichten dem Tale zugekehrt ist. Besonders häufig tritt die Erscheinung ein, wenn Gesteinsmassen auf geneigten Tonschichten lagern, die nach heftigen Regengüssen oder bei der Schneeschmelze durch Wasseraufsaugung schlüpferig werden und dannden darüber auflagernden Gebirgsmassen als Gleitfläche dienen, auf der sie zu Tal rutschen (Bergschlipf, Bergrutsch). So glitt 2. Sept. 1806 eine 4 km lange, mehr als 320 m breite und 32 m dicke Masse von harter Nagelfluh auf einer durch anhaltende Regengüsse aufgeweichten Mergelbank bei dem Dorfe Goldau in der Schweiz herab und verschüttete das ganze Dorf (s. Goldau). In den Alpen sind die Kalkzone, das Flysch- und Molassegebiet, wo die Verhältnisse für die Entwickelung derartiger Katastrophen weit günstiger sind als in den alten Gesteinen der Zentralkette, besonders reich an Bergstürzen. Bekannt sind die Bergstürze von den mehr als 3200 m hohen Diablerets in den Berner Alpen, die 1714 und 1749 erfolgten und nur noch drei Hörner stehen ließen, und der Sturz des Dobratsch, der 1348 im Gailtal (Kärnten) furchtbare Verwüstungen anrichtete; in diesem Falle hatte ein Erdbeben den letzten Anstoß zur Ablösung der Felsmassen gegeben. Ähnliche Bergstürze fanden statt im Kanton Wallis 1855, wo sich infolge eines Erdbebens von der Spitze des Wetterhorns eine Felswand loslöste, und gleichzeitig im Visptal, in Graubünden, bei Pfäfers, im Rhonetal u. a. O. Ebenso sind am Fuß des Bernina und der Dent du Midi, bei Tirana im Veltlin (1808) und bei Felsberg unfern Chur (1834) kultivierte Landstriche begraben worden. Bekannte Fälle aus älterer Zeit sind: die durch den Erdfall vom Berg Rovinazzo bewirkte Verschüttung von Velleja (um das 4. Jahrh. n. Chr.), das man 1747 unter 6 m hohem Schutt wieder auffand; der Untergang von Tauretunum, am Genfer See unfern der Dents d'Oche gelegen, das 563 durch einen B. fortgerissen ward, dessen Masse noch jetzt in Gestalt eines Vorgebirges am See sichtbar ist. Ein andrer berühmter B., genannt Slavini di San Marco, bedeckte 883 zwischen der Lenomündung und dem Dorfe San Marco das beinahe 2 km breite Etschtal auf etwa 3 Mill. qm. In neuerer Zeit hat in der Schweiz der B. von Elm (s. d.) eine traurige Berühmtheit erlangt. – Auch längs des Steilrandes der Schwäbischen Alb sind Bergschlipfe häufig, hier erweichen die Schichten, mit denen der braune Jura (Dogger) schließt, die Ornatustone (s. Juraformation) und bringen die Felsen des weißen Jura (Malms) ins Rutschen. Durch den B. des Plettenberges (1851) stürzte der bewaldete Berghang auf eine Länge von 1 km in die Tiefe. Auch an den Thüringer Muschelkalkbergen lassen sich da, wo am untern Abhang der Berge der Röthton zutage tritt, häufig Bergstürze beobachten. Am Rhein ist Kaub mehrmals von Bergstürzen heimgesucht worden. – Allgemeine Vorsichtsmaßregeln gegen Bergstürze und ihre verheerenden Folgen lassen sich nicht angeben. Im einzelnen Falle können Wasserkorrektionen, Sprengungen, Schutzwälder etc. von guter Wirkung sein; verdächtige Stellen sind gut zu überwachen, da sich der B. gewöhnlich durch vermehrtes Abbröckeln der Gesteine ankündigt. Die Bildung von Spalten im Sturzgebiet und besonders am obern Rande desselben ist stets als ein Vorzeichen des herannahenden Unheils anzusehen. Vgl. Baltzer, Über Bergstürze in den Alpen (Zürich 1875); Heim, Über Bergstürze (Winterth. 1882); M. Neumayr, Über Bergstürze (»Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins«, Bd. 20, 1889).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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