Steindienst

Steindienst

Steindienst (Steinkultus), eine über fast die ganze Erde verfolgbare Art der religiosen Regung. In der rohesten und ursprünglichsten Form wird irgend ein beliebiger Stein erwählt und zum Fetisch gemacht. Die Dakota Nordamerikas nehmen einen runden Kieselstein und bemalen ihn, dann reden sie ihn Großvater an, bringen ihm Opfer und bitten ihn, sie aus der Gefahr zu erretten. Ähnliches beobachtete man in Südamerika, in der Südsee, in vielen Gegenden Afrikas, Lapplands, Indiens etc. Auf den Fidschiinseln verehrt man Steine von Phallusgestalt. Bei den Kulturvölkern der Alten und Neuen Welt war Meteorsteinkult sehr verbreitet. So wurde ein bei Chicomoztot oder den sieben Höhlen, einem in der mystischen Topographie der Altmexikaner wichtigem Ort herabgefallener Stein als ein Sohn des Götterpaares Ometeuctli und Omecihuatl verehrt. Auch vorgeschichtliche Steinwaffen oder Werkzeuge hielt man für vom Himmel gefallene Waffen der Götter, namentlich für Donnerkeile (Jupiter lapis-Kult), und trug sie vielfach als Amulette, wobei man bereits eine deutlichere Verknüpfung mit der übersinnlichen Welt gewahrt. Die hochgefeierten Palladien der Trojaner, Griechen und Römer waren meistens solche vom Himmel herabgefallene Göttergeschenke, die namentlich im Kulte der Kybele, Minerva und des Mars eine Rolle spielten. Anderseits scheint bei etwas höher gestiegener religiöser Bildung eine Art von Vermählung der Gottheit mit einem ihr errichteten Altarstein, Opfertisch oder Idol angenommen worden zu sein, sei es, daß man, wie im alten Ägypten, meinte, die Gottheit nehme in dem Stein Wohnung, oder auch, indem der Stein als uralte Opferstätte der Väter den Nimbus des nationalen Allerheiligsten eines Volkes oder Stammes erwarb. So wurden einfache Platten, Steinkegel, Opfertische etc. zu dem Ursymbol der Nationalgottheit, dem man sich mit dem stärksten religiösen Schauer näherte. Hierher gehören: der schwarze Stein von Pessinus, das berühmte konische Idol der Venus auf Cypern, der Stein, der bei den böotischen Festen als Vertreter des thespischen Eros die höchsten Ehren genoß, der rohe Stein zu Hyettos, der »nach alter Weise« den Herakles darstellte, die 30 Steine, welche die Pharäaner in althergebrachter Weise an Stelle der Götter verehrten, die rohen Steinaltäre in Bethel, Garizim und Jerusalem, die zahlreichen Steinsäulen oder Menhirs der germanischen und keltischen Länder, die. Irmensäulen (s. Irmin), die aus Baumstämmen oder Stein bestanden, der Steinkreis von Stonehenge (s. d.) als vornehmstes Beispiel der unzähligen, über die ganze Alte Welt verbreiteten Kromlechs (s. d.) etc. Die Verehrung der paphischen Venus als Steinkegel war offenbar ein Überbleibsel einer rohern Urreligion, die in dem philosophischer gewordenen Kultus Aufnahme gefunden hatte, um den Frieden zwischen der neuen Religion und der alten zu besiegeln. Dasselbe gilt von dem heiligen Stein in der Kaaba zu Mekka und der heiligen Steinplatte in der Moschee Omars zu Jerusalem, uralten heiligen Steinen und Opferstätten der Araber und Juden, die als Meteorsteine gelten. Aber gerade der mystische Reiz, der in der Verehrung des rohen Naturidols liegt, führte zu den tollsten Übertreibungen in dieser Kultusform. Theophrast schildert im 4. Jahrh. v. Chr. den Typus des abergläubischen Griechen seiner Zeit, der immer sein Salbfläschchen bei sich führt, um jeden heiligen Stein, dem er auf der Straße begegnet, Öl auszuträufeln, dann davor niederzufallen und ihn anzubeten, ehe er seines Weges weiterschreitet. Die Kirchenväter (Arnobius, Tertullian u. a.) machten sich lustig über diesen Gebrauch der Heiden, Steine zu salben und anzubeten; aber sie vergaßen, daß diese Sitte auch Jakob, der Erzvater, bei jenem Stein übte, der ihm als Kopfkissen gedient hatte. Noch Heliogabal brachte das schwarze Steinidol des syrischen Sonnengottes unter großer Feierlichkeit nach Rom und errichtete ihm einen durch orientalische Pracht ausgezeichneten Dienst. Mehr an den reinen Fetischdienst erinnert die besonders in Syrien und Phönikien heimisch gewesene Verehrung kleiner Meteorsteine oder Bätylien (s. Bätylos); denn diese Steine wurden speziell als Hausgötter etc. gebraucht, und die Dioskuren, die als die Nothelfer des Altertums galten, wurden besonders häufig als Steine verehrt. Ähnliches gilt von den Buddhasteinen in Indien, den zahlreichen Fußstapfensteinen (s. Roßtrappen) etc. Vgl. v. Dalberg, Über Meteorkultus der Alten (Heidelb. 1811); Tylor, Die Anfänge der Kultur (deutsch, Leipz. 1873, 2 Bde.); Rochholz, Der S. in der Schweiz (Aarau 1862); Lenormant, Les bétyles (in der »Revue de l'histoire des religions«, Par. 1881).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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