- Seegurken
Seegurken (Seewalzen, Holothurien, Holothurioidea), eine Klasse der Stachelhäuter, Tiere von Wurmform mit lederartiger Haut, die nur wenig Kalk in Gestalt zierlicher Anker, Rädchen, Platten etc. enthält (s. Tafel »Stachelhäuter I«, Fig. 6). Stacheln fehlen; die Ambulakralfüßchen (s. Stachelhäuter) sind meist nur an gewissen Teilen des Körpers vorhanden, wodurch wie bei Psolus eine Art Kriechfläche, das sogen. Bivium, zustande kommt, oder die Füßchen fehlen gänzlich, wie z. B. bei den Apoda (s. unten). Im letztern Falle bewegen sich die S. nur durch Krümmung des gesamten Körpers mittels der starken Muskulatur der Haut. Um den Mund stehen zurückziehbare Tentakeln. Der Darm ist sehr lang; der After liegt dem Mund entgegengesetzt. Die Madreporenplatte fehlt meistens, und so wird das Seewasser für das Wassergefäßsystem aus der Leibeshöhle aufgenommen, in die es wahrscheinlich durch Poren in der Wandung des Enddarms gelangt. Als besonderes Atmungsorgan gelten die Wasserlungen, die jedoch bei der Gruppe der Synaptiden fehlen. Wegen der Nerven und Blutgefäße s. Stachelhäuter. Die Geschlechtsorgane bilden einen oder zwei Büschel verästelter Schläuche, die sich in der Nähe des Mundes nach außen öffnen. Die Synaptiden sind Zwitter. Die Entwickelung verläuft vielfach mit bedeutender Metamorphose durch die sogen. Auricularia-Larven. Bei einigen Arten haben die Weibchen besondere Bruträume, auch bleiben die Jungen wohl noch eine Zeitlang der Mutter angeheftet. Die S. leben fast nur auf dem Meeresboden in der Nähe der Küste oder in größerer Tiefe und bohren sich in den Sand ein oder kriechen auf den Algen, Korallen etc. umher. Es gibt aber auch einige S., die an der Oberfläche des Meeres schwimmen, z. B. Pelagothuria natatrix aus dem Stillen Ozean. Ihre Nahrung besteht aus kleinen Organismen; Cucumaria (s. Tafel »Stachelhäuter I«, Fig. 4) schiebt die Tentakeln einen nach dem andern in den Mund und leckt die daran befindlichen Tierchen etc. ab, während die meisten S. sich den Darm mit Sand anfüllen und diesen nach Verdauung der in ihm enthaltenen Nahrung durch den After wieder entfernen. Beunruhigt ziehen die S. erst die Tentakeln ein, spritzen dann alles Wasser aus den Wasserlungen in starkem Strahl aus und kontrahieren sich bei weilerm Reiz so stark, daß sie den ganzen Darm nebst einem großen Teil der Eingeweide durch den After ausstoßen; diese bilden sich aber nach einiger Zeit neu. Die Synaptiden zerbrechen sich sogar in einzelne Ringe und sind nur schwer unverletzt zu erhalten. Die S. können bis über 2 m lang werden. Fossil sind sie aus dem Kohlenkalk, Jura, Tertiär und der Kreide bekannt geworden. Die Anzahl der S. beträgt bisher reichlich 500. Sie zerfallen in drei Gruppen: die Fußlosen, Apoda (Molpadidae und Synaptidae), die Gefüßten, Pedata (Aspidochirotae, Dendrochirotae und Rhopalodinidae) und die Plattenfüßer (Elasipoda). Unter den erstern ist bemerkenswert die Synapte (Klettenholothurie, Synapta inhaerens, Fig. 5), in der die Schnecke Entoconcha parasitisch lebt; von den zweiten werden mehrere Arten unter dem Namen Trepang (s. d.) als Eßware in den Handel gebracht. In den Gattungen Holothuria und Stichopus (s. Tafel »Aquarium«, Fig. 20) hält sich ein sonderbarer Fisch, Fierasfer, auf, der sich zum Wohnort gewöhnlich die Wasserlungen auswählt; er gelangt in diese mit dem Schwanz voran durch den After und hält dann aus dem Hinterende der Seegurke heraus Umschau nach seiner Nahrung, die aus kleinen Krebsen besteht. Häufig sitzen in einer Seegurke ein halbes Dutzend dieser lästigen Gäste, deren sich der geplagte Wirt nicht erwehren kann. Die Plattenfüßer endlich leben fast alle in der Tiefsee, sehen äußerst sonderbar aus, weil die beim Kriechen nach oben gewandte Fläche mit allerlei Anhängen bedeckt ist (wie bei Scoto plana, Fig. 3), und haben eine Madreporenplatte, aber keine Wasserlungen. Vgl. Selenka, Beiträge zur Anatomie und Systematik der Holothurioideen (in der »Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie«, Bd. 17 u. 18, Leipz. 1867–68); Semper, Reisen im Archipel der Philippinen, Bd. 1: Holothurien (das. 1868); Joh. Müller, Über Synapta digitata (Berl. 1852); Lampert, Die Seewalzen (Wiesbad. 1885); Theel, Report on the Holothurioiden etc. (Lond. 1882–85); Ludwig, Die Seewalzen (in Bronns »Klassen und Ordnungen des Tierreichs«, Leipz. 1889–92).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.