Seeigel

Seeigel

Seeigel (Echinoidea), Klasse der Stachelhäuter, Tiere von meist kugelförmiger oder ellipsoidischer, selten scheibenförmiger Gestalt. Die Arme, welche die Seesterne und Haarsterne auszeichnen, fehlen ihnen gänzlich. Die Schale des Körpers (s. Tafel »Stachelhäuter II«, Fig. 6) besteht in der Regel aus 20 (bei ausgestorbenen Formen aus mehr) wie die Meridiane einer Kugel gruppierten Reihen von Kalkblättchen, die fast immer (s. unten) unbeweglich sind, und von denen immer je zwei nebeneinander gelegene die Poren zum Durchtritt der Saugfüßchen tragen, die zwei folgenden aber nicht. Die bei den regelmäßigen Seeigeln anscheinend vorhandene fünfstrahlige Symmetrie ist in Wirklichkeit eine zweiseitig-symmetrische; noch deutlicher ist dies, wenn Mund oder After exzentrisch liegen (wie bei den Herzigeln, Fig. 5); in der Regel nämlich liegt der Mund unten, in der Mitte, der After oben, nahezu in der Mitte. Die Schale ist mit zahlreichen Höckern besetzt und trägt bewegliche, manchmal sehr große Stacheln; zwischen ihnen liegen die Saugfüßchen und die zangenartigen Greif- und Tastorgane (Pedizellarien, Fig. 2); bei Diadema setosum sind zahlreiche Augen auf ihr vorhanden. Wenn ein S. sich von der Stelle bewegen will, so verlängern sich die Saugfüßchen der vorangehenden Seite durch Wasseraufnahme aus dem Wassergefäßsystem (s. Stachelhäuter) über die Stacheln hinaus, heften sich an einen Gegenstand an und ziehen den Körper, der auf den Spitzen der Stacheln balanciert, nach sich. Zur Zerkleinerung der Nahrung (Krebse, Fische etc.) dient den meisten Seeigeln ein besonderer Kauapparat (Laterne des Aristoteles, Fig. 3), eine aus Kalkstäben gebildete hohle Pyramide mit eigentümlich eingelenkten, meißelartigen Zähnen und sie bewegenden Muskeln. Die S. ohne diesen Apparat verschlucken Schlamm mit dem, was er an Tierischem und Pflanzlichem enthält. Der Darm macht mehrere Windungen und ist innen an der Schale durch häutige Fäden befestigt. Wegen des Nerven-, Wasser- und Blutgefäßsystems s. Stachelhäuter. Die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane sind fast immer in der Fünfzahl vorhanden und münden durch ebenso viele Öffnungen oben auf der Schale aus. Die S. sind getrenntgeschlechtlich. Die Entwickelung erfolgt mit bedeutender Metamorphose; die Larven haben die Form des Pluteus (s. Tafel »Entwickelungsgeschichte III«, Fig. 19). Nur bei wenigen Arten hat das Muttertier eine Bruttasche (Fig. 1), in der sich die Jungen, ohne erst die Larvenform zu durchlaufen, entwickeln.

Die S. sind ausschließlich Seetiere und leben in allen Meeren, meist in der Nähe der Küsten, indessen auch in großen Tiefen. Einige bohren mit ihrer Laterne und ihren Stacheln in Felsen Löcher zu ihrem Aufenthalt. Man kennt reichlich 300 lebende und 2000 ausgestorbene Arten. Fossil treten sie (Echiniten) schon im Silur auf, weichen aber von den spätern und den noch lebenden bedeutend ab; erst in der Sekundärzeit erlangen sie die auch heute noch vertretene Form. Am stärksten entwickelt sind sie in der Kreide- und der Tertiärformation. Man unterscheidet drei Ordnungen: 1) Regelmäßige oder reguläre S. (Regularia), mit zentralem Mund, Kauapparat, meist zentralem, selten seitlichem After. Hierher Dorocidaris (s. Tafel »Aquarium«, Fig. 34), Cidaris (Turbanigel, s. Tafel »Juraformation I«, Fig. 1), die bereits im Depon auftritt und durch mehrere Arten noch jetzt vertreten ist. Die sichelförmigen Stacheln einer in der mittlern Kreide von Palästina vorkommenden Art, Cidaris glandularia, wurden oft als sogen. Judensteine (lapides judaici oder »Melonen vom Berge Karmel«) nach Europa gebracht. Ferner Palaeocidaris im Kohlenkalk und Palacechinus (s. Tafel »Steinkohlenformation I«, Fig. 8), Hemicidaris und Echinobrissus (s. Tafel »Juraformation I«, Fig 6 u. 8), vorzüglich im Jura, Echinus mit dem gemeinen S. (E. esculentus, s. Tafel »Stachelhäuter II«, Fig. 6), der 8 cm im Durchmesser erreicht, um ganz Europa, auch häufig in der Nordsee vorkommt, und dessen Eierstöcke vielfach roh gegessen werden. Die Familie der Echinothuridae, die einzige unter den lebenden Seeigeln, die bewegliche Kalkplatten hat (hierher Asthenosoma urens, aus den Tropen, mit Giftstacheln; s. Tafel »Stachelhäuter II«, Fig. 4). 2) Die Ordnung der Schildigel (Clypeastridea) umfaßt S. mit flachem, schildförmigem Körper; der Mund mit Kauapparat liegt zentral, der After exzentrisch. Hierher die fossilen Discoidea (s. Tafel »Kreideformation I«, Fig. 11) und Scutella (s. Tafel »Tertiärformation I«, Fig. 4) etc. Die den Seeigeln in der Form ähnlichen Echinosphaerites aus dem Untersilur gehören zu den Cystoideen, also zu den Haarsternen. 3) Die Herzigel (Spatangidea) sind mehr oder minder herzförmig, mit exzentrischem Mund und After, ohne Kauapparat; hierher z. B. Schizaster (s. Tafel »Stachelhäuter II«, Fig. 5). Vgl. L. Agassiz, Monographie des Échinodermes vivants et fossiles (Neuchâtel 1838–42); Lovén, Études sur les Échinoïdes (in den Abhandlungen der schwed. Akademie, Bd. 11, Stockh. 1874); A. Agassiz, Revision of the Echini (Cambr. 1872–74) und Echinoidea of the Challenger (Lond. 1881); Duncan, Revision of the Echinoidea (das. 1899); Théel, On the development of Echinocyamus (Upsala 1892).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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